Er war das »poetische Megaphon der westdeutschen Linken«. Der Kommunist und Liedermacher Franz Josef Degenhardt wäre heute 90 Jahre alt geworden. Eine kritische Würdigung. Von Martin Haller
»Bei den Demonstrationen von Heißspornen in Universitäten und Biersälen gegen alles, was in unserem Staat und anderswo nicht zu gefallen vermag, spielen Männer eine besondere Rolle, die man Protestsänger – Problemsänger nennt. Vernachlässigt ist die Kleidung, laienhaft das Spiel auf der Gitarre, aber mutig und kompromisslos ist der Text ihrer Lieder. Was sind das eigentlich für Leute, die dieses Wagnis auf sich nehmen von der Masse in die Nähe von Rummelplatzsängern gerückt zu werden? Sind sie Fantasten? Wollen sie nur das magere Geschäft beleben? Oder sind sie wirklich politisch engagiert?« Diese Fragen stellte der Moderator des Fernsehmagazins Monitor 1967 in der Anmoderation eines Beitrags über den Liedermacher Franz Josef Degenhardt. Doch ein Fantast war Degenhardt keinesfalls. Kaum ein anderer Künstler der deutschen Nachkriegsgeschichte stand in solch kompromissloser Gegnerschaft zu den herrschenden Verhältnissen und wahrte dennoch stets einen scharfen Blick für die Realität. Auch sein politisches Engagement ist unbestreitbar. Sein gesamtes Leben über blieb er seinen Idealen treu, auch wenn er dafür verhöhnt oder beschimpft wurde.
Als Protestsänger bin ich nur ein Alibi für die herrschende Klasse
1968 beendete der promovierte Jurist seine akademische Laufbahn, verzichtete auf die Habilitation und begann als Rechtsanwalt mit der Verteidigung von Mitgliedern der Außerparlamentarischen Opposition. »Als Protestsänger bin ich nur ein Alibi für die herrschende Klasse. Zweitausend Demonstranten-Prozesse stehen an. Da genügen keine Lieder mehr.« Als aktives SPD Mitglied setzte er sich für eine Zusammenarbeit mit der neu konstituierten Kommunistischen Partei ein. 1971 wurde er aus der SPD ausgeschlossen. Er hatte im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf die DKP unterstützt. Zum Vorwurf mangelnder Solidarität mit seiner Partei erklärte Degenhardt, er empfinde »Solidarität mit den rechten Parteiführern vom Schlage der Herren Schmidt, Schiller und Leber als Zumutung«. 1978 trat er schließlich der DKP bei.
Neben seiner politischen Arbeit hielt er der Kunst stets die Treue und feierte als Liedermacher und Schriftsteller große Erfolge. Man nannte ihn das »poetische Megaphon der westdeutschen Linken«. Radikal und lyrisch, zynisch-heiter und provozierend, zuweilen aber auch melancholisch und nachdenklich befasste er sich in seinen Texten mit der Aufarbeitung seiner politischen Erfahrungen sowie der Kritik an den herrschenden Verhältnissen.
Widersprüche im Nachkriegsdeutschland
Seinen ersten großen Erfolg feierte Degenhardt bereits vor dem Höhepunkt der APO mit dem Album »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern«. In ihm thematisiert er die Spießigkeit der Nachkriegsjahre, den deutschen Faschismus, den Vietnamkrieg sowie die Gefahr einer atomaren Katastrophe. Das gleichnamige Lied erzählt die Geschichte eines Jungen aus bürgerlichem Hause, der sich regelmäßig aus dem Haus schleicht, um mit Arbeiterkindern zu spielen. Seine Eltern zwingen ihn jedoch die Oberschule zu besuchen und den ihm vorbestimmten Karriereweg zu gehen. Der Ausspruch »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« wurde zum geflügelten Wort und dient noch heute als Metapher für bürgerliche Arroganz.
Immer wieder behandeln Degenhardts Lieder die Widersprüchlichkeit zwischen dem sorglosen Alltagsgeschehen in der BRD und dem in weiten Teilen der Bevölkerung noch omnipräsenten faschistischen Gedankengut. Eines seiner unverwechselbaren Stilmittel ist es durch die folkloristischen Motive seiner Lieder eine Idylle vorzutäuschen, welche dann durch die Brisanz der Texte wieder aufgebrochen wird. Der starke Kontrast zwischen Musik und Texten fungiert dabei als ein Sinnbild für die immanenten gesellschaftlichen Widersprüche im Nachkriegsdeutschland. Je fröhlicher die Musik und warmherziger der Gesang, umso schärfer die Kritik und böser die Texte.
Was nur da geschrien hat? Ich werd’ so entsetzlich satt
Beispielhaft hierfür ist das Lied »Deutscher Sonntag«. Hinter der Darstellung einer spießbürgerlichen Kleinstadtatmosphäre wird nach und nach die Fratze des Faschismus sichtbar. »Da hockt die ganze Stadt und mampft, dass Bratenschweiß aus Fenstern dampft. Durch die fette Stille dringen Gaumenschnalzen, Schüsselklingen, Messer, die auf Knochen stoßen, und das Blubbern dicker Soßen. Hat nicht irgendwas geschrien? Jetzt nicht aus dem Fenster sehn, wo auf Hausvorgärtenmauern ausgefranste Krähen lauern. Was nur da geschrien hat? Ich werd’ so entsetzlich satt.«
Mit dem Aufkommen der Studentenbewegung wurden Degenhardts Lieder zunehmend agitatorischer. Er versuchte seiner Musik eine »Nutzanwendung« zu geben und unmittelbar in die Debatte einzugreifen. Nicht nur hier wird deutlich, dass Degenhardt an die Traditionen politischer Künstler wie Berthold Brecht anknüpfen wollte. Nur Hohn und Spott hatte er in seinem 1968 erschienen Album »Wenn der Senator erzählt« für missmutige Gewerkschafter und Sozialdemokraten übrig, welche gegen die Radikalität der APO wetterten. »Aufbauen ,Schritt für Schritt, sagt der alte Sozialdemokrat und spricht und spricht, bloß ändern das will er nicht«, heißt es in einem seiner Stücke.
Degenhardt: Künstler, Revolutionär und Trinker
In Folge des Niedergangs der 68er-Bewegung begann der überzeugte Kommunist sich der Kritik an der sozial-liberalen Einstellung vieler ehemaliger Kampfgenossen zu widmen. Im 1977 erschienen Album »Wildledermantelmann« verarbeitet er seine Enttäuschung über einstige Genossen und bezichtigt sie des Verrats an den sozialistischen Idealen. Doch auch seine eigene Rolle als Künstler, Revolutionär und Trinker wurde von Degenhardt selbstkritisch reflektiert. Er bezeichnete sich als einen »versoffenen Chronisten« und gab die Parole aus: »Schöne Poesie ist Krampf im Klassenkampf.«
Mit dem Abflauen der Arbeiterbewegung in der BRD wandte sich Degenhardt zunehmend der DDR zu. Der positive Bezug zum »Arbeiter-und-Bauern-Staat« in Liedern wie »Ja, dieses Deutschland meine ich« veranlasste westdeutsche Medien zu Boykottaufrufen. Degenhardt begriff die DDR als »Relais- und Hilfsstation im antiimperialistischen Kampf«. Für ihn waren dort »Leute aus dem revolutionären Teil der deutschen Arbeiterbewegung an der Macht«. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks bezeichnete er seine unkritische Haltung gegenüber der DDR zwar als schwereren Fehler, hielt jedoch die falsche Beurteilung über den Charakter des Regimes bis zuletzt aufrecht.
Sein Kampfgeist war allerdings gebrochen. »Unsere Generation hat diese letzte Schlacht verloren – in den Bauernkriegen hieß es: Unsere Enkel fechten’s besser aus. Heute müssen wir wohl auf die Urenkel hoffen.« Doch trotz seiner Resignation hörte Degenhardt nie auf Musik zu machen und wetterte weiter in gewohnt bitter-süffisanter Ironie gegen die Selbstherrlichkeit der Herrschenden. Bis zuletzt gelang es ihm auf einzigartige Weise Poetisches mit Politischem zu vereinen. Franz Josef Degenhardt wird in Erinnerung bleiben als Altmeister des politischen Liedes und radikaler Kämpfer für die Sache der Arbeiterklasse.
Foto: Heinrich Klaffs / flickr.com
Schlagwörter: Kultur, Musik