Am 22. April wurden die Bergwerke des ukrainischen Magnaten Rinat Achmetows in der Region Lugansk bestreikt. Zweitausend Bergarbeiter belagerten die Managementbüros und verlangten nach einer Lohnerhöhung. Zeichen für einen Stimmungsumschwung? Andrej Ischtschenkow, Mitglied der vereinigten sozialistischen »Linken Opposition« und Koordinator des Arbeiterverteidigungskomitees von Odessa berichtet aus der Ukraine
Der gegenwärtige Streik umfasst fünf Bergwerke die im Besitz des Oligarchen Rinat Achmetows sind. Der Streikbeschluss wurde am 22. April auf einer Massenversammlung auf dem Hauptplatz der Stadt Krasnodons um vier Uhr nachmittags getroffen.
Der Gegner der Streikenden ist mächtig. Der Oligarchen Rinat Achmetow ist einer der reichsten Menschen der Ukraine. Sein Vermögen bewegt sich zwischen sieben und siebzehn Milliarden US-Dollar. Er behauptet, er habe sein Reichtum durch kommerzielle Risikogeschäfte angehäuft. Ermittlungen seitens der ukrainischen Regierung identifizieren ihn allerdings als den Kopf einer kriminellen Vereinigung. Im Jahr 2005 ergriff er die Flucht nach Monako, kam aber bereits ein Jahr später wieder zurück, nachdem die Untersuchung seines Finanzgebarens durch die Regierung Janukowitsch wieder eingestellt wurde. Achmetow ist zugleich prominentes Mitglied und Gönner von Jankukowitsch‘ Partei der Regionen und ehemaliger Premierminister. Wie die übrigen ukrainischen und russischen Oligarchen hat auch er seinen eigenen Fußballclub, Schachtar Donetzk. (Sein Vorgänger als Clubpräsident kam bedauerlicherweise 1995 durch ein Bombenattentat ums Leben.) Als Chef der Beteiligungsgesellschaft »System Capital Management« (SCM) kontrolliert Achmetow mit seinem Firmengeflecht aus über 100 Unternehmen große Teile der ostukrainischen Stahl- und Kohleindustrie, die zu SCM gehörenden Firmen beschäftigen gemeinsam etwa 300.000 Personen und erreichten 2012 einen Umsatz von 23,47 Milliarden US-Dollar. Der zu SCM gehörende Kohle- und Stromerzeuger DTEK beschäftigt allein etwa 140.000 Personen, kontrolliert fast die Hälfte des gesamtukrainischen Kohlemarktes und deckt ein Drittel der ukrainischen Stromproduktion sowie 40 Prozent der Verteilerkapazitäten. Nach dem Erwerb des Mariupoler Metallkombinats im Juli 2010 stieg die zu »System Capital Management« gehörende Metinvest-Gruppe zum größten Stahlhersteller der GUS auf.
Nach dem Streikbeschluss am 22. April belagerten die 2000 Bergarbeiter noch in der Nacht die Konzernzentrale, um ihre Forderung nach Angleichung ihrer Löhne mit denen der Bergarbeiter der Donbas-Region zu unterstreichen. Auf Youtube sieht und hört man, wie sie »Leg das Geld auf den Tisch« skandieren.
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Einer der Streikenden berichtet: »Gestern (den 22. April) wurde auf einer Versammlung in Krasnodon das Referendum debattiert, auch auf einer weiteren Versammlung. Aber der 22. ist auch der Tag des Lohnvorschusses, jedem wurden an diesem Tag ein tausend Hryvnia ausbezahlt. Aber die Preise wurden letzte Woche abermals angehoben. Benzin ist teurer geworden, die Brotpreise sind gestiegen.«
Bisher konnte man die Proteste im Südosten des Landes nicht wirklich als Arbeiterproteste bezeichnen. Russisch-nationalistische Slogans und abstrakte reaktionäre Ideen hatten die Oberhand. Die Situation könnte sich aber mit dem Streik der Bergarbeiter grundlegend wenden. Die prorussische Richtung der Proteste in dieser Region scheint sich aufzulösen. Dafür gibt es auch objektive Gründe. Das Hauptziel der Protestierenden war anfänglich die Vereinigung mit der Russischen Föderation. Das ganze Gerede von einem Referendum und einer Föderalisierung, vor dem Hintergrund einer russischen Fahne, war natürlich nichts anderes als ein Versuch, den Protesten den Schein der Gesetzlichkeit zu geben.
Die wirkliche Rolle Russlands ist vielen »Anti-Maidan«-Protestierenden mittlerweile klar geworden. Seine Intervention köchelt vor sich hin gerade genug, um die Proteste halbwegs am Leben zu erhalten und sie in den Dienst seiner geopolitischen Ziele zu stellen. Die Proteste im Südosten benutzt Russland als Faustpfand in seinen Verhandlungen mit dem Westen und als Druckmittel gegen die geschwächte Regierung Kiews. Aber die Bergarbeiter Krasnadons haben erkannt, wer ihr eigentlicher Feind ist. Nur noch wenige setzen ihre Hoffnungen in eine Vereinigung mit Russland. Auch der Führer der Unabhängigen Gewerkschaft der Donbas-Bergarbeiter, Nikolai Volynko, verurteilte die separatistische Bewegung im Südosten der Ukraine. Er meinte: »Was den Separatismus betrifft, diese ganze Angelegenheit hätte schon längst abgeschlossen werden können, wenn nicht antiterroristische Kampagnen mit ihren Eröffnungen, ihren Höhepunkten und ihren Abschlüssen immer wieder von Neuem vom Zaum gebrochen würden. Und mit jeder neuen Phase werden weitere Regionalbüros besetzt. Die Behörden vor Ort sind auf Seiten der Separatisten, nachdem ihnen unter der Hand versprochen wurde, dass sie alle ihre Posten behalten würden, auch wenn sich das Verhältnis zu Russland ändern sollte. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, unseren Widerstand offen zu führen. Die Behörden in der Hauptstadt handeln äüßerst zögerlich, während die Kräfte vor Ort der Armee nicht keine Hilfestellung bieten. Was bleibt uns Menschen der Donbas übrig? Warten, bis die Behörden sich zu einer weiteren Antiterror-Operation bequemen? Und welches Stadium wird die Schwangerschaft nächstes Mal erreicht haben? Wir werden Widerstand leisten!«
Die prorussischen Proteste haben sich ausgelebt – aus Ermangelung an eigenen Zielen und Inhalten. Zugleich ist das ganze Land wirtschaftlich zusammengebrochen. Die Protestierenden sind enttäuscht nicht nur von der Politik Kiews, sondern auch von der Russlands. Immer mehr haben mit dem bloßen Überleben zu kämpfen, mit dem absackenden Wechselkurs der Landeswährung Hryvnia, den Preiserhöhungen in den Supermärkten und an den Tankstellen und den hinterher hinkenden Löhnen. Das sind ungleich drängendere Probleme als die Frage der Sprache oder der Geopolitik. Lasst uns hoffen, dass die Proteste langsam eine andere Richtung einschlagen und wir bald nicht mehr diese hohlen Rufe »Lang lebe die Ukraine – Lang lebe Russland« hören müssen.
Aus dem Englischen von David Paenson / Foto: Yuri Mechitov / World Bank Photo Collection / flickr.com / CC BY-NC-ND
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Schlagwörter: Donetzk, Janukowitsch, Kiew, Russland, Ukraine