Magazin: Luxemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis Nr.1, Themenschwerpunkt: »In der Krise«, September 2009
Von Stefan Bornost
Keine Angst vor großen Namen: Luxemburg heißt sie, die neue Zeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nachfolgerin der letztes Jahr beerdigten Utopie kreativ. Schwer liegt der Band in der Hand, auf fast 200 Seiten will die Redaktion »Gesellschaftsanalysen und linke Praxis zusammenbringen«.
Der erste Eindruck beim Durchblättern ist gut: Ein luftiges Layout mit viel Platz zwischen und neben den Zeilen, ab und an aufgepeppt mit Zwischenüberschriften, Bildern und schönen Infografiken. Das Blatt signalisiert: Lies mich, ich bin nicht zum Staubfangen da.
Was aus diesem Format inhaltlich rauszuholen ist, zeigt der Beitrag von Michael Brie (»Sind wir Auto?«). Flott geschrieben nimmt der Autor den Leser mit auf die Reise – von der Abwrackprämie über Entfremdung und Klimakatastrophe hin zur Vision einer autofreien Welt. Brie hat Spaß und gibt Gas, das merkt man dem vergnüglich zu lesenden Artikel an. Nett auch die nebenstehenden Werbeslogans diverser großer Autofirmen, die in diesem Kontext besonders blöd klingen. Vorangestellt ist dem Artikel eine Arbeit der Fotografin Rabea Eipperle: Elf Männer posieren nackt vor ihren Autos. Eine Spitzenidee, die Fotostrecke öffnet den Kopf für den folgenden Artikel und bringt den Leser zum Nachdenken über das Verhältnis Mensch-Auto.
Ebenfalls sehr gelungen ist der letzte Text des Heftes, ein Nachruf auf Helmut Steiner, seines Zeichens Soziologe und Gründer der Utopie kreativ. Wenn jemand (wie der Rezensent), der von Helmut Steiner noch nie etwas gehört hat, nach Lektüre des Nachrufs ein Gefühl von Verlust hat, dann hat der Autor alles richtig gemacht. Der Nachruf schlägt Brücken: Er stellt dar, wie Leute, die in der DDR eine linke Kritik am System gehabt haben, nach der Wende auch vom westlichen Wissenschaftsbetrieb ignoriert wurden. Eingestreute Anekdoten bringen einem den Menschen und Sozialisten Steiner näher.
Solche Texte, ganz hinten im Heft versteckt, zeigen, wie linke Analyse und Publizistik aussehen kann: Scharf, überraschend, tief und doch zugänglich. Leider ist nicht sicher, dass jeder Leser bei diesen Texten ankommt. Denn davor liegen die Mühen der Ebene – in Form des Heft-Schwerpunktes: »In der Krise«. Das Thema macht Sinn und es ist auch sicherlich vertretbar, drei Viertel des Heftes darum kreisen zu lassen. Doch dann muss die Redaktion dafür Sorge tragen, dass immer wieder ein neuer Blickwinkel gefunden wird, eine andere überraschende Perspektive. Dem ist leider nicht so. Spätestens nach dem fünften Beitrag stellt sich das Gefühl ein, ähnliches im Heft schon vorher gelesen zu haben, zumal die Textanfänge oftmals fast wortgleich sind. Zudem sind die Artikel fast immer aus der Vogelperspektive geschrieben, als Draufsicht auf »das System« und »die Linke«. Die Menschen – als Betroffene der Krise, als sich gegen die Krisenfolgen Auflehnende – bleiben blass hinter dem Schleier struktureller Systemkritik. Das ist schade, denn einige Beiträge wie das Interview mit dem kürzlich verstorbenen Giovanni Arrighi zu China sind durchaus anregend, auch, wenn man seine Thesen nicht teilt. Hätte die Redaktion dem Interview noch eine Reportage beigestellt, zum Beispiel über Proteste oder die soziale Lage der chinesischen Arbeiter, dann hätte sich ein runderes Bild ergeben. Mehr Mut zum Detail; das Große auch mal aus dem Kleinen entwickeln; weniger, zugespitztere Beiträge, dafür eine größere Themenvielfalt – das würde der großen Namensgeberin des Magazins sicherlich gefallen.
Nichtsdestotrotz: Luxemburg ist ein vielversprechendes Projekt mit großem Potential. Die Redaktion marx21 wünscht alles Gute auf dem weiteren Weg und hofft auf eine fruchtbare Zusammenarbeit.
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