Social Distancing ist angesagt. Noch auf der Suche nach Tipps für TV-Serien? Gerade in Deutschland lässt sich noch der ein andere Geheimtipp finden… Von Alban Werner
Das »lineare« Fernsehen sowie Streaming-Dienste und Datenträger zusammengenommen machen das Angebot an Serien nahezu unüberschaubar. Doch oft haben wichtige Klassiker oder relativ junge Produktionen (bislang) nicht den Weg auf die größten Streaming-Plattformen oder ins Fernsehen gefunden. Noch ärgerlicher ist das in Zeiten, in denen Studios zunehmend auf Nummer sicher gehen. Disney wird mit seinem hauseigenen Streaming-Dienst die »Star Wars«-Kuh sicherlich melken bis zum Umfallen. Selbst von Klassikern wie »Magnum P.I.« oder »MacGyver« werden belanglose Remakes gedreht. Überdies werden längst auserzählte Sitcoms wie »Roseanne«, »Will & Grace« oder »Verrückt nach Dir« wiederbelebt, weil man voll auf den Wiedererkennungswert setzt. Umso wichtiger ist es, denjenigen Serien-Juwelen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, die nicht aufs Recycling bekannter Erfolgsparameter setzen, sondern sich noch etwas trauen.
Edge of Darkness
Der neuseeländische Regisseur Martin Campbell kann sich gleich mehrere Auszeichnungen ans Revers heften. Nicht nur verhalf er James Bond gleich zweimal zum Comeback: Er drehte sowohl den ersten Pierce-Brosnan-Bond »Goldeneye«, wie auch mit »Casino Royale« Daniel Craigs Einstand als 007. Bereits zehn Jahre vor seinem ersten Bond inszenierte er einen Serienbrillanten, der vielen bis heute als beste Miniserie des britischen Fernsehens gilt.
»Edge of Darkness« ist ein düsterer, ungeheuer atmosphärischer Thriller aus dem Margaret-Thatcher-Großbritannien der 1980er Jahre, der diese Zeit unverwechselbar filmisch aufbereitet. Der Polizist Ronald Craven (herausragend: Bob Peck) ist mit seiner linksaktivistischen Tochter Emma (Joanne Whalley) unterwegs nach Hause, als beide von einem Angreifer überrascht werden, der Emma erschießt. Die Polizei geht davon aus, dass die Kugeln ihrem Kollegen galten, doch Craven findet im Nachlass seiner Tochter radioaktiv verseuchte Gegenstände. Er beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Die Spur führt ihn zu Atomkonzernen, US-amerikanischen Geheimdiensten, über linke Milieus und Gewerkschaftsfunktionäre bis hin zu übernatürlichen Kräften.
Im deutschen Fernsehen lief die Miniserie erst vier Jahre nach der britischen Erstausstrahlung unter dem Titel »Am Rande der Finsternis«. Im Jahr 2010 inszenierte Campbell eine US-amerikanische Filmversion mit Mel Gibson in der Hauptrolle. Man sollte aber dringend zum Original greifen, weil es trotz mittlerweile 35 Jahren nichts verloren hat vom fast hypnotischen Bann, in den die Geschichte die Zuschauenden zieht. Nicht nur stilistisch ist die Serie erstaunlich gut gealtert, sondern ihr Blick auf umweltpolitische Aspekte, auf bürokratische Machtapparate und Vertuschungen, aber auch auf eine Jugend, die sich von ihren Eltern emanzipiert, sind ungebrochen aktuell. Gerade Linke werden zudem ins Schmunzeln kommen, wenn Protagonist Craven auf Aktivistinnen und Aktivisten trifft, bei denen es sich kaum verfremdet um Leute von SWP oder »Militant« handelt.
Unter dem deutschen Titel »Am Rande der Finsternis« ist die aus sechs Folgen bestehende Miniserie auf DVD erhältlich.
Baron Noir
Der französische Schauspieler Kad Merad könnte auch in Deutschland einigen bekannt vorkommen. 2008 spielte er die Hauptrolle in »Willkommen bei den Sch’tis«, mit dem erstmals ein Film in Frankreich den über 40jährigen Besucherrekord der Louis-de-Funès-Komödie »Drei Bruchpiloten« übertraf. Dieser Rekord wurde in Frankreich selbst von »Ziemlich beste Freunde« nicht eingeholt. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen, als eine Polit-Serie mit Merad in der Hauptrolle angekündigt wurde.
Diese Erwartungen konnte Merad als titelgebender politischer Strippenzieher mehr als erfüllen. Er glänzt in der Rolle des geradezu besessenen Philippe Rickwaerts, Bürgermeister und Abgeordneter (solche Ämterhäufung ist in Frankreich keine Seltenheit) der nordfranzösischen Stadt Dünkirchen. Sein Freund, der auf der Siegerspur fahrende Präsidentschaftskandidat der Sozialisten (PS) Francis Laugier, lässt ihn nach einem Finanzskandal fallen, woraufhin Rickwaert Rache schwört. Die Konstellation ist Ausgangspunkt für ein oft atemberaubendes Wechselspiel von Schachzügen, mit denen die Protagonisten um Kontrolle und Ansehen in ihrer Partei und ihrem Umfeld ringen.
Faszinierend ist an der Figur des Rickwaerts, dass er anders als die unvermeidlich sich aufdrängende Vergleichsfigur des Frank Underwood aus dem US-amerikanischen »House of Cards« kein gewissenloser, kalter Machtpolitiker ist, sondern sich dezidiert als Parteilinker versteht. So kommt es zu phantastischen Schlagabtauschen, als Rickwaerts der PS-Generalsekretärin vorwirft, sie würde die Arbeiterklasse verachten, oder als er mit einem Blaumann bekleidet in der Nationalversammlung eine klassenkämpferische Agitationsrede hält, um einer Bewegung sozial benachteiligter Heranwachsender politischen Rückenwind zu verschaffen. Inhaltlich wie handwerklich lässt die Serie wenig zu wünschen übrig: Nicht nur ist die Inszenierung kinoreif, auch in der Anlehnung an reale politische Personen und Ereignisse erweist sich die Serie als klarer Volltreffer. In der zweiten Staffel wurde – ohne hier zu viel zu verraten – viel von dem vorweggenommen, was bei den zeitgleich zum Dreh stattfindenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 mit dem Aufstieg Macrons und der Verdrängung des bis dahin bekannten Parteiensystems Wirklichkeit werden sollte. Für diese Serie spricht, dass man kaum verhindern kann, mit Rickwaerts mitzufiebern, auch wenn man seine Methoden – ja, selbst, wenn man seine Ziele eigentlich ablehnt.
»Baron Noir« hat bisher 16 Folgen in zwei Staffeln und ist auf DVD, dem Bezahlsender Sony Channel sowie bei Amazon Prime verfügbar.
The Good Fight
Zu Beginn der Serie »The Good Fight« sitzt die verdiente Rechtsanwältin Diane Lockhart (Christine Baranski) schockiert vor ihrem Fernseher und verfolgt live die Amtsantrittsrede von US-Präsident Donald Trump. Als Eröffnung ist das gut gewählt, denn man könnte »The Good Fight« in einem Satz treffend umschreiben mit »die Serie, um Donald Trump zu überleben, ohne verrückt zu werden«. »The Good Fight« ist Fortsetzung und Spin-Off von »The Good Wife«, kann aber auch ohne den Vorläufer gesehen werden. Die Ausgangslage verändert sich radikal: Diane kann sich nicht zur Ruhe setzen, nachdem alle ihre Ersparnisse vom Bernard-Madoff-Wiedergänger Henry Rindell betrügerisch vernichtet wurden. Sie wird von der bis dahin komplett afroamerikanisch besetzten Kanzlei Reddick, Boseman & Kolstad angeheuert. Zusammen mit den beiden jungen Anwältinnen Maia Rindell – ausgerechnet die Tochter des Mannes, der sie um ihre Ersparnisse gebracht hat – und Lucca Quinn bildet Lockhart das Trio der Hauptcharaktere, um die sich um ein Kranz kantiger und charismatischer Nebenfiguren reiht, allen voran der großartige Delroy Lindo als Adrian Boseman. Aus diesem Setting heraus werden alle Untiefen der USA unter Trump erkundet – Polizeigewalt, Rassismus, politische Intrigen, Spionage, Überwachung. Eine Serie, bei der man nie weiß, was eine/-n erwartet, und sich gerade deswegen auf die nächste Folge freut.
Die ersten beiden Staffeln von »The Good Fight« mit jeweils 10 und 13 Folgen sind auf DVD, beim Bezahlsender Fox sowie bei Amazon Prime verfügbar.
Line of Duty
Jed Mercurios Miniserie »Bodyguard« war 2018 DER Straßenfeger im britischen Fernsehen. Nicht nur deswegen lohnt es sich, einen Blick auf seine seit 2012 laufende Schöpfung »Line of Duty« zu werfen. Im Mittelpunkt der BBC-Serie steht die Antikorruptionseinheit der Londoner Polizei AC-12. Dorthin wird Steve Arnott (Martin Compston) versetzt, nachdem er sich weigert, an der Vertuschung einer illegalen Erschießung durch seine Einheit mitzuwirken. Unter seinem neuen Vorgesetzten Ted Hastings (Adrian Dunbar) werden er und Kate Fleming (Vicky McClure) auf kriminelle Machenschaften und Amtsmissbrauch in der Truppe angesetzt. Dabei ist Arnott das »offizielle« Gesicht, während Fleming oftmals undercover eingeschleust wird. Schon bald nach dem Einstieg wird offenbar, dass es nicht nur Netzwerke organisierter Kriminalität gibt, deren Kontakte bis in hohe Etagen der britischen Polizei reichen. Sogar in Hastings eigener Truppe versteckt sich ein Maulwurf, durch den die Kolleginnen und Kollegen von AC-12 mitunter in tödliche Gefahr geraten.
Man muss manchen nicht gerade plausiblen »Plot Twist« verzeihen, doch dann ist »Line of Duty« mit Sicherheit eine der spannendsten Serien der vergangenen Jahre. In wohltuender Abweichung vom Krimi-Einheitsbrei geraten hier die »repressiven Staatsapparate« selbst ins Visier.
»Line of Duty« zählt bislang 29 Folgen in fünf Staffeln, die allesamt auf DVD oder beim Sender 13th Street verfügbar sind.
Zum Autor: Alban Werner ist Politikwissenschaftler aus Aachen und filminteressiert, seitdem er 1994 ehrenamtlich im kommunalen Kino mitarbeitete. Neben Kapitalismus und Frauenunterdrückung findet er auch Filme von Michael Bay, Roland Emmerich und Zack Snyder zum Kotzen.
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Foto: jaygoldman