»Gib mir Gefahr« hieße der neue Film von Jim Jarmusch über Iggy Pop und seine wegweisende Punkband The Stooges auf Deutsch. Hat unser Autor Phil Butland deshalb vielleicht zu viel erwartet?
2016 war ein produktives Jahr für den Filmregisseur Jim Jarmusch. Im Herbst brachte er »Paterson« heraus – ein Film voller Sehnsucht über einen Busfahrer-Schrägstrich-Dichter (Rezension von »Paterson«). Jetzt kommt der Dokumentarfilm, den er gleichzeitig gedreht hat, ebenfalls in die deutschen Kinos.
Nichts los?
In »Paterson« passiert nichts. Die ganze Zeit. In »Gimme Danger« ist auch nicht viel los – und das ist etwas überraschend, denn das Thema des Films ist die legendäre Musikgruppe The Stooges und ihr Sänger, der Ur-Punk Iggy Pop, der diese Woche auch seinen siebzigsten Geburtstag feiert.
Aber vor dem Gemecker zuerst die guten Nachrichten: Iggy Pop scheint absolut unfähig zu sein, langweilig zu werden, auch wenn seine Anekdoten nicht immer inhaltsreich sind. Einmal hat er Elvis Presley in einem Auto gesehen. Aber vielleicht war es doch nicht Elvis. Das war es dann auch schon. Aber Iggys Energie ist ansteckend und man erfreut sich eher an der Person selbst als an dem, was er zu sagen hat.
Zweitens überzeugt zwar Jarmuschs Behauptung nicht, dass die Stooges »die allergrößte Rock‘n‘ Roll-Band der Geschichte« seien, aber ihr Einfluss war tatsächlich groß. Gegen Ende des Films werden eine Reihe von Alben gezeigt – manche davon großartig, andere weniger – deren Künstlerinnen und Künstler sich den Stooges zu Dank verpflichtet fühlen. Ein sehr plausibles Argument dafür, dass Punkrock ohne die Stooges viel langweiliger wäre.
Besonders revolutionär an den Stooges war, dass sie ihrer Zeit weit voraus waren. Ihre drei wichtigsten Alben haben sie in der Zeit von 1969 bis 1973 aufgenommen, als die Musikszene ansonsten immer noch von sanften Hippies und oberschlauen Progressive-Rock-Musikern beherrscht wurde. Im Film behauptet Iggy – nicht ohne Grund – dass die Stooges viel dazu beigetragen haben, den Sechzigern ein Ende zu bereiten. Mit den sechziger Jahren meint er »korrupte Darsteller« wie Crosby, Stills and Nash oder wortreiche, tiefgründige Songtexte wie die von Bob Dylan. Iggys Vorbild war eher Soupy Sales, der Fernsehkomiker, der sagte, ein Brief dürfe nie mehr als 25 Wörter lang sein.
Probleme des Dokumentarfilms
Aber trotz der lebhaften Interviews und der inspirierenden Konzertmitschnitte ist der Film letztendlich recht konventionell und kaum zu unterscheiden von den Tausenden anderen Rockdokumentarfilmen, die gar nicht erst im Kino laufen und auf Flohmärkten für ein paar Cents angeboten werden.
Das liegt zunächst daran, dass damals nicht so viele Konzerte gefilmt wurden und es nur eine begrenzte Zahl von Aufzeichnungen gibt, die Jarmusch verwenden konnte. Daher zeigt er dieselben Ausschnitte immer wieder und dazu Teile von alten Filmen und Fernsehserien. Deren Zusammenhang mit der Musik ist aber nicht allzu deutlich und »Gimme Danger« wirkt oft wie eine schlechte Kopie eines Films von Julien Temple (ein Musikfilmmacher, den ich sowieso äußerst überschätzt finde).
Jarmuschs zweites Problem ist, dass Iggy nicht alles erzählen kann und dass nicht alle seiner drogenerfahrenen Musikerkollegen seiner Ausdrucksfähigkeit das Wasser reichen können. Teile des Films zeigen nicht mehr als alte Männer, die vor der Kamera versuchen, sich an ihre Jugendzeit zu erinnern. Als Zuschauerinnen und Zuschauer liegt so eine doppelte Barriere zwischen uns und den aufregenden Zeiten damals.
Ein Salto als Antwort
Aber für mich besteht das Hauptproblem in dem Versuch, die Musik der Stooges isoliert zu beschreiben, ohne die Außenwelt oder sogar musikalische Entwicklungen mit einzubeziehen. Wir erfahren – richtigerweise – wie die Stooges die Geburt des Punk im Jahr 1976/7 beeinflusst haben. Aber weil der Film sich ausschließlich auf die Gruppe fokussiert, erfahren wir nicht, dass Iggy zu dieser Zeit seine zwei beste Alben – »The Idiot« und »Lust for Life« – gemeinsam mit David Bowie herausbrachte: Er war nicht nur der Urvater der Punkbewegung, sondern auch selbst aktiv in ihr.
Gleichzeitig versucht Jarmusch, die Musik von politischen Entwicklungen zu trennen. Wir sehen, wie sich die Stooges gemeinsam mit MC5 entwickelt haben – eine viel politischere Gruppe, die auch aus Detroit stammt. Der Manager von MC5, John Sinclair, gründete die White Panther Party in Solidarität mit den Black Panthers. Im Jahr 1968 lud Sinclair die Stooges ein, bei den Protesten gegen den Parteitag der Demokraten in Chicago zu spielen. Iggy erzählt, dass er weder ja sagen, noch sich vorstellen konnte, nein zu sagen. Seine Reaktion war es deswegen, einen Salto durch den Raum zu machen.
Natürlich ist keine Band verpflichtet, sich politisch zu äußern – nicht einmal, wenn sie so gegen das Establishment aufbegehrt wie die Stooges –, aber Jarmusch übernimmt den apolitischen Nihilismus der Gruppe. Die Stooges werden als einzigartiges Phänomen dargestellt, nicht als ein Produkt ihrer Zeit. In diesem Sinne ist »Gimme Danger« kein schlechter Film, sondern einer, der viel besser sein könnte.
Es bleiben Widersprüche
Der Film endet mit den Wiedersehenskonzerten, die die Gruppe im Jahr 2003 erneut zusammenbrachten. Die Musik war immer noch hervorragend, aber die Stooges nun nicht mehr gefährlich, sondern Teil des Establishments gegen das sie (sehr laut) angeschrien hatten. Als Teil ihrer Insitutionalisierung sehen wir, wie sie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurden. Es fehlt nur noch die Fernsehwerbung für eine Autoversicherung, die Iggy 2009 gemacht hat.
Trotz allem behauptet Iggy, dass die Stooges Kommunisten geblieben sind – sein Beweis dafür ist, dass er viermal mehr Gage als angeboten für die Geldmacherei-Wiedersehenstour verlangt hat, damit die Bandmitglieder den Reichtum gleichmäßig unter sich aufteilen konnten. Es gehört zu den Widersprüche der Stooges (und von rebellischer Musik im Kapitalismus überhaupt), dass er teilweise Recht hat. Iggy ist und bleibt eine erfrischende Alternative zum einfallslosen Sanftmut eines Ed Sheeran und Konsorten.
Fazit: Die Stooges und besonders Iggy sind nach wie vor relevant und es lohnt sich, sie besser kennen zu lernen. Aber dem Film fehlt die Aufregung und – ja – Gefahr, die von den Alben und Konzerten ausgeht. »Gimme Danger« ist schon sehenswert, aber wer wenig Geld hat, sollte sich lieber den Soundtrack kaufen als ins Kino zu gehen. Der Film ist leider eine verpasste Gelegenheit – gewöhnliches Abfilmen der Realität, das aber außergewöhnlich wirken sollte.
Der Film:
Gimme Danger
Regie: Jim Jarmusch
USA 2016
StudioCanal Deutschland
108 Minuten
ab 27. April im Kino
Foto: Kmeron
Schlagwörter: David Bowie, Detroit, Jim Jarmusch, Punk