Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Themenheft "Linke Parteien in Europa", Nr. 75, September 2008, 225 Seiten, 10 Euro
Von Marcel Bois
Auf der einen Seite eine sozialdemokratische Partei, die sich neoliberaler Politik verschreibt und dadurch in die Krise gerät, auf der anderen Seite eine Neue Linke, die entsteht, um diese Entwicklung aufzuhalten und bei Wahlen Erfolge erzielt – dieses Phänomen ist keinesfalls typisch deutsch, sondern durchaus in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Ländern zu beobachten. In ihrer aktuellen Ausgabe geht die Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung dem nach. Verschiedene Autoren untersuchen die Entwicklung linker Parteien in Italien (Jens Renner), Frankreich (Elisabeth Gauthier), Österreich (Hermann Dworczak), Griechenland (Julian Marioulas), Tschechien (Joachim Becker) und Spanien (Dominic Heilig).
Bei der Lektüre der einzelnen Artikel, die sich in Stil und Qualität durchaus unterscheiden, wird ein Prozess deutlich, der derzeit in einem Großteil der west- und mitteleuropäischen Länder vonstatten geht. Er verläuft jedoch keineswegs einheitlich und zeitgleich. Dennoch sind bestimmte Grundzüge zu erkennen.
Erstens verfolgen die Regierungen dieser Länder alle eine Politik von Kürzungen und Sozialabbau. Zweitens wird oder wurde diese Politik in allen Ländern von sozialdemokratischen Parteien mitgetragen. Nicht selten haben sie in Regierungsverantwortung diese neoliberalen Maßnahmen sogar selbst durchgeführt. Dies hat zumeist zu schweren Krisen dieser Parteien geführt, die sich vor allem in Mitgliederschwund und Wahlniederlagen ausdrückten. Drittens ist seit Anfang dieses Jahrhunderts ein Aufschwung sozialer Bewegungen zu beobachten. Deutlichster Ausdruck hiervon war die Entstehung der globalisierungskritischen Bewegung, die Proteste von Millionen Europäern gegen den Krieg im Irak, das „Nein" der Franzosen, Iren und Niederländer gegen die neoliberale EU-Verfassung und massenhafte Proteste in verschiedenen Ländern gegen Rentenkürzungen, Studiengebühren und Arbeitszeitverlängerungen.
Viertens sind – zumeist aus den Protestbewegungen heraus – neue linke Parteien entstanden oder die „alte" Linke hat einen Erneuerungsprozess vollzogen. Der Linksblock in Portugal und Synapismos in Griechenland sind gute Beispiele für derart neue Parteien. Auch in Österreich und Frankreich wird derzeit diskutiert, eine neue linke Partei zu gründen. Für die Wandlung alter linker, meist kommunistischer Parteien stehen exemplarisch die Rifondazione Comunista in Italien oder die Sozialistische Partei (SP) der Niederlande. DIE LINKE in Deutschland spiegelt durch den Zusammenschluss der neu gegründeten WASG mit der Linkspartei.PDS durchaus beide Prozesse wieder. In fast allen Fällen erzielten die Parteien der Neuen Linken nach dem Betreten der politischen Bühne große Erfolge. Außerhalb Deutschlands ist hier die niederländische SP hervorzuheben, die zwischen 2002 und 2007 ihre Mitgliedschaft nahezu verdoppelt hat (von 27.000 auf über 52.000). Bei den Wahlen 2006 erhielt sie 16,6 Prozent der Stimmen.
Fünftens sind einige linke Parteien, nachdem sie den Prozess der Konstituierung abgeschlossen hatten, in handfeste Krisen geraten. So schreibt die Redaktion von Z.: „Während die Linke in Deutschland gegenwärtig eine Reihe parlamentarischer Erfolge zu verzeichnen hat, mussten sozialistische und kommunistische Parteien in anderen Ländern Europas in jüngster Zeit schwere Niederlagen hinnehmen." Wahlniederlagen, wie die der italienischen Linken, sind dabei nur ein Aspekt, Spaltungen neuer Parteien wie etwa der Scottish Socialist Party ein anderer.
Leider wird diese Systematik in der Entwicklung der europäischen Linken in dieser Deutlichkeit von den Autoren der Z. nicht benannt und dementsprechend auch nicht als Bezugsrahmen für die Analyse der jeweiligen nationalen Parteien verwendet. Das ist schade. Denn so stehen die einzelnen Artikel etwas unvermittelt nebeneinander. Lediglich Dominic Heilig versucht in seinem Beitrag „Vereinigte oder vereinte Linke?" eine vergleichende Analyse der Linken in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland. Seine These: „Die vereinigten Linken in Europa stehen vor dem Aus." Eine organisatorisch vereinigte Linke könne ohne die Erarbeitung eines gemeinsamen Programms nicht dauerhaft funktionieren. In der „Pluralität" der italienischen Linken sieht er den Grund für ihr Scheitern. Auch bei der LINKEN in Deutschland sei das fehlende Programm das Hauptproblem.
Doch diese Erklärung greift zu kurz. Denn alle der genannten Parteien agieren auf einer klaren programmatischen Grundlage – nämlich der Ablehnung von Krieg und neoliberaler Politik. Was sie in die Krise geführt hat, war vielmehr die Aufgabe ihrer Grundsätze. Die Rifondazione Comunista war in den vergangenen zwei Jahren Mitglied einer Mitte-Links-Koalition um Ministerpräsident Romano Prodi. Ihre Abgeordneten haben in dieser Zeit Prodis Kürzungsplänen ebenso zugestimmt wie der Entsendung italienischer Truppen nach Afghanistan. Dafür ist sie Anfang des Jahres von den Wählern abgestraft worden.
Abgesehen von diesen Kritikpunkten ist das Schwerpunktheft der Z. durchaus empfehlenswert. Es gibt einen interessanten Einblick in die Entwicklung und Diskussionen der europäischen Linken. Zudem befinden sich im zweiten Teil des Heftes weitere Artikel zu sehr unterschiedlichen Themen – wie beispielsweise den europäischen Revolutionen 1848/49 und den aktuellen Entwicklungen im südafrikanischen ANC. Buchbesprechungen und Berichte über eine Konferenz zur Situation in Bolivien und die Kapital-Lesebewegung des SDS runden das Heft ab.