Ilan Pape: »Die ethnische Säuberung Palästinas«, Zweitausendeins 2007, 413 Seiten, 22,- Euro (hier bestellen …)
Von Sophia Deeg
Ilan Pappe, israelischer Historiker und Politikwissenschaftler, hat seine Heimat fürs erste verlassen, „doch hoffentlich nicht für immer«. In England, wo er derzeit lebt, forscht und
unterrichtet, hofft er, „nicht wie ein Pestkranker gemieden zu werden«, so Pappe in einem Interview.
Bereits in den 80er Jahren waren er und andere israelische Historiker angeeckt, als sie zeigten, „wie falsch und absurd die israelische Behauptung war, die Palästinenser hätten das Land ‘aus freien Stücken‘ verlassen«. Doch Pape ließ vor allem ein Tabu keine Ruhe, das er und seine Historiker-Kollegen zunächst nicht angerührt hatten: die systematischen ethnischen Säuberungen, die mit der Staatsgründung Israels einhergingen. „Die ethnische Säuberung Palästinas« ist das Werk, das seinem Ruf in Israel den schwersten Schlag versetzt hat.
Der jüdische Staat konnte nur mit Gewalt durchgesetzt und aufrechterhalten werden. Pape zeigt anhand von Äußerungen führender Politiker aus den Gründungsjahren des Staates Israel auf, dass die zionistische Ideologie auf dem planmäßigen Ausschluss der Palästinenser beruhte.
Der spätere israelische Premierminister David Ben Gurion sprach sich bereits im November 1947 unmissverständlich für ethnische Säuberungen aus, die gewährleisten sollten, dass der neue Staat ausschließlich jüdisch sei. Im selben Jahr bedauerte er in einer Rede vor Mitgliedern der israelischen Arbeiterpartei, dass es „in den Gebieten, die dem jüdischen Staat (von der UN) zugewiesen sind, (…) 40 Prozent Nichtjuden« gibt. Ein jüdischer Staat sei erst mit 80 Prozent Juden lebensfähig und stabil.
Im März 1948 verabredeten Gurion und zehn weitere Führer der zionistischen Bewegung einen Plan zur ethnischen Säuberung Palästinas. 531 Dörfer und elf städtische Siedlungen wurden mit Waffengewalt geräumt, 800.000 Palästinenser zur Flucht gezwungen, die Häuser samt Mobiliar zerstört und die Ruinen vermint, damit die Vertriebenen nicht zurückkehren konnten. Die Vertreibungen waren nach Pappe keine bloße Begleiterscheinung des Krieges von 1948, sondern Hauptziel der israelischen Kriegsführung.
Nach 1948 wurden diese Vertreibungen in Israel tabuisiert. Sämtliche Regierungen verweigerten bisher Gespräche über das Rückkehrrecht der Vertriebenen. Laut Pappe steckt dahinter „eine tief sitzende Angst vor einer Debatte über die Ereignisse von 1948″, „da Israels ‘Behandlung‘ der Palästinenser zwangsläufig beunruhigende Fragen nach der moralischen Legitimität des gesamten zionistischen Projekts aufwerfen würde.« Der Jewish National Fund unterstützte die Tabuisierung der Vertreibungen indem er auf den Ruinen palästinensischer Dörfer Wälder und Erholungsgebiete errichten ließ und dabei eine kolonialistische Umdeutung der Geschichte Palästinas schuf. Diese Politik nennt Pappe „Memorizid an der Nakba«.
Das daraus resultierende Geschichtsbewusstsein trägt heute dazu bei, dass in Israel die täglichen Bombardierungen des dicht bevölkerten Gazastreifens stillschweigend hingenommen werden. Der Staat Israel, so Pape, „hat nie aufgehört, Palästinenser zu töten.« Warum? Weil, wie er argumentiert, die Großmächte USA und Europa bis heute Israels Regierung dabei unterstützen.