Vier Tage revolutionäre Theorie und Praxis: Von den Grundlagen des Marxismus, über Klassenkampf in Zeiten des 3D-Druckers, bis hin zu gewerkschaftlicher Organisierung hinter Gittern — auf dem Kongress »MARX IS MUSS 2017« wurde viel debattiert und gestritten, aber auch Verabredungen für den gemeinsamen Kampf getroffen
Zum elften Mal kamen auf Einladung von marx21 hunderte Menschen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Hochschulen und politischen Organisationen in Berlin auf dem »MARX IS MUSS«-Kongress zusammen, um gemeinsam zu diskutieren und sich auf über 100 Veranstaltungen und Workshops weiterzubilden und zu vernetzen. Mit 830 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kamen sogar noch mehr Menschen als im letzten Jahr.
Wie schon 2016, bildeten Antifaschismus und der Kampf gegen Rassismus eine zentrale Säule des Kongresses. Weitere Themenschwerpunkte waren »Klassenkampf und Gewerkschaften«, »Internationalismus und Antiimperialismus« sowie das 100. Jubiläum der Russischen Revolution.
Mehr als Theorie
Am Donnerstag ging es los mit einem Seminartag. Für eine Einführung und Vertiefung in marxistische Theorie nahmen wir uns wie jedes Jahr den ganzen Tag Zeit. Ob Ökonomie, Staats- und Revolutionstheorie, Feminismus und Frauenbefreiung, Rassismus und Faschismus, Imperialismustheorie, Philosophie oder das Verhältnis von Partei und Klasse — in zahlreichen Seminaren diskutierten wir in Kleingruppen Klassiker und moderne Texte des Marxismus. Parallel dazu ließen sich Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer im Rahmen des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« zu »StammtischkämpferInnen« ausbilden.
Zugleich trafen sich Gewerkschaftsaktivistinnen und -aktivisten verschiedener Branchen, um sich anhand ihrer konkreten Erfahrungen und marxistischer Textgrundlagen über das Verhältnis von Theorie und Praxis sowie Basis und Führung in den Gewerkschaften und in Arbeitskämpfen auszutauschen. Besonders präsent war dabei vor allem eine Berufsgruppe: Aus mehreren Bundesländern waren Krankenpflegerinnen und -pfleger angereist, die in ihren Häusern den Kampf für mehr Personal führen. Auf »MARX IS MUSS« konnten sie sich vernetzen und gemeinsam ihre Strategie für die Bewegung weiterentwickeln. Doch das hielt sie keineswegs davon ab, sich auch an Debatten über Leninismus, marxistische Krisentheorie oder die Geschichte und Politik der PKK zu beteiligen.
Aufgaben und Kämpfe im Wahljahr 2017
Abgerundet wurde der Eröffnungstag von einem großen Auftaktpodium: Der Parteivorsitzende der LINKEN Bernd Riexinger skizzierte die Aufgaben im Wahljahr 2017. Der Aktivist Kava Spartak berichtete von der katastrophalen Situation in Afghanistan und der Angst vor Abschiebung innerhalb der afghanischen Community in Deutschland. Nora Berneis vom Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« analysierte die Radikalisierung der AfD und rief zum gemeinsamen Widerstand gegen die Gefahr eines neuen Faschismus auf. Die Krankenpflegerin und ver.di-Aktivistin Grit Wolf von der Berliner Charité schwor die Anwesenden auf ein Jahr des Klassenkampfs im Krankenhaus ein und Stefan Bornost vom marx21-Koordinierungskreis erklärte, für welche Art von Partei das marx21-Netzwerk innerhalb der LINKEN eintritt:
Antifaschismus und Klassenpolitik
An den folgenden drei Tagen gab es ein abwechslungsreiches Programm aus Vorträgen, Debatten und Podiumsdiskussionen sowie Filmvorführungen und Kulturevents. Zahlreiche Veranstaltungen beschäftigten sich mit der AfD und dem Kampf gegen rechts. Unter anderem diskutierten Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, der Autor und Publizist Stephan Hebel sowie Christine Buchholz, Bundestagsabgeordnete der LINKEN, zur Frage »Wie stoppen wir die AfD?«.
Der Aufstieg von Trump, Le Pen und Co. hat in der Linken eine breite Debatte angestoßen, wie sie Widerstand gegen die rechten Hetzer aufbauen und dabei gleichzeitig dem neoliberalen Lager etwas entgegensetzen kann. In Deutschland hat auch das Buch »Rückkehr nach Reims« von Didier Eribon dazu beigetragen, die Diskussion über emanzipatorische Klassenpolitik wieder zu beleben. Auf unserem Kongress diskutierten Julia Dück, Luigi Wolf und Bernd Riexinger darüber, wie eine solche Politik für DIE LINKE aussehen könnte:
Die Frage, wie DIE LINKE zur Partei der Arbeiterklasse werden kann, ist eng verbunden mit der grundsätzlichen Strategiefrage: Wie können die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben und dem Kapitalismus etwas entgegengesetzt werden? Ein zentraler Aspekt dieser Frage ist seit jeher die Frage, wie Linke sich dem bürgerlichen Staat gegenüber verhalten sollten. Was für einen Charakter hat dieser Staat und lässt er sich von Innen heraus verändern? Darüber stritten Alex Demirovic, Politikwissenschaftler und Redakteur der Zeitschrift PROKLA, und der britische Marxist und Bewegungsforscher Colin Barker am Beispiel des Scheiterns von Syriza in Griechenland:
Der griechische Aktivist Panos Garganas berichtete, wie die Situation im krisengeschüttelten Griechenland heute aussieht. Denn obwohl Syriza gegenüber der Troika kapituliert hat, ist die Linke keineswegs am Ende:
100 Jahre Oktoberrevolution
Zum Jubiläum der Oktoberrevolution in Russland gab es gleich einen ganzen Block an Veranstaltungen und Podien: Gemeinsam beleuchteten wir das Denken und Handeln ihrer Protagonistinnen und Protagonisten — von Lenin und Trotzki bis zu Alexandra Kollontai. Außerdem befassten wir uns mit verschiedenen Aspekten der Russischen Revolution, wie etwa der Entwicklung von Kunst und Kultur, und warfen einen Blick auf ihr letztendliches Scheitern und die Gründe für den Aufstieg des Stalinismus. Am Samstag Abend diskutierten Janine Wissler, Ilya Budraitskis und Christoph Jünke die Frage, warum die Revolution keineswegs ein Putsch einer kleinen Minderheit war und weshalb die Erfahrungen von damals noch heute relevant sind:
Dass die Berliner Hotels und Hostels nahezu ausgebucht waren, lag weniger an »MARX IS MUSS«, sondern vielmehr am DFB-Pokalfinale und dem Kirchentag. Unsere Gäste fanden dennoch alle einen Schlafplatz. Entweder sie kamen bei Genossinnen und Genossen unter oder sie schlugen ihr Nachtlager in einer der von uns zur Verfügung gestellten Turnhallen auf.
Doch nicht nur in der Stadt, sondern auch auf »MARX IS MUSS«, waren Fußball und der Kirchentag präsent. Einige Genossinnen und Genossen organisierten spontan ein »Socialist Viewing« des Pokalfinales und Christine Buchholz diskutierte mit dem evangelischen Theologen und Sozialethiker Ulrich Duchrow zum Anlass des 500. Jubiläums der Reformation über die Frage »War Luther ein ein Revolutionär?«:
Disko im »Neuen Deutschland«
Frei nach Emma Goldmanns Motto »Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution«, wurde am Samstag Abend bis tief in die Nacht gefeiert. Vom Rap-Konzert, bis zum Spontanauftritt der russischen Sängerin und Aktivistin Anna Petrovich, war für jede und jeden etwas dabei. Anschließend wurde das Verlagsgebäude des Neuen Deutschland zum Club umfunktioniert und bis in die frühen Morgenstunden getanzt. Entsprechend verschlafen sahen manche Gesichter am Sonntag Vormittag aus. Die Veranstaltungsraume waren aber dennoch voll und nach dem Abschlusspodium unter dem Motto »Auf zum G20-Gipfel!« schallte die Parole »Hoch die internationale Solidarität« durch den Münzenbergsaal und den Innenhof des FMP1.
Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das gelungene Kongresswochenende und hoffen, euch hat es ebenso gut gefallen und ihr konntet ebenso viel mitnehmen für die vor uns liegenden Kämpfe. Und auch der nächste Termin für den »MARX IS MUSS«-Kongress steht schon: Im Jubiläumsjahr der Deutschen Revolution 1918 und der Revolte von 1968 findet der Kongress vom 10. bis 13. Mai 2018 in Berlin statt. Erzählt euren Freundinnen und Freunden, Bekannten und Kolleginnen und Kollegen vom Kongress – wir sehen uns hoffentlich wieder!
In den kommenden Wochen werden wir weitere Audio- und Videomitschnitte von Veranstaltungen vom »MARX IS MUSS«-Kongress auf marx21.de, bei Soundcloud, Facebook und Twitter veröffentlichen.
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