Patrick Bade erzählt in seinem opulenten Werk »Music Wars« die wenig bekannte Geschichte der Musik während des Zweiten Weltkriegs. Von Carl Herzogenberg
Musik ist ein bedeutendes historisches Produkt und war über längere Perioden der Zivilisationsgeschichte ein nicht wegzudenkender Bestandteil des menschlichen Zusammenseins. In seinem ausgezeichneten Buch »Music Wars« erzählt Patrick Bade nun eine weniger bekannte Episode deren neuerer Geschichte – die des Verhältnisses von Musik und Krieg in den Jahren des Zweiten Weltkriegs.
Es gibt keine relevante (westliche) Musikrichtung der Zeit, deren Kriegsgeschichte Bade ausgelassen hätte: Von Swing bis Oper, von der klassischen Kammermusik bis zum Schlager zeichnet er lebendig (und nicht selten aufwühlend) das Schicksal der Menschen, die Musik machten, wie derjenigen, die ihr zuhörten, im Mahlstrom des Kriegs nach. Auf seiner, der Zeit des Geschehens entsprechend oft schrill-makabren historischen Bühne wird man allerdings auch auf Charaktere stoßen, für deren Schicksal man wenig Mitgefühl übrig haben wird: Die Puccini-liebenden Frauen-KZ-Aufseherinnen, die sich ihre Lieblingsarien bis zum Überdruss (der Ausführenden) von internierten jüdischen Sängerinnen vorsingen lassen, oder Nazis, die auf Hitlers Befehl in den Kneipen von Bayreuth zum Besuch einer Wagner-Aufführung disziplinarisch verordnet werden, sind dafür nur zwei besonders markante Beispiele.
Mittel der Propaganda und des Widerstandes
Eindrucksvoll schildert das Buch aber auch die Geschichten unzähliger Menschen, welche die widrigsten Umstände, in denen sie sich plötzlich fanden, überwinden. Hierzu zählen auch die Gefangenen des KZ Theresienstadt (heute Terezin in der Tschechischen Republik), deren Kriegsschicksal auf eine besondere Art mit der Musik verbunden war: Als »Vorzeigelager« des Dritten Reichs, zu dem sogar ein Propagandafilm gedreht wurde (auf die unnachahmlich dreist-zynische Naziart »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt« betitelt), wurde Theresienstadt zum Tötungs- und Weiterdeportationsort vieler jüdischer Musikerinnen und Musiker. Die Öffentlichkeit entdeckte ihre Musik ab Mitte der siebziger Jahre wieder, darunter auch das inzwischen berühmte Meisterstück des 1944 aus Theresienstadt nach Auschwitz deportierten und ermordeten Komponisten Viktor Ullmann: die Kammeroper »Der Kaiser von Atlantis« – eine grotesk-bittere Hitler-Satire, deren Proben für eine geplante Premiere von den Nazis gestoppt wurden.
Wenn es um die Mannigfaltigkeit sowohl des Gebrauchs als auch des Missbrauchs der Musik in den Jahren des Zweiten Weltkriegs geht, wird sie vom Autor bis ins feinste Detail dargestellt: Von der entscheidenden Rolle, welche die Musik für die Kulturpolitik des Naziregimes spielte (und wie gründlich sie zu Propagandazwecken ausgeschlachtet wurde), über die Musik als Mittel des Widerstands und des Überlebens im Gefangenen- und Vernichtungslager bis zur Musik der Heimat- oder Kampffront in den USA, Großbritannien und der Sowjetunion.
Musik als Bestandteil der Kriegsführung
Bade schildert dabei gleichermaßen die Entstehung der populärsten Schlager der Zeit auf beiden Seiten der Front, zum Beispiel Vera Lynns auch heute bekanntes »We’ll meet again« oder Norbert Schulzes »Lili Marleen«. Er beleuchtet die Walzer- und Jazztanzveranstaltungen in Moskau, die Konzertauftritte sowjetischer Opernsängerinnen und -sänger für die Rotarmisten von Stalingrad, die klassischen Konzerte im bombardierten London und ein KZ-Frauenorchester, das einer nichtsahnenden SS-Truppe Felix Mendelssohns Violinkonzert vorspielt (Mendelssohns Musik war zur NS-Zeit in Deutschland verboten, da er jüdischer Herkunft war).
Neben der Kriegsmusik und der Musik im Krieg schenkt Bade auch dem Krieg mittels der Musik gebührende Beachtung: Schon das einleitende Kapitel »Wunderwaffe Musik« zeigt eindrucksvoll, wie bedeutend die Musik für die Kriegsbemühungen aller Parteien war und wie oft Musik systematisch in unterschiedlichste Aspekte der Kriegsführung einbezogen wurde.
Für alle, die über die Musik im Zweiten Weltkrieg und über das Verhältnis von Musik zu Gesellschaft (und umgekehrt) im Allgemeinen mehr erfahren möchten, ist »Music Wars« eine Pflichtlektüre. Detailliert, lebendig und oft geradezu fesselnd begleitet Autor Bade seine Leserinnen und Leser auf eine außerordentlich informative wie nachdenklich machenden Lesereise durch die Musik- und Menschenlandschaften einer gewaltigen und gewaltsamen Zeit.
Das Buch: Patrick Bade: Music Wars 1937-1945 – Propaganda, Götterfunken, Swing: Musik im Zweiten Weltkrieg, Laika Verlag, Hamburg 2015, 512 Seiten, 34 Euro
Foto: Boston Public Library
Schlagwörter: Buch, Hitler, Juden, Nazis, Rezension, Widerstand, Zweiter Weltkrieg