In Heft 6 veröffentlichte marx21 einen Diskussionsbeitrag zum Israel/Palästina-Konflikt und bat um kritische Anmerkungen. Wir dokumentieren die Zuschriften von Leserinnen und Lesern online in voller Länge.
Zuschriften zur Nahost-Debatte:
Ich habe Zweifel daran, dass Israel sich weiterhin in der Region behaupten, Siedlungen bauen, Menschen vertreiben und Mauern bauen kann. Wenn der Irak und Afghanistan für die USA zu einem zweiten Vietnam werden, dann schwindet damit auch der Rückhalt für Israel in der Region. Wenn die arabische Bevölkerung die Mehrheit zwischen Mittelmeer und Jordan stellt, braucht sie nur noch freie Wahlen zu fordern. Permanente Besatzung zersetzt das israelische Militär. Der Libanonkrieg 2006 hat die konventionell militärische Überlegenheit des jüdischen Staates relativiert. Israels regionales Monopol auf Atomwaffen ist durch Pakistan längst gebrochen. Und der Iran – in der Zange zwischen Irak, Afghanistan und Pakistan – sieht sich genötigt – völlig legal – ein Atomwaffenschwellenland zu werden. In einer geschwächten Position also könnte Israel genötigt sein, Kompromisse zu machen, Land gegen Frieden zu tauschen, Siedungen aufzugeben, mit der Hamas zu reden, die Selbstbestimmung der Palästinenser zu gewähren und Frieden zu schließen. Die schlimmere Option ist, dass Israel die Nerven verliert und losschlägt – so wie Frankreichs Präsident Sarkozy aktuell warnte. Aber statt den Iran zu warnen und zu mahnen keine Atomwaffen anzustreben, sollte er lieber Israel mahnen und auf meine erste Variante hinweisen. Israel wird nicht auf Dauer in einer feindlichen Umgebung überleben können.
Michael Bruns
Sie wollen wissen, ob ich dafür bin, den Juden das Stückchen Land, das sie noch für sich haben, wegzunehmen? – Nein, ich bin ganz und gar nicht dafür.
Wanda Sartori, Zürich (Katholikin)
Was soll ich da noch sagen? Eine detaillierte Aufzählung von Geschichtsklitterungen, die den Israelis die Schuld gibt. Fakt ist: wenn die Palästinenser die Waffen niederlegen ist Frieden, wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es kein Israel mehr. Die deutsche Linke projiziert ihre revolutionären Träume auf die palästinensischen Kämpfer – Hauptsache Kampf – und übersieht dabei, dass unser Wertehorizont kaum Deckung mit den Islamisten aufweist, außer einem tief verwurzelten Amerikahass. Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde? Das, meine lieben Genossen, ist der moderne Antisemitismus, der hier verbreitet wird. Die Holocaustopfer müssen nicht mehr vor Nazis beschützt werden. Die heutige Gefahr geht von den Islamisten und Terroristen (gerne auch als "Kämpfer" bezeichnet) aus. Nach Israel und den USA wären wir dran. Euch möchte ich sehen, wenn ihr versucht, die Scharia mit den Worten von Marx in Einklang zu bringen. Vielleicht irre ich mich ja und ihr findet Diktaturen geil? Ich nicht! Der "Frieden" ist ein dolles Schlagwort, welches aber in der Übersetzung nur "die Ruhe nach der Vernichtung Israels, der USA und der dekadenten, westlichen Welt" bedeutete.
Stefan Goepke, per E-Mail
"Denn das zionistische Siedlungsprojekt schloss von vornherein ein integriertes Zusammenleben von jüdischen Siedlern und Arabern aus." Stimmt nicht: Die jüdische Bevölkerung Hebrons wurde Ende der 20er Jahre von Moslems abgeschlachtet. Die Radikalsierung der Zionisten setzte erst infolge dieses Pogroms ein. Darüber kein Wort im Artikel. Warum? Auch kein Wort über den Libanon, wo das Zusammenleben der Religionen auch nicht funktioniert. Übrigens sind die Araber seinerzeit auch nicht friedlich, sondern als Eroberer nach Palästina gekommen. Steht auch nicht im Artikel – stattdessen nur die alten linksradikalen Halbwahrheiten.
Der Kracher aber ist: "Denn der muslimisch-jüdische Konflikt ist in der Schärfe, wie wir ihn heute in Nahost beobachten, nur wenige Jahrzehnte alt." Ihr solltet mal den Koran lesen, dann würdet Ihr Euch nicht mehr trauen, so einen Unsinn zu veröffentlichen.
Tobias Rüger, per E-Mail
In der deutschen Linken wird dieses Thema oft sehr emotional diskutiert. Ich finde dies schade, da es den Weg einer sachlichen Diskussion verbaut. Die Wirtschaftsregion Naher Osten ist der aktuelle Brennpunkt der Weltgeschichte. Politisch als auch militärisch leisten sich die großen Blöcke dort eine Auseinandersetzung um geostrategischen Einfluss, Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Die Rolle der israelischen Staates in der Region muss ideologiefrei diskutiert werden, und dabei darf man nicht zu dem Schluss kommen, das Kritik an dem Staat (insbesondere der Einfluss des Militarismus in der israelischen Gesellschaft), gleichbedeutend ist mit einer Kritik an der jüdischen Religion. Teile der deutschen Linken leisten sich den Luxus einer Diskussion, die die Sicht versperrt auf einen Weg, der den Frieden für Israelis und Palästinensern gleichermaßen bringen kann.
Es ist wichtig, dass die Unterdrückung der Palästinenser ein Ende hat. Genau so wichtig ist es, das Israelis ohne Angst in Frieden leben können. Das Problem des Terrorismus seitens der Palästinenser löst man nicht dadurch, dass man den staatlichen Terror unkommentiert lässt, bzw. gar für gerechtfertigt hält. Das irritiert mich am meisten, da eine solche Haltung oft von besonders „staatskritischen" Menschen hierzulande geäußert wird. Wie geht man am Besten damit um? Das Hauptaugenmerk auf die sachlichen Inhalte lenken. Dem Artikel ist dies ganz gut gelungen.
Tobias Paul, Darmstadt
Der Diskussionsbeitrag "Der Weg zum Frieden in Nahost" gibt letztlich keine Antwort auf die implizite Frage. Es wird zwar argumentiert, dass die Lösung in einem gemeinsamen, demokratischen Staat von Juden und Palästinensern liegt, es wird aber nicht gesagt, wie wir zu diesem Staat kommen, nur dass es sich um einen „Prozess" handelt, der „lange" dauern wird.
Aber die Geschichte entwickelt sich eben nicht in langen Prozessen, vielmehr in überraschenden Wendungen. Ferner benennt der Artikel nicht die Personenkreise, die einen solchen Prozess einleiten könnten und was sie dazu motivieren sollte.
Die Palästinenser, seit dem Ende des Ersten Weltkriegs von der zionistischen Bewegung im Einklang mit den imperialistischen Mächten (vor allem England, danach den USA) von ihrem Land systematisch vertrieben und unterdrückt, haben alles probiert, von Verhandlungen bis hin zum militärischen Widerstand, und sind offensichtlich gescheitert. Sie haben ganz einfach nicht die militärische Kraft. Auch besitzen sie nicht das wirtschaftliche Potenzial der schwarzen Arbeiterklasse Südafrikas, das als ökonomisches Gebilde von der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in den Minen und Automobilwerken abhängig war und ist. Ihre Kraft liegt allein in ihrer Fähigkeit, Bündnispartner in der arabischen Welt zu finden, in Jordanien, in Libanon und vor allem in Ägypten.
Die jüdische Arbeiterklasse ihrerseits genießt einen Lebensstandard, der nicht ihrer wirtschaftlichen Leistung unter normalen Bedingungen der kapitalistischen Ausbeutung entspricht. Dank der Wirtschaftshilfe der USA und der EU werden die Wirtschaftskrisen erheblich gemildert und der jüdische Arbeiter erhält eine Reihe von Vergünstigungen beispielsweise in Form einer subventionierten Wohnung oder Sozialleistungen vergleichbar mit denen in vielen europäischen Ländern und nicht mit denen der umliegenden arabischen Staaten. Immer wieder gelingt es dem israelischen Staat, durch die Schaffung neuer Spannungen die Loyalität der eigenen Arbeiterklasse zu festigen und zugleich neue Hilfeleistungen der USA, aber auch Deutschlands beispielsweise in Gestalt geschenkter U-Boote, zu anzufordern.
Die Verstaatlichung des iranischen Erdöls unter der demokratischen Regierung Mossadeghs im Jahr 1951 kommentierte die israelische Tageszeitung Ha'aretz mit den Worten: „Israel wird zum Wachhund werden (…). Sollten (…) die Westmächte gelegentlich ihre Augen verschließen wollen, dann wird Israel verlässlich einen oder auch mehrere Nachbarstaaten bestrafen, wenn deren Unhöflichkeit gegenüber dem Westen die Grenzen des Erlaubten überschreitet."
Wie Volkhard Mosler in seinem Beitrag in der gleichen Ausgabe von marx21 anmerkt, „sind Israels Schläge gegen antiimperialistische Befreiungsbewegungen der Region, seien es nationaldemokratische, seien es islamische, seien es vielleicht auch einmal sozialistische, auch im Interesse des deutschen Kapitals".
Genau hier liegt der Schlüssel. Denn positiv formuliert heißt das nichts anderes, als dass eine sozialistische Befreiungsbewegung, ob sie es will oder nicht, zwangsläufig vor die Aufgabe gestellt würde, sich gegen den israelischen Staat zu wehren, wenn sie ihre Revolution nicht kampflos aufgeben will.
Dies ist keine Utopie. Zunächst zur Rolle der ägyptischen Arbeiterklasse: Nach Jahrzehnten des relativen Randdaseins ist sie in den letzten zwei Jahren neu erwacht. Es kommt in allen Industriezweigen sowie im Öffentlichen Dienst wiederholt zu zunehmend politisierten Streiks, die nebst den zentralen Forderungen nach Lohnerhöhungen und Gesundheitsschutz die weitergehende Forderung nach einem landesweiten Mindestlohn ins Zentrum rücken. Viele dieser Streiks werden von Frauen mit Kopftuch angeführt. Diese Streikwelle ist die größte seit dem Zweiten Weltkrieg.
Interessant ist, dass diese Streiks von vielen großen Solidaritätsdemonstrationen begleitet werden, die trotz brutalster Unterdrückung und Massenverhaftungen sich nicht einschüchtern lassen. Das alles vor dem Hintergrund explodierender Brotpreise, die das Mubarak-Regime zeitweise dazu veranlasst haben, Soldaten zum Brotbacken abzukommandieren(!).
Bereits seit 2000 gibt es eine wachsende Oppositionsbewegung in vielen gesellschaftlichen Bereichen, nicht zuletzt an den Universitäten. Das Jahr 2000 markiert nicht zufällig den Beginn der Zweiten Intifada in Palästina, die den Stoff für die ersten, dem Mubarak-Regime trotzenden Solidaritätsdemonstrationen bot.
Diese Oppositionsbewegung fordert zunehmend lautstarker das endliche Abdanken des seit bald 30 Jahren herrschenden Diktators Mubarak, der seinen Sohn zum Nachfolger auserkoren hat, und ein Kappen der Unterstützung Ägyptens für Israel, die unter anderem darin zum Ausdruck kommt, dass Ägypten Israel mit Gas zu einem Zehntel des Weltmarktpreises beliefert.
Anlässlich des Sturzes der von der ägyptischen Armee verteidigten Mauer zwischen Gaza und Ägypten zu Beginn des Jahres 2008, als dann 450.000 Palästinenser einige Tage lang etwas freie Luft genießen und sich mit dem Nötigsten versorgen konnten (durch die von Israel und Ägypten seit Juni 2007 verhängte totale Abriegelung des Gazastreifens steigert sich die humanitäre Katastrophe für die 1,5 Millionen Bewohner Gazas von Tag zu Tag), kam es in Kairo zu großen Solidaritätskundgebungen und wieder zur Verhaftung von 1.500 Menschen, nachdem ein zunehmend nervös gewordener Mubarak alle U-Bahn-Stationen schließen und ganze Stadtviertel der riesigen Metropole nach Oppositionellen durchkämmen ließ.
Zugleich wird die soziale Lage der israelischen Arbeiterklasse – wenn auch, wie gesagt, auf einem viel höheren, eher dem Westeuropas vergleichbaren Niveau – zunehmend schwieriger, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass die jüdische Auswanderung zum ersten Mal die Einwanderung übersteigt. Es kommt zu Streiks, die allerdings die politische Hegemonie des Zionismus nicht in Frage stellen (wobei auch hier erste Risse zu beobachten sind: die Sprecherin der vor dem Sozialministerium kampierenden allein erziehenden Mütter vor einigen Jahren schon sagte in TV Arte, sie sei für eine Ein-Staaten-Lösung für Juden und Palästinenser, denn der jetzige Zustand der Trennung trüge nur zur unermesslichen Teuerung aller Lebensmittel bei).
Hier bahnt sich in Umrissen eine demokratische Lösung für ganz Palästina an, eine unter Beteilung der ägyptischen Arbeiterklasse, die das Potenzial besitzt, der größten Militärdiktatur der Region zum Einsturz zu verhelfen und damit auch einer lebenserhaltenden Lüge des Zionismus (und der Antideutschen hierzulande), dass alle Araber quasi per Natur zu jeglichem demokratischen Fortschritt unfähig seien.
In dieser Situation einer ernsthaften Gefährdung des wichtigsten Verbündeten Israels in der Region wird sich die israelische herrschende Klasse vor die Wahl gestellt sehen, wie im Libanon vor zwei Jahren, militärisch zu intervenieren – nur dass sie diesmal auf mehr als bloß eine militärisch gut organisierte und in der Bevölkerung gut verankerte Hisbollah treffen würde (wobei sie sich auch hier eine blutige Nase holte, die noch nicht vergessen ist), nämlich auf eine mächtige, millionenstarke Arbeiterklasse – auf einen Verbündeten der selbst viel zu kleinen und zu schwachen, aber politisch so stark ausstrahlenden palästinensischen Arbeiterklasse.
In dieser Situation wäre dann die israelische Arbeiterklasse zum ersten Mal in ihrer Existenz vor die Wahl gestellt: Weiterhin die eigene Exklusivdemokratie, die ihr keine neuen Zukunftsperspektiven, nur die alte Leier von Militarisierung der Gesellschaft auf Kosten der sozialen und kulturellen Entwicklung des Landes, zu unterstützen, oder das Wagnis einer viel umfassenderen Demokratie für die ganze Region mit ihrem ganzen Potenzial nicht nur eines dauerhaften Friedens, sondern viel viel mehr, nämlich einer wirklichen gesellschaftlichen Emanzipation einzugehen.
Premierminister Olmerts Furcht vor einer demokratischen Ein-Staaten-Lösung, die er wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, u.a. in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz 2007, („eine das gesamte Gebiet umfassende Lösung à la Südafrika, nämlich Ein-Mann-eine-Stimme, würde das Ende Israels bedeuten") ist zugleich unsere Hoffnung.
Dieser Tag liegt nicht in ferner Zukunft, er kann viel näher liegen, als manche, gar die Mehrheit der Sozialisten heute glauben.
David Paenson, Mitglied DIE LINKE.Frankfurt
Der Beitrag wiederholt ganz überwiegend Unbestreitbares, Richtiges – aber doch sattsam Bekanntes und reichlich Abgestandenes. Dass Bekanntes, vor allem die rund drei Viertel des Textes füllende Geschichte des Konflikts, nochmals abgehandelt wird, ist vielleicht sinnvoll als Eröffnung einer Debatte, zumal in einer um jeden Preis an die Macht drängenden Partei, in der Äußerungen wie die von Herrn Gysi, beispielsweise anlässlich der Staatsgründung Israels vor 60 Jahren, nicht nur möglich, sondern tonangebend sind.
Doch das Versprechen des Titels, „den" Weg zum Frieden aufzuzeigen, also das, was tatsächlich relevant und mehr als das, brennend notwendig ist angesichts der Gewalt, Unterdrückung und Rechtlosigkeit im Nahen Osten und angesichts der Kollaboration aller politischen Kräfte in der BRD mit den Verantwortlichen für Gewalt, Unterdrückung und Rechtlosigkeit – dieses Versprechen ist kaum auch nur annäherungsweise eingelöst. Aus dem Ganzen spricht viel linke Gutmütigkeit und eine „brave" Bereitschaft, sich zu dem, was recht und billig ist, zu bekennen. Dazu sind allerdings auch die Repräsentanten der LINKEN (selbstverständlich konsequenzlos) bereit, die zufällig „die Palästinenser" „abdecken", während andere eher Israel „abdecken", getreu der parlamentarischen Arbeitsteilung bei der effizienten Bedienung gleichwertiger partikularer Interessen.
Was in dem Beitrag über die Selbstmordanschläge auf israelische Zivilisten oder den Raketenbeschuss auf israelische Ortschaften gesagt wird, ist schlüssig und zutreffend. Aber – wie die israelische Propaganda und die Mainstream-Medien-Meute – geht der Text im Abschnitt über den „Widerstand und die Gegengewalt" der Palästinenser ausschließlich auf diese Reaktionsformen einer Minderheit auf die international geduldete bis unterstützte Gewalt der Besatzung ein – als wäre das alles (oder das Wesentliche), was zum palästinensischen Widerstand zu sagen ist. Nicht erwähnt wird ganz im Stil der herrschenden Diskurse, dass sich der bewaffnete palästinensische Widerstand in erster Linie gegen die Armee und die Siedler wendet.
Eine schwache Aussage (die aber als starke gemeint ist) wird mit Hilfe des Fotos der beiden Demonstranten getroffen, der eine offensichtlich praktizierender Jude, der andere vermutlich Palästinenser bzw. Araber, die Hand in Hand an Protesten der US-Friedensbewegung teilnehmen. Schwach: Dass im Rahmen von Demonstrationen überall auf der Welt Juden, Araber und andere Menschen, die sich nicht in erster Linie tribal definieren, gemeinsam protestieren, das ist erfreulich normal. Doch was in Israel/Palästina seit Jahren stattfindet, ein gemeinsamer Widerstand, der mit zum Teil großen Opfern aller Beteiligten verbunden ist und demokratisch, klug, gewaltfrei und phantasievoll gestaltet wird, so dass er die Widerstandsbewegungen überall auf der Welt inspiriert – das hat eine ganz andere Qualität als nur die Tatsache, dass Juden und Araber in den USA auf einer Demo gemeinsam marschieren. Darüber aber verliert der Beitrag kein Wort und kein Bild.
Stattdessen versucht er zu überzeugen, indem er Noam Chomsky als jüdischen Wissenschaftler bezeichnet. „Man merkt die Absicht und ist verstimmt", rhetorisch suggeriert werden soll: (Sogar) Ein Jude meint, die Solidarität mit den Palästinesern sei im Sinne der Juden. Doch durch diesen schaurigen rhetorischen Schlenker wird das, wofür Chomsky vermutlich überzeugende Argumente bringt, keineswegs überzeugender – im Gegenteil. Bezeichnenderweise interessieren seine Argumente weniger als die Tatsache, dass Chomsky Jude ist.
Vielleicht kommt es gerade wegen der Befangenheit der AutorInnen in tribalen Kategorien zu ihrer Blindheit gegenüber nicht tribalen gemeinsamen Widerstandsbewegungen. Übernimmt man tribale Kategorien und Denkmuster, als würden sie tatsächlich die realen Konfliktlinien benennen, dann empfindet man es als wunderbare Errungenschaft, dass Juden und Araber sich nicht hassen und sogar irgendwas zusammen tun, z.B. demonstrieren. Dass sie sich wesentlich ganz anders denn als Juden oder Araber definieren könnten und sich insofern ganz selbstverständlich sehr viel existentieller miteinander verbunden wissen und sogar für ein gemeinsames Ziel kämpfen – das liegt dann schon fast außerhalb des Vorstellbaren.
Der Artikel hebt – symptomatisch – an mit der Aussage, die Darstellungen, „die den Konflikt zwischen Juden und Muslimen im Nahen Osten als unüberbrückbar und ‚ewig während' beschreiben, sind falsch", um dann sinngemäß fortzufahren, es habe zwar in der Geschichte Spannungen zwischen Juden und Muslimen gegeben, aber nichts, was in der islamischen Welt geschehen sei, reiche an die Verfolgung der europäischen Juden im Namen des Christentums heran. Keine falschen, aber müßigen Vergleiche, solange man sich nicht fragt, wer (im Sinne einer ökonomischen und soziologischen Analyse) da jeweils tatsächlich (mehr oder weniger stark) verfolgt wurde und warum. Fragwürdig sind solche Vergleiche jedenfalls, weil implizit eine Bewertung mitschwingt, welcher „tribe" bzw. welche Religionsgemeinschaft historisch die barbarischere war.
Falsch ist es aber in jedem Fall überhaupt von einem Konflikt zwischen Juden und Muslimen zu sprechen, als gäbe es derzeit im Nahen Osten zwischen den Angehörigen der beiden Religionsgemeinschaften (oder auch der Araber und der Juden) als solchen einen (nennenswerten) Konflikt – auch wenn dies gängige Redeweise von Politikern, „Experten" etc. ist, und auch wenn es zentrales Anliegen der Kulturkämpfer und Kriegstreiber dieser Welt ist, die Menschen dahin zu treiben, dass sie sich selber in diesen Kategorien definieren. Diese gängige falsche Redeweise, die zugleich auch eine falsche Sichtweise und Analyse bedeutet, wird am Ende des Beitrags, gerade da, wo es um Lösungen gehen soll, wieder aufgegriffen. Wieder ist die Rede vom „muslimisch-jüdischen Konflikt" und von der arabischen Bevölkerung, die innerhalb eines gemeinsamen Staates möglicherweise Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung verüben würde. Einmal mehr werden die herrschenden kulturkämpferischen Diskurse und Kategorien für bare Münze genommen.
Wer nur ein wenig die Verhältnisse vor Ort kennt, aus eigener Erfahrung oder durch etwas gründlichere Information, kommt nicht im Traum auf die Idee, in einem gemeinsamen Staat käme es zu Übergriffen der arabischen auf die jüdische Bevölkerung. Diese „Befürchtung" „viele(r)(!) Gegner eines gemeinsamen Staates" kann nur aus der Propaganda-Kiste des israelischen Staates kommen, aus der sich Nahost-Korrespondenten und Politiker hierzulande nur zu gerne bedienen, einer Kiste, auf die sich ernsthaft einzulassen, eigentlich unter der intellektuellen und politischen Würde sein sollte – außer eben, man glaubt tatsächlich, dass an der „Befürchtung" irgend etwas dran ist.
Der „Israel-Debatte(n)"-Beitrag offenbart eine große Ferne von seinem „Gegenstand", der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft, der Realität der Besatzung und – der Realität des in beiden Gesellschaften verankerten, von beiden Gesellschaften ausgehenden Kampfes für eine gemeinsame friedliche Zukunft, in der alle dort lebenden Menschen gleiche Rechte und Möglichkeiten haben werden.
Aus weiter Ferne und von einer großen paternalistischen „Höhe" herab werden kritische Überlegungen zur „Zwei-Staaten-Lösung" angestellt, die an den durch die israelische Besatzung geschaffenen Bedingungen ansetzen und sie – ganz im Sinne der israelischen Kolonialisten als ewige, nicht mehr rückgängig zu machende darstellen.
Von einer Mehrheit der Palästinenser und einer kleinen Minderheit von Israelis wird etwas anderes als Wesentlich betrachtet: der gemeinsame Kampf gegen das Regime der Besatzung, das destruktiv in die palästinensische und (auf eine andere Art und in einem anderen Maß) in die israelische Gesellschaft hineinwirkt. Dieser Kampf wird von Israelis und Palästinensern als Weg zum Frieden und zu einer Transformation der Gesellschaft(en) aufgefasst, ein Kampf, der real und tagtäglich, unterstützt durch die globalen Widerstandsbewegungen geführt wird und der reich ist an theoretischen Überlegungen, Analysen und Konzepten.
Ich frage mich, warum ein kritisches linkes Netzwerk wie marx21 sich dafür kaum interessiert und kaum Zugang zu dieser Realität findet und daraus auch für sich schöpft. Schließlich ist liefert der gemeinsame palästinensische, israelische und internationale Widerstand, „das Dreieck der Solidarität", wie es Michel Warschawski nennt, reichlich Erfahrungen/Praxis und Überlegungen, wie ein Weg zum Frieden und zu einer gemeinsamen Zukunft aussehen kann – einer Zukunft im übrigen, deren staatliche oder nicht-staatliche Konstitution in 1, 2, X oder 0 Staaten nicht fernes Ziel ist, sondern von den Betroffenen aus den gemeinsamen Kämpfen jetzt entwickelt wird. Und dazu braucht's keine deutsche Linke, die sich den Kopf über 1- oder 2-Staaten-„Lösungen" zerbricht. Hilfreich wäre allerdings eine deutsche Linke und eine deutsche Friedensbewegung, die zu den palästinensischen und israelischen Kräften Verbindung aufnehmen würde, die in der gemeinsamen Gegenwart für eine gemeinsame Zukunft kämpfen, und die man mal fragen könnte, welche Form der Solidarität sie sich wünschen.
Sophia Deeg
Ich bin zwar kein Unterstützer des Netzwerks, teile aber viele Ansichten von marx21, inklusive Nahost. Euer Text zum Konflikt ist im Prinzip korrekt, dennoch muss ich paar Ergänzungen aufschreiben, da ich glaube, dass er bei einigen Stellen Munitionsstoff für Unterstützer Israels hierzulande liefert. Konkret gesagt:
„Dies ist nur möglich, wenn ein gemeinsamer, weltlicher und demokratischer Staat geschaffen wird, in dem Juden, Muslime und Christen mit gleichen Rechten zusammenleben können."
Das kann kein Lösungsansatz sein. Ich sage es, nicht weil ich proisraelisch bin, aber weil hier der Konflikt zu einem religiösen, statt einen nationalen Konflikt reduziert wird. Viele Israelis und Palästinenser sind Atheisten. Der Konflikt findet nicht zwischen zwei Religionen statt, sondern zwei Nationen mit ihren eigenen Klassenstrukturen etc.: Die palästinensische-arabische Nation und die Nation, die aus dem zionistischen Kolonisationsprojekt entsprang, die israelische-hebräische.
Die Anzahl der Staaten sollte in einem Lösungsansatz sekundär sein. Hauptsache ist: gleiche Bürgerrechte, sowie gleiche nationale kollektive Rechte für alle. Unterstützer Israels können sehr leicht darauf hinweisen, dass die palästinensischen Bürger Israels mehr Bürgerrechte genießen als z.B. jetzt in Syrien. Es ist egal ob ein Staat, zwei Staaten etc. Hauptsache Gleichheit zwischen den nationalen Gruppen, ergo: Suspendierung des zionistischen Kolonisationsprojektes und seiner Annahme, dass alle Juden auf der Welt eine Nation bilden und Anerkennung, dass eine neue Nation durch ein Projekt, ähnlich wie in den USA, Australien, Südafrika, etc., entstanden ist.
Jan Schneider
- Alle obigen Zuschriften beziehen sich auf den Artikel: "Der Weg zum Frieden in Nahost"