Die Berliner Bevölkerung entscheidet sich gegen Bebauung des Tempelhofer Feldes und verpasst SPD/CDU-Senat eine Klatsche. Lucia Schnell, Sprecherin der LINKEN Neukölln, analysiert die Gründe für diesen Erfolg.
Am Tag der Europawahlen, am 25. Mai 2014, konnten die Berlinerinnen und Berliner auch über die Zukunft des ehemaligen Flughafengeländes Tempelhof entscheiden. Monatelang sprach sich in Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung für die Bebauung aus und gegen die Pläne der Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“, die das Volksbegehren initiiert hatten. Doch die Aktiven der Bürgerinitiative gewannen den Volksentscheid, nahmen der Baulobby und Immobilienspekulanten ein riesiges Profitfeld und setzten ein klares Signal gegen steigende Mieten und Privatisierung.
Nachdem die Bürgerinitiative und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer in der zweiten Stufe des Volksbegehrens mehr als 186.000 gültige Unterschriften gesammelt hatten, setzte die Berliner SPD alles daran, den Volksentscheid zu gewinnen. Ihr Argument: Auf dem Tempelhofer Feld wolle man vor allem „bezahlbaren Wohnraum“ schaffen. Bau-Senator Michael Müller (SPD) versprach subventionierte öffentliche Wohnungen, obwohl er zu mehr als 90 Prozent Luxuswohnungen und Gewerbe plante. Eine 100.000 Euro teure PR-Kampagne der SPD prangerte den angeblichen „Stillstand“ an, den eine Nicht-Bebauung in Berlin verursachen würde. Zudem versuchte die SPD, Verbände und soziale Organisationen der Stadt auf ihre Seite zu ziehen – teilweise erfolgreich. Sie gründeten ein Bündnis mit dem klangvollen Namen „Tempelhofer Feld für alle“, bei dem nicht nur die Industrie- und Handelskammer und der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmer mitmachten, sondern auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, das Rote Kreuz, der Landessportbund, die AWO und viele andere.
Der Senat stellte außerdem ein eigenes Gesetz zur Abstimmung, demzufolge die Mitte des Feldes als Park erhalten bleiben und nur die Ränder bebaut werden sollten. Auch behauptete der Senat, mit dem Gesetz der Bürgerinitiative könnten weder Bäume noch Bänke noch Toiletten auf dem Feld aufgestellt werden. Keine Lüge war ihm zu dumm.
Der Senatskampagne entgegenzuwirken, war eine riesige Herausforderung für die Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“ und ihre Unterstützer. In den an das Feld angrenzenden Bezirken Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof waren viele Anwohnerinnen und Anwohner vom Feld als freie, kostenlose Erholungsfläche überzeugt. Aber je weiter ein Stadtbezirk vom Feld entfernt lag, desto weniger Menschen hatten sich in der zweiten Stufe des Volksbegehrens mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Feldes eingesetzt. In Marzahn beispielsweise waren es weniger als drei Prozent. Wie sollten wir die Bevölkerung in den restlichen Bezirken Berlins überzeugen?
Im Herbst 2013 war das Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Energieversorgung wegen 20.000 fehlender Stimmen knapp an der vorgeschriebenen Hürde von 25 Prozent, das heißt rund 620.000 Stimmen, gescheitert. In Umfragen stützte zudem die Mehrheit der Berliner Bevölkerung einen sozialen Wohnungsbau, auch auf dem Tempelhofer Feld.
Der Kampagne des Senats setzte die Bürgerinitiative eine breit angelegte Kampagne von unten entgegen. Die Aktiven änderten ihre Strategie, das Feld vor allem als ökologisch wichtige Erholungs- und Freifläche zu bewerben. Sie gingen in der Wohnungsfrage zur Attacke auf den Senat über und griffen das Märchen des sozialen Wohnungsbaus auf dem Feld an. Mehr noch: Sie veröffentlichten ein Senatsdokument, das die öffentlichen Kosten der Bebauung auf 620 Millionen Euro bezifferte – Zahlen, über die seitens des Senats nie gesprochen wurde. Die Initiative erinnerte daran, dass der Senat in den vergangenen Jahren 200.000 städtische Wohnungen privatisiert hatte. Sie rechnete vor, dass ausreichend Bauflächen außerhalb des Felds existieren und wies darauf hin, dass im „Masterplan“ des Senats keine Sozialwohnungen auf dem Feld vorgesehen waren.
Der Senat kommunizierte vor allem über die Presse und über Werbekampagnen der öffentlichen Unternehmen. Die Aktiven der Bürgerinitiative gaben die Information den Menschen persönlich, erst durch Flugblätter und Plakate. Und in den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung verteilten sie 250.000 Exemplare der Massenzeitung „Feld“, die die Lügen des Senats verständlich auf vier Seiten konterte. Die Zeitung machte nach Einschätzung vieler Beteiligter einen großen Unterschied. So kippten wir die Stimmung in der Stadt.
Mit einer rein ökologischen Kampagne für das Feld hätten wir die Propaganda für bezahlbaren Wohnraum des Senats nicht kontern können. Das Volksbegehren vernetzte sich mit anderen Bürgerinitiativen und Mieterprotesten. Grundlage für den Erfolg war, dass der Senat nicht glaubwürdig in der Wohnungspolitik war. Mieterproteste hatten ihn in den letzten Jahren herausgefordert. Die allgemeine Erfahrung war und ist: Überall entstehen Luxuswohnungen und Lofts, die Mieten steigen in gigantischem Ausmaß und der Senat privatisiert weiter öffentliche Wohnungen, wie eine Anfrage der Grünen ergab.
Das Ergebnis des Volksentscheids drückt auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit neoliberaler Stadtpolitik aus. Berlin hat in den 90er und 2000er Jahren fast alle öffentlichen Unternehmen privatisiert, bis auf die Verkehrsbetriebe und die Müllabfuhr, wo der Widerstand zu groß war. Es gab nach dem Berliner Bankenskandal aus dem Jahr 2001 eine Welle von Sozialkürzungen, Personalabbau im öffentlichen Dienst und Kürzungen in den Bezirken, die bis heute nachwirkt. Geschadet hat dem Senat sicher auch der Skandal beim Flughafen Berlin-Brandenburg und die Pläne für die protzige Zentral- und Landesbibliothek, die auf dem Feld gebaut werden sollte, aber schon vor Baubeginn 100 Millionen teurer werden sollte, als ursprünglich kalkuliert.
Welche Rolle hat DIE LINKE gespielt?
DIE LINKE Neukölln hat die Kampagne der Bürgerinitiative von Anfang an seit dem Jahr 2012 politisch unterstützt. Als Bezirksverband haben wir Unterschriften auf der Straße und in unserem Umfeld gesammelt. Unser Material wendete sich gegen die Luxusbebauung, steigende Mieten und unsoziale Mietpolitik des Senats. Unsere Aufkleber „Tempelhofer Feld: Grillen statt Villen“ klebten an vielen Laternen. Parteimitglieder haben kontinuierlich in der Bürgerinitiative mitgearbeitet und unsere politische Erfahrung aus vergangenen Volksbegehren eingebracht. Sieben Wochen vor dem Volksentscheid haben wir hunderte eigene Wahl-Plakate zum Tempelhofer Feld aufgehängt, die sich gegen die Senatspläne, Privatisierung und Spekulation richteten. Neben unserer eigenen Bezirkszeitung verteilten wir ebenso die Zeitung der Bürgerinitiative. Insgesamt haben wir eine wichtige Kampagnen-Erfahrung gemacht und zur politischen Verallgemeinerung gegen neoliberale Stadtpolitik beigetragen.
In Neukölln stimmten 74,4 Prozent für das Gesetz der Bürgerinitiative, zugleich lehnten 70,6 Prozent den Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses ab. Wir haben Wählerinnen und Wähler von CDU und SPD für eine Stimmabgabe zugunsten des Gesetzestexts der Bürgerinitiative gewonnen. Als DIE LINKE haben wir uns über die Kampagne als zuverlässiger Bündnispartner für außerparlamentarische Initiativen etabliert, uns im Bezirk bekannter gemacht und weiter verankert. Das zeigt unter anderem unser gutes Wahlergebnis bei den Europawahlen, wo wir unsere Stimmen im Bezirk verdreifachen und in Nord-Neukölln überall die SPD überholen konnten.
Wir haben in einem zähen Prozess versucht, die gesamte LINKE Berlin auf Seite der Bürgerinitiative zu ziehen. Der Landesverband befindet sich nach zehn Jahren Regierungsbeteiligung, in der aufgrund der Privatisierung von städtischen Wohnungen viel Glaubwürdigkeit bei Mieterinitiativen verspielt wurde, in einem Prozess der Neuorientierung als Oppositionskraft. Der Landesverband hat letztes Jahr sehr erfolgreich das Energie-Volksbegehren unterstützt.
Beim Tempelhofer Feld haben wir argumentiert, dass wir Unterschriftensammlung und die Argumente gegen die SPD-Märchen vom sozialen Wohnungsbau in alle Bezirke tragen sollen. Wir haben die Diskussion zunächst verloren: Der Landesparteitag entschied sich auf Drängen von Abgeordneten und Landesspitze für eine Teilbebauung des Felds. Das war ein schwerer Fehler, denn es bedeutete, die Bürgerinitiative alleine zu lassen, ein Scheitern des Volksbegehrens in Kauf zu nehmen und SPD und CDU zu schonen.
Erst nachdem das Volksbegehren die zweite Hürde genommen hatte, beschloss der Landesparteitag eine Unterstützung des Volksentscheids. Danach hat DIE LINKE tatsächlich einen wichtigen Unterschied gemacht. So warben Genossinnen und Genossen auch dort in Bezirken für das Anliegen der Bürgerinitiative, wo es den Aktiven der Bürgerinitiative nicht möglich war, vor Ort zu sein. Als DIE LINKE Neukölln haben wir andere Bezirke mit Texten, Flugblättern, Referaten und Ratschlägen unterstützt. Schlussendlich hat DIE LINKE stadtweit, aber vor allem in ihren Hochburgen, mit dazu beigetragen, dass in allen Bezirken eine Mehrheit gegen den Senat stimmte.
Bei der Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative haben wir Wert darauf gelegt, linke und antikapitalistische Argumente nach vorne zu bringen, ohne den breiten Charakter der Bürgerinitiative aufzulösen. Ein Mitglied des Vorstands der Bürgerinitiative würdigte, dass es möglich war, mit uns in einer Sachfrage sehr eng zusammenzuarbeiten, ohne vereinnahmt zu werden. Wir haben als Partei immer den Bündnischarakter der Bürgerinitiative respektiert und versucht die Vernetzung auszuweiten. Im Ergebnis haben sowohl die Bewegung als auch die Partei von der Zusammenarbeit profitiert: die Bewegung, weil DIE LINKE Geld, Aktive sowie politische Ideen und Erfahrungen eingebracht hat. Die Partei, weil sie sich politisch profiliert und durch die Straßenkampagne Mitglieder und Wähler gewonnen hat. Ein Drittel der bundesweiten Stimmenzuwächse der LINKEN kamen aus Berlin.
Jetzt nachlegen und in die Offensive gehen
Durch den Erfolg ist der Widerstand beflügelt und die heuchlerische Wohnungspolitik des Senats entblößt. Mieterinitiativen gehen in die Offensive für soziale Wohnungspolitik. Denn bezahlbares Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das nicht vom Markt befriedigt werden kann. Wir fordern mit anderen Initiativen eine 100 Prozent soziale Wohnungspolitik – den Erhalt der noch bestehenden Sozialwohnungen, keine weitere Privatisierung von städtischen Wohnungen, nachhaltige Sanierung ohne Luxussanierung, den Rückkauf privatisierter Wohnungen und einen echten sozialen Wohnungsbau. Dazu braucht es eine ausreichende öffentliche Finanzierung. Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, vernetzen wir uns mit mieten- und stadtpolitischen Initiativen. Ein mögliches Volksbegehren zu 100 Prozent sozialer Wohnungspolitik werden wir in den nächsten Monaten gemeinsam prüfen.
Foto: Scoobay
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