John le Carré, Marionetten, Ullstein, Berlin 2008, 366 Seiten, 22,90 Euro
Von Marieke Müller
John le Carrés 21. Roman „Marionetten« ist nicht nur ein Spionage-Thriller, sondern gleichzeitig eine scharfe Kritik am „Krieg gegen den Terror«, in der le Carré die Verantwortlichen beim Namen nennt.
Wie in früheren Romanen greift John le Carré in „Marionetten« den vorherrschenden Konflikt seiner Zeit auf: An die Stelle des Kalten Krieges ist nun der „Krieg gegen den Terror« gerückt. Im Zentrum der Handlung steht Issa, ein tschetschenischer Muslim. Nachdem dieser Folter und Gefängnis entkommen ist, flüchtet er nach Hamburg – und wird dort von den westlichen Geheimdiensten verdächtigt, ein islamistischer Terrorist zu sein. Die Figuren, die versuchen, Issa dabei zu helfen, seinen Traum von einem Medizin-Studium zu verwirklichen, geraten durch ihre Solidarität ebenfalls in das Visier der Geheimdienste, denen sie zunehmend machtlos gegenüberstehen.
Obwohl der „Krieg gegen den Terror« als zentraler geopolitischer Konflikt in le Carrés neuestem Roman eine ähnliche Funktion einnimmt wie ehemals der Kalte Krieg, ist „Marionetten« wesentlich politischer. Während in den Romanen des Kalten Krieges die ausführenden Spione weitaus wichtiger waren als die im Hintergrund agierenden Politiker, nennt „Marionetten« die Verantwortlichen des „Kriegs gegen den Terror« beim Namen: Bush und Blair sind die Architekten einer Politik, die „Folter und staatlich angeordnete Entführungen« erlaubt, in deren Namen Putin „mit den Tschetschenen machen (kann), was er will« und die Muslime unter Generalverdacht stellt: „Seit den Anschlägen vom elften September waren die Hamburger Moscheen gefährliche Orte geworden. Ein einziger Besuch in der falschen (…) und man landete mitsamt der ganzen Sippschaft für alle Zeit auf der Verdächtigenliste der Polizei.«
Die Opfer in „Marionetten« sind nicht nur die, die fälschlich unter den Verdacht des Terrorismus geraten. Es sind auch jene, die die Anwältin Annabel Richter, Fanon zitierend, „Die Verdammten dieser Erde« nennt: Asylsuchende, die mittellos sind und oft unter „einer gezielten Verelendungspolitik« auf ihre Abschiebung warten. Entgegen dem in manchen Kritiken geäußerten Vorwurf, die Figuren in „Marionetten« seien oberflächlicher als in le Carrés früheren Romanen, handelt es sich bei Issa nicht um eine durch und durch positive Identifikationsfigur. Vielmehr sehen die Charaktere um ihn herum bis zum Ende sehr verschiedene Dinge in ihm. Annabel, die Issa Unterschlupf gewährt, versteht, dass seine Worte eine „Bedeutung aus seiner Welt« haben, „nicht aus ihrer«. Und so bleibt Issa trotz aller Wut über die Behandlung, die er erfährt, auch für den Leser ein Rätsel.
Zwar zeichnet le Carré die „traditionellen« Geheimdienste (den deutschen, aber auch den britischen) in einem romantisierenden Licht – sie scheinen nur unter dem Einfluss der US-amerikanischen Neokonservativen zu einer Abkehr von wirksamen, „rechtsstaatlichen« Spionagemethoden gezwungen zu werden. Nichtsdestotrotz ist „Marionetten« ein lesenswertes Buch, das aufzeigt, wie die Schwächsten der Gesellschaft zu den Opfern des so genannten „Kriegs gegen den Terror« werden können.
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