Weder der Westen noch Russland vertreten die Interessen der Bevölkerung. Ein Kommentar von Klaus Henning
Am Ende des Minsker Krisengipfels vom Februar stand ein Waffenstillstandsabkommen für die umkämpften Gebiete in der Ukraine. Doch ob das bestand haben wird, ist unwahrscheinlich. Denn auch die erste Waffenruhe vom September 2014 würde nie vollständig eingehalten. Schon währenddessen sind mindestens 1400 Menschen getötet worden. Bislang hat der Konflikt knapp 5000 Menschenleben gekostet.
Die Regierungen im Westen beschuldigen ausschließlich russische Separatisten der Gewalt. Die Regierung Russlands macht dagegen die ukrainischen Streitkräfte verantwortlich. Tatsächlich hat die ukrainische Regierung 50.000 Reservisten mobilisiert und offiziell bestätigt, dass Stellungen der Separatisten in allen Teilen des Donbass beschossen werden. Amnesty International beschreibt den Krieg als eine von beiden Seiten in Gang gesetzte Spirale von Vergeltungsmaßnahmen. Zunehmend gehen Militäraktionen von Wohngegenden aus.
Der Bürgerkrieg geht weiter, weil die US-amerikanische Regierung und mit ihr die Europäische Union das Land mit Hilfe der ukrainischen Regierung dominieren will und die russische Regierung dies durch Unterstützung der Separatisten zu verhindern sucht.
Obwohl es in der ukrainischen Bevölkerung bis heute keine Mehrheit für einen Nato-Beitritt gibt, fasste das Parlament im Dezember 2014 einen folgenschweren Beschluss: Die in der Verfassung verankerte politische Neutralität des Landes wurde aufgehoben und damit die Grundlage für einen Nato-Beitritt gelegt. Ein solcher Schritt musste Reaktionen der Gegenseite provozieren.
Ähnlich wie im Bosnienkrieg in den 1990er Jahren sollten sich Linke in diesem Krieg nicht mit einer Konfliktpartei solidarisieren. Bei den Separatisten handelt es sich um militärisch geschulte Kämpfer, die sich aus nationalistischen Kräften rekrutieren. In Anlehnung an das Zarenreich treten sie für die Schaffung »Neurusslands« in der Ukraine ein und halten enge Verbindungen zu russischen Nazigruppen. Sie werden von russischen Söldnern unterstützt, die Kriegserfahrung in Afghanistan und Tschetschenien gesammelt haben. Die von ihnen geschaffenen »Volksrepubliken« sind brutale Militärregime und Horte der Reaktion. Auf ukrainischer Seite kämpfen Bataillone, die sich aus der Organisation »Rechter Sektor« rekrutieren und modifizierte NS-Symbole als Erkennungszeichen verwenden. Auch sie werden von Söldnertruppen unterstützt. Sie propagieren einen westukrainischen Nationalismus, der sich ethnisch und sprachlich definiert. Er verehrt faschistische Verbrecher und schließt die Rechte von Minderheiten aus.
Anders als beim Bosnienkrieg lässt sich die Bevölkerung in der Ukraine bisher nicht in den nationalistischen Gewaltstrudel hineinziehen. Der ethnisch definierte Nationalismus findet in der Zentralukraine, wo die ukrainische und russische Sprache immer gemeinsam existierten, wenig Anklang. »Ukrainisch« wird hier politisch verstanden, als eine auf Neutralität beruhende Unabhängigkeitsidee und als Abgrenzung vom Gesellschaftsmodell des Oligarchenwesens. Die Einberufung von Reservisten hat zu einer Massenflucht junger Männer ins Ausland geführt, die nicht bereit sind, für die ukrainische Regierung zu sterben.
Weder die Europäische Union und die USA noch Russland vertreten die sozialen Interessen der Bevölkerung in der Ukraine. Linke sollten die imperialistischen Interessen der involvierten Staatenblöcke aufdecken, statt sich mit der einen oder anderen Seite gemein zu machen. Die Ukraine braucht weder Waffenlieferungen noch eine Politik des sozialen Kahlschlags, sondern einen Schuldenschnitt und eine Vergesellschaftung der Oligarchenvermögen.
Foto: snamess
Schlagwörter: Nationalismus, Russland, Ukraine