Die Novemberrevolution war mehr als die Gründung der Weimarer Republik. Wie das Rätesystem nicht nur die Monarchie, sondern auch den Kapitalismus erschütterte, wird heute gerne übersehen
Die Novemberrevolution gilt als Geburtsstunde der ersten Demokratie in Deutschland. Für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung markiert sie den »Übergang zur parlamentarisch-demokratischen Republik«. In dieser Lesart fällt unter den Tisch, dass die Novemberrevolution von Organen getragen war, die viel demokratischer waren als jedes Parlament, und deren Herrschaft nicht nur die Monarchie, sondern auch den Kapitalismus ins Wanken hätte bringen können: die Arbeiter- und Soldatenräte.
Der Krieg und die Novemberrevolution

Revolutionäre Demonstranten am 9. November 1918 in Berlin, Unter den Linden. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-18594-0045 / CC BY-SA 3.0 DE
Im Sommer 1918 scheiterte die deutsche Großoffensive an der Westfront. Den Generälen der Obersten Heeresleitung (OHL) um Hindenburg und Ludendorff wurde klar, dass der Erste Weltkrieg, der bereits seit vier Jahren wütete und zehn Millionen Soldaten und zehn Millionen weitere Menschen das Leben gekostet hatte, nicht mehr zu gewinnen war. Die einzige Chance, die Monarchie und das Kaiserreich zu retten, sahen sie in Zugeständnissen an die Alliierten und einem Kompromissfrieden einerseits und einer Liberalisierung der Regierung unter Beteiligung der SPD andererseits. Nachdem die SPD 1914 bereits ihre Antikriegshaltung aufgegeben und den Kriegskrediten zugestimmt hatte, verriet sie nun auch ihre republikanische Grundhaltung und trat in die neue Regierung unter dem Kanzler Prinz Max von Baden ein.
Die Novemberrevolution und die Matrosen in Kiel

Matrosen in Wilhelmshaven demonstrieren nach dem Aufstand 1918. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1976-067-10A / CC-BY-SA 3.0
Doch die Aussicht auf den Frieden hatte die kriegsmüden Arbeiterinnen und Arbeiter und vor allem die Soldaten elektrisiert. In dieser Situation gab die Marineführung Ende Oktober der Flotte in Wilhelmshaven den Befehl zum Auslaufen in die Nordsee zu einer letzten Schlacht gegen England – ein Himmelfahrtskommando. Auf mehreren Schiffen meuterten die Matrosen wie schon im Sommer 1917 (siehe marx21-Magazin Nummer 51). Die Marineführung verlegte die entsprechenden Einheiten an die Ostsee nach Kiel und verhaftete die Anführer während der Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal.
Der Kieler Matrosenrat war die Autorität in der Stadt
In Kiel verlangten die Mannschaften die Freilassung der Verhafteten und suchten Unterstützung bei anderen Einheiten. Bald schlossen sich auch Hafenarbeiter den Matrosen an. Als regierungstreue Truppen das Feuer eröffneten, wurde es erwidert. Auf einer Massenversammlung mit 20.000 Teilnehmern wurde der Kieler Matrosenrat gewählt, der von da an die einzige Autorität in der Stadt war. Von Kiel breitete sich die Rätebewegung schnell aus. Innerhalb von zwei Tagen kam es auch in Cuxhaven und Wilhelmshaven zu Streiks und Demonstrationen. Arbeiter- und Matrosenräte wurden gewählt und übernahmen auch dort die Macht. In Hamburg beteiligten sich am 6. November 40.000 Menschen an einer spontanen Demonstration für eine Arbeiterräte-Republik. Die Zeitung des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates verkündete: »Es ist der Anfang der deutschen Revolution, der Weltrevolution! Glückauf zur gewaltigsten Tat der Weltgeschichte! Es lebe der Sozialismus! Es lebe die deutsche Arbeiterrepublik! Es lebe der Weltbolschewismus!«
Die Novemberrevolution beginnt

Revolutionäre Soldaten mit der Roten Fahne am 9. November 1918 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-810 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0
Nachdem mit Hamburg die erste deutsche Großstadt an die Revolution gefallen war, folgten schnell weitere: am 6. November Bremen, Altona, Rendsburg und Lokstedt, am 7. November Köln, München, Braunschweig und Hannover, am 8. November Oldenburg, Rostock, Magdeburg, Halle, Leipzig, Dresden, Chemnitz, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Darmstadt und Nürnberg. Die Revolution war in wenigen Tagen über das ganze Land hinweg gebraust. Überall das gleiche Bild von Massenaufmärschen der Arbeiterinnen und Arbeiter und Soldaten unter roten Fahnen. Die kaiserliche Macht war von der Bildfläche verschwunden. Ihr blieb nur noch Berlin.
Am 9. November war Berlin im Generalstreik
Dort blieben Massenaktionen wie in den anderen Städten zunächst aus und die Polizei schien die Kontrolle zu behalten. Die Leitung des Spartakusbundes um die späteren KPD-Gründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zögerte. Am 8. November gaben Liebknecht und andere schließlich die ersten Aufrufe zur Revolution heraus. Sie fielen auf fruchtbaren Boden. Am 9. November war Berlin im Generalstreik. Hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter zogen in das Berliner Stadtzentrum und aus den Kasernen schlossen sich ihnen die Soldaten an.
Das Polizeipräsidium wurde besetzt, die Polizei entwaffnet und ein neuer revolutionärer Polizeichef ernannt. Vom Fenster des besetzten Berliner Schlosses rief Liebknecht die »Freie sozialistische Republik Deutschland« aus. Er forderte die versammelte Menge auf, die Hand zum Schwur auf die sozialistische Republik und die Weltrevolution zu erheben. Tausende Hände erhoben sich.
Die SPD wollte nicht so weit gehen wie Liebknecht und fürchtete vielmehr eine Radikalisierung der Massen. Ihr Vorsitzender Friedrich Ebert lehnte die Abschaffung der Monarchie ab, weil er fürchtete, dies würde »freie Fahrt für den Bolschewismus« bedeuten. Doch unter dem Druck der Massen rief der SPD-Mann Philipp Scheidemann vom Reichstag aus fast gleichzeitig mit Liebknecht die Republik aus. Die Monarchie in Deutschland war gestürzt. Es sollte nicht das letzte europäische Land sein, in dem die Arbeiterinnen und Soldaten in den folgenden Monaten und Jahren die alte Herrschaft stürzten. Dafür gab es ein großes Vorbild.
Foto: wikimedia / Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-810 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0