Weltweit gibt es so viele Flüchtlinge wie nie seit dem zweiten Weltkrieg, die Lage von Millionen Menschen ist verheerend. Warum sind so viele Menschen auf der Flucht? Wer ist schuld an der Flüchtlingskrise? Welche Lösungen gibt es? marx21 beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema. Von Yaak Pabst
Letzte Woche sind 71 Flüchtlinge in einem Lastwagen auf der A4 in Österreich erstickt. Das Mittelmeer ist mittlerweile zum Massengrab geworden. Wer ist schuld an der Flüchtlingskrise?
Wir müssen über die Ursachen sprechen, die Menschen zwingen, ihre Heimat und ihre Liebsten zu verlassen. Das sind in erster Linie Krieg und Armut. Bundeskanzlerin Angela Merkel will jetzt die »Flüchtlingspolitik zur Chefsache« machen jubeln die meisten deutschen Medien. Doch was sie verschweigen ist, dass die deutsche Regierungspolitik und die seiner Bündnispartner die Hauptverantwortung für die Flüchtlingskrise trägt. Deutschland war an den Kriegen im Irak 1991 und 2003, in Jugoslawien 1999, in Afghanistan 2001, in Libyen 2011 und in Syrien seit 2011 direkt oder indirekt beteiligt. Es sind genau diese Regionen, aus denen heute die meisten Flüchtlinge kommen. Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur, vom Giftgas-Export nach Syrien bis hin zum Sturmgewehr G3 von Heckler & Koch in alle Welt. In Afghanistan und im Kosovo ist die Bundeswehr selbst Kriegspartei und Besatzungsmacht. Deutschland ist treibende Kraft einer EU-Liberalisierungspolitik in Osteuropa, unter der vor allem die Ärmsten der Armen leiden. Das heißt, nicht die Geflüchteten sind das Problem, sondern ein mörderisches System, dem Profite alles sind und Menschen nichts. Die hier dafür sorgen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, sind die Gleichen, die überall auf der Welt immer unerträglichere Lebensbedingungen der Mehrheit zu verantworten haben und täglich mehr Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen.
Die europäische Union sagt von sich selbst, sie sei ein «Raum des Schutzes und der Solidarität» und dass sie den Opfern von Krieg und Verfolgung Zuflucht biete. Stimmt das?
Nein. Die EU unternimmt alles, um zu verhindern, dass Menschen, die Schutz nötig haben, ihr Recht auf Asyl (wirklich) in Anspruch nehmen können. Ein Beispiel: Die deutschen Botschaften in den Ländern, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, oder in den Transitregionen nehmen keine Asylanträge an. Sie können nur in der EU gestellt werden. Aber eine legale Möglichkeit, nach Europa zu kommen, um Asyl zu suchen, existiert so gut wie gar nicht. Für fast alle Fluchtländer gilt Visumpflicht. Das heißt: Ohne Visum dürfen Menschen nicht nach Europa kommen. Deutschland war hier Vorreiter. Seit 1980 hat Deutschland systematisch die Visa‐Pflicht für alle Herkunftsländer von Asylsuchenden eingeführt. Ein Visum kriegen Flüchtlinge aber nicht.
Was bedeutet die Visumpflicht für die Flüchtlinge?
Sie können die legalen Möglichkeiten nach Europa zu reisen nicht nutzen. Natürlich fahren mehrmals in der Woche Fähren von der Nordküste Afrikas nach Europa. Ein Ticket gibt es für unter 50 Euro, die Reise ist sicher und dauert maximal zehn Stunden. Aber ohne gültiges Visum kommen Flüchtlinge nicht an Bord – auch nicht, wenn sie angeben, einen Asylantrag stellen zu wollen. Gleiches gilt für Flugverbindungen. Die EU hat, auch auf Druck der deutschen Regierung, Sanktionen für Flugzeug- und Fährunternehmen beschlossen, falls diese versuchen sollten Flüchtlinge legal mitzunehmen. Menschen die aus Syrien, Somalia oder Afghanistan flüchten, haben deswegen nur einen Weg, in die EU zu kommen: Die lebensgefährliche illegale Einreise.
Die EU hat ein 10-Punkte-Programm beschlossen, um die Flüchtlingskrise zu bekämpfen. Hilft dieses Programm?
Nein. Und so gut wie alle Flüchtlings-Nichtregierungsorganisationen, von Amnesty International über Pro Asyl, bis Oxfam haben das Programm scharf kritisiert. Das ist kein Wunder: Denn im Zentrum der EU-Politik steht nach wie vor die Grenzsicherung und nicht der Flüchtlingsschutz. Die EU verweigert weiterhin den Flüchtlingen die Seenotrettung im Mittelmeer und behandelt Flüchtlinge wie Kriminelle. Das sogenannte Dublin-System sorgt dafür, dass Flüchtlinge in Europa hin- und hergeschoben werden, immer wieder in Haft oder obdachlos auf der Straße landen. Die EU-Flüchtlingspolitik ist eine einzige Katastrophe.
Jetzt will die EU mehr und besser gegen Schlepper vorgehen. Ist das nicht richtig?
Nein, es ist falsch und geht völlig an den eigentlichen Ursachen vorbei. Es sind ja nicht die Fluchthelfer, die die Menschen dazu bringen, sich auf den Weg zu machen, sondern Kriege, Armut und Hunger. Natürlich gibt es unter den Schleppern viele, die sich nicht für das Leben der Flüchtlinge interessieren. Aber die Strafen für Schlepperei wurden in den letzten Jahren schon empfindlich erhöht. Trotzdem hat sich mittlerweile ein regelrechter »Fluchtmarkt« gebildet, der Transport von Flüchtlingen hat sich zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Der entscheidende Punkt ist doch, dass die Schlepper den Flüchtlingen etwas anbieten, was die EU ihnen verweigert. Die Schleuser besorgen für Geld gefälschte Ausweispapiere und organisieren Schmiergeldzahlungen, mit denen auf der Reise korrupte Zollbeamte bestochen werden. Wer den Schleusern das Handwerk legen will, muss ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, also die Grenzen Europas für Flüchtlinge öffnen.
Wie können Schlepper wirksam bekämpft werden?
Ganz bestimmt nicht durch mehr Repression, Abschiebung und Abschreckung. Je besser Grenzen bewacht sind, desto besser verdienen die Schlepper. Zäune, Stacheldraht und Mauern haben noch nie verzweifelte und entschlossene Menschen daran gehindert zu fliehen. 1989 strömten Menschen aus der DDR in die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurden aufgenommen und schließlich in Sicherheit gebracht. Auch zu Zeiten der DDR gab es Fluchthelfer. Die »illegale Republikflucht« kostete jeden DDR-Republik-Flüchtling heute umgerechnet bis zu 15.000 Euro. Es ist eigentlich nicht schwer: Flüchtlinge müssen legal nach Europa gelangen können. Pro Asyl und andere Organisationen schlagen deshalb vor, die Einreise ohne Visum möglich zu machen. Damit würde die Nachfrage nach Schleusern sicher nachlassen.
Ist Europa überhaupt in der Lage, so viele Flüchtlinge aufzunehmen?
Ja. Die meisten Flüchtlinge kommen ja auch gar nicht nach Europa, weil sie in der Region bleiben wollen und auf baldige Rückkehrchancen hoffen, oder weil sie schlicht keine Möglichkeit haben, hierherzukommen. Auf der Welt sind Ende 2014 laut UNHCR Global Trends 59,5 Millionen Menschen auf der Flucht. 86 Prozent der Flüchtlinge weltweit leben in Entwicklungsländern. In Syrien etwa, wo laut dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR jeder Zweite vor dem Bürgerkrieg floh, sind 6,5 Millionen Menschen Binnenflüchtlinge. Das bedeutet: Sie haben Syrien nicht verlassen, sondern in anderen Teilen ihres Landes Zuflucht gesucht. In die Türkei haben sich 1,7 Millionen Menschen gerettet – außerdem gingen rund 2,2 Millionen Menschen nach Ägypten, Jordanien, in den Libanon und in den Irak. Weitaus weniger Syrer kommen nach Europa: Nur 220.000 Flüchtlinge aus Syrien haben laut der EU-Statistikbehörde Eurostat zwischen März 2011, zu Beginn des Bürgerkriegs, und Februar 2015 in einem der 28 EU-Staaten einen Asylantrag gestellt.
Innenminister Thomas de Maizière von der CDU behauptet, dass Deutschland den Zuzug von verfolgten Menschen aus Krisengebieten nur bewältigen und deren Akzeptanz sicherstellen könne, wenn die Flüchtlingszahlen vom Balkan zurückgehen. Hat er Recht?
Nein. Die Probleme der Kommunen bei Aufnahme und Unterbringung von asylsuchenden Menschen lassen sich nicht durch Ausgrenzung, Abschiebung und Kriminalisierung einzelner Personengruppen lösen. Jeder Mensch hat das Recht in Deutschland Asyl zu beantragen.
De Maizière und andere Hardliner versuchen jedoch schon seit langem Menschen aus den Balkan-Staaten den Zugang nach Deutschland zu versperren. Schon im vergangenem Jahr hat die Bundesregierung mit den Stimmen des grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu »sicheren Herkunftsstaaten« ernannt. Das hört sich harmlos an, ist aber für die Menschen aus diesen Ländern die in Deutschland Schutz suchen schlimm. Denn Asylanträge von Flüchtlingen aus »sicheren Herkunftsstaaten« gelten pauschal als »offensichtlich unbegründet«. Die Antragsteller können sofort wieder abgeschoben werden. Jetzt will die Union dasselbe für die drei Länder Kosovo, Albanien und Montenegro angehen. Anstatt die Fluchtursachen zu bekämpfen werden Menschen in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge eingeteilt. Ganz abgesehen davon funktioniert die »Abschreckung« nicht. Jüngst müsste das Bundesinnenministerium einräumen, dass die Flüchtlingszahl aus den drei schon »sicheren Herkunftsländern« des Westbalkans zwar leicht gesunken, aber immer noch hoch sei – und dass sich auch die Dauer der Verfahren nicht signifikant verkürzt habe.
Einige Politiker behaupten, für die Flüchtlinge vom westlichen Balkan gebe es keine Gründe für Asyl in Deutschland. Stimmt das?
Nein. Das Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« gibt dem Gesetzgeber zwar die Macht festzulegen, dass in bestimmten Ländern keine politische Verfolgung stattfindet und daher keine Einzelfallprüfung von Fluchtgründen erfolgen muss. Aber die Realität in diesen Ländern sieht ganz anders aus. Ein Beispiel: Mehr als 34 Prozent aller Balkan-Flüchtlinge die in Deutschland Schutz suchen gehören der Roma-Minderheit an. Laut Bundesregierung waren im ersten Quartal sogar 91 Prozent der Asylbewerber aus Serbien Roma, gefolgt von Mazedonien (72 Prozent), Bosnien (60 Prozent) und Montenegro (42 Prozent). Die deutsche Bundesregierung will diese Menschen abschieben, obwohl selbst die EU-Kommission festgestellt hat, dass Roma in allen Balkanstaaten diskriminiert werden und kein normales Leben führen können: Sie erhalten keine Wohnungen und leben deshalb in Slums, oft sogar ohne Strom und Heizung. Sie haben kaum Zugang zu Bildung, zu Arbeit und zu Gesundheitsversorgung. Nach Angaben der serbischen Regierung haben 30 Prozent der Roma in Serbien kein sauberes Trinkwasser, 70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation. Laut UNICEF haben Roma-Kinder eine um ein Drittel geringere Chance, das erste Lebensjahr zu überstehen als andere Kinder. Immer wieder werden Roma Opfer rassistischer Gewalt. Die individuellen Fluchtgründe von Balkanflüchtlingen könnten in ihrem Zusammenwirken durchaus zur Asylanerkennung führen. Aber die Anträge werden eben wegen der »sicheren Herkunftsstaaten«-Regelung gar nicht mehr gewissenhaft geprüft.
Was bedeutet diese Politik für die Menschen aus den Balkan-Staaten?
In Deutschland gehen die Anerkennungsquoten von Asylbewerbern aus diesen Ländern gegen null. Andere Staaten sehen genauer hin: In der Schweiz erhielten beispielsweise 2014 rund 37 Prozent der serbischen und 40 Prozent der kosovarischen Antragstellerinnen und Antragsteller einen Schutzstatus. Finnland gewährte 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo Schutz. Nicht so in Deutschland. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen diese Menschen so schnell es geht wieder abgeschoben werden – zurück in die Perspektivlosigkeit. Im Kosovo liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 70 Prozent und in Serbien hat fast jeder Zweite keinen Job. In Deutschland werden Flüchtlinge aus den Balkanstaaten jetzt zu Sündenböcken abgestempelt. Eine »Asyllawine« aus dem Kosovo sei in Gang gekommen, hieß es in einem Brief der Deutschen Botschaft an das Auswärtige Amt. Die Rhetorik von »Lawine«, »Flut« und »Strom« bedienen auch etliche Medien und Politiker. Marcel Huber, Chef der Bayerischen Staatskanzlei (CSU), sprach von einem »organisierten Missbrauch des Asylrechts«, Innenminister Thomas de Maizière rechnet vor, dass »die Höhe unserer Asylbewerberleistungen teilweise höher ist als ein Erwerbseinkommen in Albanien und Kosovo«. Der Chef der oberbayerischen Landräte, Thomas Karmasin (CSU), bezeichnete die Asylsuchenden aus dem Kosovo gar als »Winterurlauber auf Kosten unserer Steuerzahler« und der Präsident des Bayerischen Landkreistages und Landrat von Deggendorf, Christian Bernreiter (CSU) erklärte: »Wir sind nicht das Sozialamt vom Balkan«. Auch der stellvertretende Unionsfraktionschef Friedrich hetzt: »Wenn Tausende hierherkommen und die Anerkennungsquote bei ‚Null-Komma-Null-Irgendwas‘ liegt, dann können Sie nichts anderes sagen als Missbrauch. Denn sie kommen hierher, obwohl sie wissen, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Wie wollen Sie das sonst nennen? Und ich glaube, dass es Zeit wird, dass wir in Deutschland über die Gefahr, die da auf uns zukommt, reden. Wir werden eine gesellschaftliche Destabilisierung dieses Landes erleben, wenn wir die massenhafte illegale Zuwanderung nach Deutschland nicht stoppen.«
Warum wird gegen die Balkan-Flüchtlinge gehetzt?
Das ist der alte Rassismus der Eliten in Deutschland. Schon von 1991 bis 1993 führte die CDU eine Kampagne gegen die angebliche »Asylflut«. Der Grund waren nicht Asylbewerber, sondern die wirtschaftliche Krise in Ostdeutschland. Weil Millionen arbeitslos wurden, haben die Menschen CDU-Kanzler Kohl nicht mehr bejubelt, sondern mit Eiern beworfen. Heute ist vielen klar, dass die Bundesregierung in der Flüchtlingskrise versagt hat. Seit Jahren weisen Organisationen wie Pro Asyl oder Amnesty International daraufhin, dass durch die Kriege und Armut in der Welt die Zahl der Flüchtlinge die in Deutschland Asyl suchen steigen wird. Die Bundesregierung hat jedoch keinerlei Vorkehrung dafür getroffen. Die Bundesregierung rechnet mit 800.000 Flüchtlingen bis Ende 2015. Doch schon jetzt sind 240.000 Asylanträge in Deutschland nicht bearbeitet, die Bedingungen in den meisten Erstaufnahme-Stellen menschenverachtend und die Kommunen überfordert. Die Hetze gegen die Balkanflüchtlinge soll spalten. Die Bundesregierung treibt keineswegs die Sorge um die »wirklichen« Flüchtlinge an. Vielmehr befürchtet sie, dass sich zunehmende soziale Ängste gegen die Verantwortlichen in Regierung und Konzernetagen richten könnten. Deshalb versucht sie im Verbund mit einem Teil der Medien, diese Ängste gegen die Balkan-Flüchtlinge umzulenken.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bis zu eine Milliarde Euro Soforthilfe für die Kommunen versprochen und Innenminister de Maizaire will Personalaufstockung bei beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass für die Asylanträge zuständig ist. Ein Anfang?
Das Geld für die Länder und Kommunen ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Experten rechnen mit minimal bis zu drei Milliarden Euro die nötig wären. Alleine für die Wohnungsbauprogramme der Länder wären zwei Milliarden Euro jährlich nötig. Auch die Personalaufstockung des Innenministers ist lächerlich. Er spricht von 1000 neuen Stellen. Dafür will er Pensionäre zurückzuholen und Freiwillige einsetzen, anstatt wirklich neue Stellen, vor allem für die Betreuung von Flüchtlingen zu schaffen. Worüber Linke sprechen sollten ist folgendes: Die derzeitige Debatte über den vermeintlichen dreisten Griff der Balkan-Flüchtlinge in die Sozialkassen soll von der tatsächlich seit Jahren stattfinden Ausplünderung der öffentlichen Haushalte durch die Eliten ablenken. Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht – allerdings nicht durch die Flüchtlinge, sondern durch Reiche, Konzerne und ihre Regierungen. Mit rassistischen Parolen vom »Asylmissbrauch« und der Kriminalisierung von Balkan-Flüchtlingen legen Politikerinnen und Politiker die Lunte für die nächsten brennenden Flüchtlingsheime.
Die Bundesregierung hat die Ländern aufgefordert zentrale Unterbringung für Flüchtlinge einzurichten, die schnell abgeschoben werden können. Der richtige Weg?
Diese neuen Lager zeigen wie repressiv, rassistisch und gefährlich die Asylpolitik der Bundesregierung ist. Ziel dieser Sammelunterkünfte ist die Internierung vor allem von Balkan-Flüchtlingen. Bayern hat schon eine solches »gebündelte Ankunfts- und Rückführungseinrichtung für Asylbewerber vom Balkan« eröffnet und kündigt bereits das zweite dieser umstrittenen Abschiebelager an. Auch Sachsens Ministerpräsident Tillich will solche Lager errichten. Diese Sonderlager haben nur einen Zweck: Abschreckung. Der Bayrische Innenminister Joachim Herrmann, CSU, redet offen darüber: »Der Gedanke dahinter ist, dass sich in den Ländern, die überhaupt keine Bleibeperspektive haben, ein Bewusstsein breit macht, dass es überhaupt keinen Sinn hat, nach Deutschland zu kommen […] Das ist der eigentliche Zweck.« Das ist eine menschenverachtende und brandgefährliche Politik. Die Bundesregierung betreibt damit eine weitere Aushöhlung des Grundrechtes auf Asyl. Denn es geht bei diesen Lagern gar nicht mehr darum den Antrag ausreichend zu prüfen, sondern nur darum die Abschiebung möglichst schnell zu organisieren. Diese Lager werden so aufgebaut, dass alle Schritte von der Registrierung bis zur Abschiebung dort organisiert werde können. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Lager in Zukunft auch für andere Flüchtlinge genutzt werden. Dabei sind die Abschiebezahlen schon in den letzten Jahren massiv gestiegen. 2014 schickte die Bundesregierung 11.000 Menschen zurück. Hinzu kamen 2.967 Zurückschiebungen und 3.612 Zurückweisungen an der deutschen Grenze, insbesondere an Flughäfen. Die Zahlen für 2015 sind alarmierend. Alleine im ersten Halbjahr 2015 sind bereits 8178 Asylbewerber abgelehnt worden, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeute das einen Anstieg von 42 Prozent.
Fast jede Nacht gibt es rassistische Anschläge auf Flüchtlinge oder Flüchtlingsunterkünfte. Müssen wir mit Pogromen wie in den frühen 90er Jahren befürchten?
Die Zahlen von rassistischen Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten sind in der Tat dramatisch gestiegen. 487 flüchtlingsfeindliche Aktionen registrierte die Amadeu-Antonio-Stiftung allein in 2015, fast zehnmal so viele wie zwei Jahre zuvor. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Proteste. Inzwischen sind Brandstiftungen auf geplante und schon existierende Flüchtlingswohnheime an der Tagesordnung. Vieles deutet daraufhin, dass wir es mit einer neuen Konjunktur rassistischer Mobilisierungen zu tun haben. Doch das sind keine spontanen Proteste. Den organisatorischen Kern bilden lokale Nazi-Strukturen. Demos gegen Flüchtlinge gibt es beispielsweise besonders häufig dort, wo die NPD im Stadt- oder Gemeinderat sitzt. Die NPD in Sachsen hält seit der letzten Kommunalwahl rund 59 solcher Mandate, unter anderem in Dresden, Heidenau und Freital. Das gilt aber nicht nur für Ostdeutschland. Klar ist: Die Linke sollte darauf vorbereitet sein, dass NPD, AfD und ihr Gesinnungsumfeld die Situation ausnutzen und für ihre Zwecke missbrauchen wollen. Vor Ort ist es wichtig, frühzeitig die Anwohnerinnen und Anwohner über ihre neuen Nachbarinnen und Nachbarn zu informieren, rassistische Propagandalügen zu entlarven und auch die Erfahrungen von anderen Unterkünften zu verbreiten, die diesen Vorurteilen widersprechen. Der große Unterschied zu Beginn der 1990er Jahre ist jedoch, dass die Stimmung der Gesamtbevölkerung insgesamt längst nicht so feindselig ist. Angesichts der dramatischen Lage in Syrien und im Irak ist die Mehrheit der Deutschen bereit, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Zwei Drittel der Bevölkerung können sich vorstellen, persönlich Asylbewerberinnen und Asylwerber zu unterstützen. Die Regierenden haben aktuell kein Interesse an einer gewalttätigen rassistischen Mobilisierung und suchen noch nicht das »Bündnis von Mob und Elite«.
Die Nazis versuchen die Ängste und Sorgen der Anwohnerinnen und Anwohner zu instrumentalisieren und organisieren Protest gegen neue Flüchtlingsunterkünfte. Sie sagen Flüchtlinge wären kriminell, gefährlich und außerdem würde das Geld für sie an anderen Stellen, beispielsweise Kitas, fehlen. Stimmt das?
Die Nazis wollen die Opfer zu Tätern machen, um Angriffe auf die Flüchtlinge propagandistisch vorzubereiten. Aber von Flüchtlingsunterkünften geht keine Kriminalität aus – und wenn, handelt es sich meist um Verstöße, die nur Asylbewerberinnen und Asylbewerber begehen können. Beispielsweise gegen die sogenannte Residenzpflicht oder gegen das Arbeitsverbot. Das belegen auch Polizeistatistiken. In Wirklichkeit haben rechtsextreme Gewalttaten die höchste Zuwachsrate in der Kriminalitätsstatistik. Dass diese Bedrohung real ist, zeigt die wachsende Zahl rassistischer Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Auch die Behauptung, die Asylleistungen würden Unsummen von Steuergeldern verschlingen, hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Laut Statistischem Bundesamt betrugen die Ausgaben für Asylbewerber im Jahr 2013 insgesamt 1,5 Milliarden Euro. Verglichen mit den Militärausgaben im gleichen Jahr von 36 Milliarden Euro oder den 62 Milliarden Euro für die Finanzverwaltung, ist das verschwindend gering. Zudem: Die öffentlichen Kassen werden von anderen geplündert. Erhebliche Steuererleichterungen für Reiche, Kapitaleigner und Konzerne und zugleich ein strikter Sparkurs für Bund, Länder und Kommunen haben zu einer starken Konzentration von privatem Reichtum bei gleichzeitig steigender öffentlicher Armut geführt. Die ärmsten fünfzig Prozent der Haushalte verfügen nur über gut ein Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte nennen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens ihr Eigen. Dieser Anteil ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen, von 45 Prozent im Jahr 1998 auf 55 Prozent im vergangenen Jahr. Umgekehrt hat die öffentliche Hand seit dem Jahr 1999 durch Steuersenkungen fast 236 Milliarden Euro verloren – wobei 81 Milliarden Euro auf den Bund, 137 Milliarden auf die Länder und 17 Milliarden auf die Gemeinden entfallen. Die Kommunen wurden jahrelang durch Steuergeschenke an Reiche und Unternehmen ausgeblutet. Dadurch, dass die Versorgung von Flüchtlingen in den Verantwortungsbereich der Kommunen übertragen wird, schafft die Regierung eine Konkurrenz von Ausgaben für Flüchtlinge und anderen kommunalen Leistungen wie Schwimmbädern oder Kitas und sorgt damit für Konflikte. Gäbe es eine Millionärssteuer wurden nach Schätzungen des DIW insgesamt zwischen zehn und fünfzehn Milliarden Euro in die Staatskasse gespült.
Welche Lösungen für die Flüchtlingskrise gibt es?
Zum einen müssen die Fluchtursachen bekämpft werden: Krieg, Armut und Hunger. Die Bundeswehr ist derzeit mit 2.500 Soldaten an über zwölf Einsätzen im Ausland beteiligt. DIE LINKE fordert zu Recht, alle Auslandseinsätze zu beenden, die Aufrüstung aufzugeben und die Rüstungsexporte zu stoppen. Allein im März 2015 wurden neue Kampfhubschrauber der Bundeswehr für 8,7 Milliarden Euro bewilligt. Geld, das besser beispielsweise für die Flüchtlingshilfe verwendet werden könnte. Schon seit mehreren Monaten sind von Flüchtlingsorganisationen detaillierte Maßnahmen vorgelegt worden, wie die Bedingungen für Flüchtlinge in Europa und Deutschland verbessert werden könnten. Diese reichen von der Wiedereinführung der Seenotrettung bis zur Streichung der Visumpflicht. In Deutschland verfolgt die Bundesregierung im Umgang mit Flüchtlingen nach wie vor eine Strategie der Abschreckung. Dazu gehört die Unterbringung in Sammelunterkünften, die Asylsuchende ausgrenzt, stigmatisiert und der Gefahr rassistischer Angriffe aussetzt. Durch Arbeitsverbote, die Residenzpflicht oder die entmündigende Versorgung mit Essenspaketen wird den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben verweigert. Pro Asyl fordert deswegen: »Asylsuchende sollten Deutsch- und Integrationskurse durchlaufen und uneingeschränkten Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung erhalten. Das Recht von Flüchtlingen auf dezentrale Unterbringung in Wohnungen sollte im Bundesrecht verankert, das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz und die Residenzpflicht sollten ersatzlos gestrichen werden.«
Bereits jetzt müsste mit dem Bau von winterfesten Unterkünften begonnen und der soziale Wohnungsbau durch ein Sofortprogramm wiederbelebt werden. Für all diese Maßnahmen, braucht es mehr Geld für die Flüchtlingshilfe und keine Schuldenbremse für die Kommunen. Die Hilfsbereitschaft vieler Menschen für Flüchtlinge in Deutschland ist ungebrochen und ein mächtiges Zeichen der Solidarität. Doch die individuelle Tat kann die strukturellen Probleme nicht lösen, die sich aus der restriktiven und rassistischen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ergibt. Es sind staatliche Institutionen, welche die Ressourcen für eine andere Flüchtlingspolitik zur Verfügung stellen müssen. Eine umfassende Lösung wird nur politisch erzwungen werden können. Parteien, Gewerkschaften, Flüchtlingsinitiativen müssten den Druck auf die Bundesregierung erhöhen. Denn von alleine werden Merkel & Co wenig grundsätzlich ändern.
Eine andere Welt ist nötig!
Fluchtursachen sind vielschichtig, aber ihre gemeinsame Basis ist die Zerstörung der Welt durch Kriege, Ausbeutung und imperialistische Unterdrückung. Massive Flüchtlingsströme haben den Kapitalismus seit seiner Entstehung begleitet aber dieses System ist nicht das Ende der Geschichte. Der Kapitalismus verhindert eine sozial gerechte, demokratische und auf Nachhaltigkeit beruhende Gesellschaft. Wenn wir nur die dringendsten Probleme lösen wollen, ist eine Gesellschaft ohne Kapitalismus notwendig. Die LINKE schreibt zur Recht in ihrem Programm: »Wir streben eine sozialistische Gesellschaft an, in der jeder Mensch in Freiheit sein Leben selbst bestimmen und es im Zusammenleben in einer solidarischen Gesellschaft verwirklichen kann.«
Schlagwörter: Analyse, Asyl, Asylpolitik, Bundesregierung, Deutschland, DIE LINKE, Europa, Flüchtlinge, Fluchtursachen, Kapitalismus, Kosovo, Krise, marx21, Pro Asyl, Schuldenbremse, Syrien, Thomas de Maizière