Die AfD hat vergangenen Sonntag bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 24,2 Prozent geholt. Sie ist damit zweitstärkste Kraft im Landtag – die LINKE hat ihr wenig entgegengesetzt. Von Vincent Streichhahn
Er konnte, er wollte, aber er wird nicht. Wulf Gallert wird auch nach seinem dritten Anlauf als Spitzenkandidat für die LINKE in Sachsen-Anhalt keine Regierung bilden. Das Projekt rot-rot-grün ist seit den Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag weiter von einer Mehrheit entfernt denn je. Der Traum von Gallert, nach Bodo Ramelow in Thüringen zweiter linker Ministerpräsident zu werden, ist gescheitert. Einen Tag nach der Wahl kündigte Gallert an, nicht erneut als Fraktionsvorsitzender zu kandidieren und schlug den Hallenser Swen Knöchel für seine Nachfolge vor. Doch viel schlimmer als die Schlappe der LINKEN ist der erdrutschartige Sieg der AfD, die 24,2 Prozent einfuhr und dadurch zweitstärkste Kraft im neuen Landtag sein wird.
Super-Gau für die LINKE
Das Wahlergebnis ist ein Super-Gau für die LINKE. Auf der einen Seite verfehlte sie den eigenen Anspruch einer Regierungsbeteiligung unter ihrer Führung. Auf der anderen Seite zieht die rassistische AfD nun in den Landtag ein und dient als Sammelbecken für Nazis und die neue Rechte. Diese Entwicklung kann nicht allein mit dem AfD-Bundestrend erklärt werden. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hat die AfD zwar auch zweistellige Ergebnisse eingefahren, kommt jedoch noch lang nicht an die AfD-Werte in Sachsen-Anhalt heran.
Die LINKE ist freilich nicht schuld am Aufstieg der AfD, aber sie hätte ihren Wahlkampf stärker gegen die AfD ausrichten und soziale Forderungen in den Vordergrund stellen sollen. So hat die Partei 47.000 Stimmen verloren. 101.000 Nichtwähler strömten hingegen in die Reihen der AfD, sowie 28.000 vorherige LINKE-Wähler. Ohne das überdurchschnittliche Abschneiden der LINKEN bei der Altersgruppe über 60 hätte die LINKE noch deutlich schlechter abgeschnitten.
AfD gewinnt Arbeiter und Arbeitslose
Die Wahlbeteiligung lag mit 61,1 Prozent deutlich höher als bei der letzten Landtagswahl, weil es der AfD durch ihre rechte Hetze gelang, ein sehr breites Wählerspektrum zu mobilisieren. Bei den Männern hat die AfD mit 29 Prozent deutlich besser abgeschnitten als bei den Frauen (19 Prozent). Spitzenwerte erhielt die AfD bei Arbeitern und Arbeitslosen mit knapp 40 Prozent.
Aber auch bei den Selbstständigen, Angestellten und Beamten schnitt die AfD mit 20 Prozent noch deutlich besser ab als in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Bei Menschen mit einem hohen Bildungsgrad schloss sie am schlechtesten ab (15 Prozent). In der Gruppe mit einem mittleren Bildungsgrad lag sie bei 30 Prozent und bei Menschen mit niedrigem Bildungsgrad bei 25 Prozent.
Kein kämpferischer Wahlkampf
Der staatstragende Wahlkampf der linken Parteiführung in Sachsen-Anhalt hängt damit zusammen, dass sie seit Jahren das Ziel einer rot-rot-grünen Regierung verfolgt. Das hat der AfD in die Hände gespielt, weil sie sich dadurch als einzige Protestpartei gegen die Etablierten inszenieren konnte. Noch im September letzten Jahres lag die AfD in Sachsen-Anhalt in Umfragen bei 5 Prozent, bevor sie im Dezember auf 13,5 Prozent zulegen konnte und nun bei 24,2 Prozent angekommen ist.
Der Wahlkampf der LINKEN sorgte allenfalls durch das »Frauenversteher«-Plakat mit Wulf Gallert für Aufsehen. Anders als von der Parteispitze behauptet, haben die Menschen daraufhin nicht über die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gesprochen, sondern sich über den Mann mit dem Schnauzer lustig gemacht. Das einzige Themenplakat der LINKEN trug den Slogan »Brandstifter abschieben«. Obwohl gut gemeint, ist es eher missverständlich, wenn die LINKE vom Abschieben spricht und dadurch mit rechten Phrasen spielt.
Der Wahlwerbespot war ähnlich. Darin sprach Gallert von »berechtigten Fragen zu Flucht und Asyl«. Das ist eine unglückliche Wortwahl, weil so auch Rechte ihren Rassismus zu verschleiern versuchen. Gallert erklärt in dem Spot, dass er für Aufbruch, Sicherheit und Solidarität stehe. Die Stichworte Fremdenfeindlichkeit oder Kampf gegen die AfD fehlen dagegen vollständig. Der Bezug zu Sicherheit mutet wie ein Zugeständnis an die AfD an. Auch die Forderung der LINKEN nach mehr Polizisten reiht sich darin ein. Die Partei hat auf einen offensiven Kurs gegen die AfD verzichtet, während sich das gesellschaftliche Klima im Land dramatisch nach rechts verschoben hat.
Soziale und antirassistische Forderungen fehlten
Gallert behauptete nach der Wahl im Fernsehen, seine konsequente Haltung der Solidarität und des Humanismus habe die Partei Stimmen gekostet. Es muss ihm hoch angerechnet werden, dass er und die anderen Genossen und Genossinnen nicht umgefallen sind und anfingen von Obergrenzen zu reden, wie Sahra Wagenknecht es derzeit tut.
Es ist aber nur ein Teil des Problems der LINKEN, dass sie Stimmen an die AfD verloren hat. Die LINKE hat vor allem im Gegensatz zur AfD keine Nichtwähler mobilisiert. Dazu hätte die Partei zum einen den antirassistischen Wahlkampf viel aktiver führen müssen. Einige rhetorische Bekenntnisse in den letzten Wahlwochen haben an diesem Bild nichts geändert. Die bereits angeführten Zugeständnisse an vermeintlich berechtigte Sorgen haben den rechten Diskurs eher noch gestärkt.
Zum anderen hat die LINKE es versäumt, einen klaren Kurs gegen die Kürzungspolitik im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich der letzten Jahre zu fahren. In Sachsen-Anhalt kam es in diesem Kontext zu den größten Demonstrationen seit der Wende mit etwa 10.000 Menschen, dennoch hat die LINKE sich darauf nicht selbstbewusst bezogen und daran angeknüpft. Sie hat keine einzige soziale Forderung auf einem Wahlkampfplakat gestellt. Im Online-Wahlkampf hat die Partei trotz Vorschlag aus der Basis kein Bild zu den Hochschulkürzungen verbreitet.
LINKE schonte SPD
Warum ist die LINKE hier so zögerlich? Zum einen schont sie die Sozialdemokratie als Wunschpartnerin einer möglichen Koalition bereits seit Jahren. Zum anderen wollten die Parteifunktionäre die Erwartungshaltung gegenüber einer linken Regierung wohl nicht zu hoch schrauben.
Die LINKE hätte statt dessen zeigen müssen, dass sie die einzige Partei ist, die die soziale Frage im Interesse der Menschen beantwortet, den Widerstand auf der Straße gegen die Kürzungspolitik unterstützt und Flüchtlinge nicht gegen Einheimische ausspielt. Sie hätte zeigen müssen, dass die AfD nicht nur rassistisch ist, sondern auch den Kürzungskurs der Agenda 2010 radikal weiter führen will.
Die AfD ist zum Beispiel gegen den gesetzlich festgelegten Mindestlohn, für die Abschaffung der Erbschaftssteuer und für die Absenkung des Spitzensteuersatzes von gegenwärtig 45 Prozent auf 25 Prozent. Das hat die LINKE nicht ausreichend deutlich gemacht, wodurch sich die AfD als Partei des kleinen Mannes darstellen konnte.
Union verliert an AfD
Es fällt auf, dass alle im Landtag vertretenen Parteien verloren haben. Die CDU musste vor allem bei den Direktmandaten Verluste einstecken, obwohl sie ebenfalls im braunen Lager fischte. So war beispielsweise der bayrische Ministerpräsident und führende Antreiber der Asylrechtsverschärfungen Horst Seehofer (CSU) zur Wahlkampfunterstützung beim gegenwärtigen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU). Kurz danach reiste Seehofer weiter zu Viktor Orbán, dem ungarischen Präsidenten der rechtspopulistischen Fidesz-Partei.
Die CDU in Sachsen-Anhalt hat sich deutlich gegen den in der Partei umstrittenen Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt, tritt für Obergrenzen für Flüchtlinge ein und ist daher für die Menschen die »moderate« Variante der AfD. Das hat ihr bei ehemaligen vermutlich rechten CDU-Wählern zwar Verluste eingeschert, von denen 38.000 zur AfD gingen, jedoch konnte sie von allen anderen Parteien Wähler für sich gewinnen und sogar 39.000 Nichtwähler an die Urne holen.
Extrem rechter AfD-Landesverband
Auf das Verhältnis zur AfD angesprochen, sagte André Schröder, Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag, es sei eine Stärke einer bürgerlichen Partei, wenn es ihr gelinge, nationalkonservative Menschen in die politische Mitte zu integrieren. Die AfD sei daher für die CDU eine konkurrierende Partei, mit der man keine Zusammenarbeit anstrebe. Eine klare Ansage gegen die AfD: Fehlanzeige. Der erste AfD-Landeschef war Michael Heendorf, ein Ex-CDU-Mitglied.
Dabei handelt es sich beim AfD-Landesverband unter der Führung von André Poggenburg um einen der rechtesten Landesverbände der AfD. Die Verbindungen zur Neuen Rechten und Nazistrukturen sind hier unverkennbar. »Poggenburg rückte den Landesverband deutlich nach rechts, verlor zunehmend Distanz zu Strukturen und Forderungen insbesondere der Neuen Rechten«, heißt es in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung zu den Landtagswahlen. Es sei eine eindeutige Öffnung gegenüber hetzerischen, antisemitischen und rechtsextremen Positionen zu verzeichnen.
Unter anderem befürwortete Poggenburg Anfang 2015 den damals umstrittenen Parteieintritt des neurechten Verlegers Götz Kubitschek, der als zentrale intellektuelle Figur der Neuen Rechten gilt. Der von Poggenburg und Björn Höcke geführte neofaschistische »Flügel« der AfD wird durch den Wahlerfolg gestärkt.
Antirassistischer Kampf im Parlament und auf der Straße
Um wieder in die Offensive zu kommen, muss die LINKE den Kampf gegen die AfD auf drei Ebenen führen. Sie muss, erstens, die AfD im Parlament isolieren und ihre Politik immer wieder auf ihren rassistischen, unsozialen und frauenfeindlichen Kern zurückführen. Es darf keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben, weder im Landtag noch in den Kommunen. Zweitens darf der parlamentarische Kampf gegen die AfD nur die eine Seite der Medaille sein. Die LINKE muss breite Bündnisse aufbauen, um den antifaschistischen Kampf erfolgreich zu führen. Drittens muss die LINKE den Kampf um die soziale Gerechtigkeit aufnehmen, den gesellschaftlichen Diskurs wieder nach links zu verschieben und der AfD dadurch das Wasser abzugraben.
Walter Benjamins Erkenntnis, dass »jeder Aufstieg des Faschismus das Zeugnis einer gescheiterten Revolution in sich trägt«, sollte uns nachdenklich stimmen. Der Aufstieg der AfD, beflügelt von einer breiten rechten Bewegung, ist nicht nur ein Versagen der LINKEN, sondern auch ein Hinweis darauf, dass es ein kritisches Potenzial gab, eine Unzufriedenheit, die die LINKE nicht zu mobilisieren vermochte.
Wir als LINKE in Sachsen-Anhalt brauchen einen Neuanfang – Gallerts Rückzug ist daher richtig. Die Strategie der letzten Jahre ist gescheitert. Wir müssen als starke Stimme in der Opposition gegen die AfD, gegen Rassismus, gegen Frauenfeindlichkeit und gegen die Kürzungspolitik ankämpfen. Wir müssen aber auch wieder stärker gemeinsam Politik mit den Menschen auf der Straße machen und vor allem müssen wir ein breites gesamtgesellschaftliches Bündnis gegen die AfD aufbauen.
Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, André Poggenburg, Flüchtlinge, Flüchtlingskrise, Landtagswahl, Linksfraktion, Linkspartei, Obergrenzen, R2G, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot-Grün, Sachsen-Anhalt, Sahra Wagenknecht