Aki Kaurismäki hat seinen zweiten politischen Film gedreht. In »Die andere Seite der Hoffnung« brechen aktuelle Ereignisse in das geschlossene Universum des Regisseurs ein. Das hat eine inspirierende Wirkung, findet Phil Butland
Seit über drei Jahrzehnten macht Aki Kaurismäki einzigartige Filme über das Alltagsleben von finnischen Arbeiterinnen und Arbeitern. Auf 35-mm-Film mit einem geringem Budget gedreht, bieten sie ein erfrischendes Gegengift zu effektgeladenen Hollywood-Superhelden-Blockbustern.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler, die regelmäßig in Kaurismäkis Filme auftreten, sehen nicht wie Filmstars aus. Die Kleider, die sie tragen, die Musik, die sie hören, und die Autos, die sie fahren, gehören in ein anderes Zeitalter. Die Filme verkörpern eine Nostalgie für eine verlorene Welt, die – falls sie überhaupt je existiert hat – vom modernen Kapitalismus längst abgeschafft wurde.
Für seine Filmkulissen verwendet Kaurismäki eine ähnliche Farbpalette wie der Maler Edward Hopper. Auch die Themen Entfremdung und stille Verzweiflung teilen seine Filme mit mit Hoppers Bildern. Genau wie ein Bild von Hopper zeigt ein Kaurismäki Film den Tabesablauf von normalen Leuten, die irgendwie außerirdisch wirken.
Ein Fluchtschicksal
Im Jahr 2011 drehte Kaurismäki vielleicht seinen realistischsten – und am dezidiertesten politischen – Film bisher: In »Le Havre« versucht ein Schuhputzer, ein afrikanisches Flüchtlingskind zu retten. Sechs Jahre später kommt der zweite Teil einer geplanten »Hafenstadt-Trilogie« heraus. Wie sein Vorgänger ist »Die andere Seite der Hoffnung« ein Schrei gegen das Unrecht, das Flüchtlinge im modernen Europa erfahren müssen, aber zugleich auch eine Feier der Solidarität der einfachen Menschen.
Khaled (Sherwan Haji in seiner ersten Filmrolle) landet in Helsinki in einem Kohlenfrachter – die vorerst letzte Etappe seiner Flucht aus Aleppo. Die Leichen seiner Eltern liegen in den Trümmern seiner Heimstadt und seine Schwester hat er bei einer Grenzkontrolle verloren. Nach Finnland kam er zufällig, weil er sich vor polnischen Rassisten auf dem Schiff versteckt hatte.
Gleich nach der Landung versucht er, sich bei der Polizei anzumelden – entgegen dem Rat eines schwarzen Angestellten. Die Polizei prüft seinen Fall und informiert ihn, dass der finnische Staat Aleppo als sichere Stadt betrachtet. Khaled muss sich bei den Behörden melden und soll am nächsten Tag abgeschoben werden.
Unverhoffte Unterstützung
Wikströms (Sakari Kuosmanen) Flucht ist viel alltäglicher. Er verlässt seine alkoholabhängige Frau und seinen Job als Hemden- und Krawattenverkäufer und erspielt eine beträchtliche Summe beim Pokern. Mit seinem Gewinn kauft er ein Restaurant, in dem er – meist erfolglos – versucht, die Kundschaft für zunächst finnisches, dann japanisches und schließlich indisches Essen zu interessieren.
In der ersten Stunde des Films werden die Schicksale von Khaled und Wikström getrennt erzählt. Aber als Khaled vor den Behörden flieht, übernachtet er in einem Nebengebäude von Wikströms Restaurant. Ihre erste Begegnung endet in einer Prügelei, doch dann verstecken Wikström und seine eigenartigen Angestellten – der Türsteher Calamnius (Ilkka Koivula), der Koch Nyrhinen (Janne Hyytiäinen) und die Kellnerin Mirja (Nuppu Koivu) – Khaled vor der Polizei. Wikström organisiert für Khaled sogar einen gefälschten Ausweis.
Das Gute im Menschen
Solche Gesten der Solidarität sind normal für die Bewohnerinnen und Bewohner von Kaurismäkis Universum, dessen Filme immer sein Vertrauen in die grundsätzliche Anständigkeit der Menschen – und besonders armen Menschen – bezeugen. Während Politiker und Medien gegen Geflüchtete hetzen, ist Kaurismäki der Überzeugung, dass Solidarität solchen Hass überwinden wird.
Man könnte meinen, dass Kaurismäkis zeitloses, unwirkliches Universum nicht geeignet wäre, um die verzweifelte Existenz eines Geflüchteten darzustellen. Aber letztendlich hilft diese Dissonanz, zu zeigen, wie verrückt die Zeiten sind, in denen wir jetzt leben.
Großes Potenzial
Die altmodische Bürokratie der Polizei, wo die Beamten immer noch ihren Berichte mit zwei Fingen auf einer alten Schreibmaschine tippen, gehören in die Vergangenheit – genauso wie die karikaturhaften Nazis der »Finland Liberation Army«, die Khaled bedrohen. Eine andere Vergangenheit sehen wir im Restaurant mit seiner Jukebox, den Schallplatten und dem Jimi-Hendrix-Plakat. Diese Vergangenheit ist zwar anheimelnder, wird aber auch langsam verschwinden.
Es sind Khaled und sein irakischer Freund Mazdak (Simon Al-Bazoon) – angeblich der einziger Handyträger in Helsinki – die die Zukunft verkörpern. Sie werden nicht als passive Opfer dargestellt, sondern als lebendige Menschen mit der Fähigkeit, zu handeln. Das Zusammentreffen dieser Handlungsfähigkeit mit dem Solidaritätsinstinkt und der reinen Menschlichkeit von Wikström und seinen Mitarbeitern erzeugt eine Kraft, die die Welt verändern kann.
Ein »fast realistischer Film«
Was ist die andere Seite der Hoffnung? Ist es Angst und Hoffnungslosigkeit oder ist es die Möglichkeit, dass wir unsere Hoffnungen und Träume tatsächlich verwirklichen können? Der Film lässt diese Fragen offen – nicht zuletzt durch sein zweideutiges Ende. Aber es ist absolut klar, für welche Seite sein Regisseur eintritt.
Kaurismäki selbst sagt: »Mit diesem Film möchte ich, soweit das möglich ist, die europäische Sichtweise aufbrechen, in der Geflüchtete entweder ausschließlich bedauernswerte Opfer oder nur anmaßende Wirtschaftsimmigranten sind … Es ist ein Film, der ohne Skrupel die Ansichten und Meinungen seiner Zuschauer verändern will, indem er ihre Gefühle manipuliert … Ein ansonsten fast realistischer Film über gewisse menschliche Schicksale in der Welt, in der wir heute leben.«
Auf der diesjährigen Berlinale hat »Die andere Seite der Hoffnung« zu Recht den silbernen Bären gewonnen. Ab 30. März läuft er in den deutschen Kinos. Wer einen guten politischen Film mit Humor und hervorragender Musik sehen will, sollte unbedingt hineingehen.
Der Film:
Die andere Seite der Hoffnung
Regie: Aki Kaurismäki
Finnland 2017
Pandora Filmverleih
98 Minuten
Ab 30.3. im Kino
Schlagwörter: Berlinale, Kino, Kultur