{nomultithumb}Peter Ulrich: »Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland«, Dietz, Berlin 2008, 327 Seiten, 19,90 Euro
Von Paul Grasse
Der Soziologe Peter Ullrich vergleicht in vorliegender Studie die Haltung von Linken in Deutschland und Großbritannien zum Nahostkonflikt. Tatsächlich ist die Frage, warum die Solidarisierung mit den Palästinensern in Deutschland so viel komplizierter zu sein scheint als in anderen europäischen Ländern durchaus eine Untersuchung wert. Ullrich mag Recht haben, wenn er annimmt, dass die Erfahrung des Holocaust hierbei eine große Rolle spielt. Ansonsten enttäuscht das Buch aber auf ganzer Linie.
Der Antisemitismusvorwurf, der – wenn auch als »unbewusster Antisemitismus« oder »Antisemitismus ohne Judenhass« verklausuliert und pathologisiert – von Ullrich gegen den antiimperialistischen Antizionismus ins Feld geführt wird, ist längst ein staatstragendes Argument geworden. Nicht selten werden mit seiner Hilfe sogar Kriege geführt. Allein danach zu fragen, weshalb das so ist, ist nach Ullrichs Deutung schon fast antisemitisch. Eine Erklärung dessen, was Antisemitismus nun eigentlich ist und wie und warum er wirksam wird, bleibt allerdings aus.
Zudem setzt Ullrich den Antizionismus – also die Kritik an der politischen Ideologie, auf der der Staat Israel basiert – kurzerhand mit dem Antisemitismus, einer zutiefst rassistischen Gesinnung, gleich. Dass Antizionismus auch und gerade unter Menschen jüdischer Herkunft Zuspruch findet, kann und will er anscheinend nicht erklären. Stattdessen wirft Ullrich Antizionisten vor, sie sperrten sich dagegen, das Judentum als Nation anzuerkennen. Warum es notwendig sein sollte, eine Religionsgemeinschaft als Nation zu sehen, bleibt sein Geheimnis. Man habe sich jeder Kritik zu enthalten, die »antisemitisch rezipiert werden könnte«. Leider kann alles beliebig interpretiert werden, wenn man den Kontext weglässt. Schon ein Bericht über einen israelischen Soldaten, der ein palästinensisches Kind erschießt, könnte laut Ullrich antisemitisch anschlussfähig sein, denn die »Tötung« müsse nicht »schuldhaft« geschehen sein.
Ullrich plädiert dafür, eine »ausgewogene Position« im Nahostkonflikt zu entwickeln. Dies falle Personen mit einen »jüdischen Hintergrund« leichter. Günstig sei auch die Verankerung in linksliberalen und postmodernen Bewegungen. Lebensbejahende, säkulare und postmoderne Orientierungen stünden nämlich im Widerspruch zum »Nationalismus und Konservatismus von Teilen des palästinensischen Widerstands«! Ullrichs Problem mit den Palästinensern scheint zu sein, dass sie nicht feiern wollen.
Das Grundmotiv linker Solidarität, die Parteinahme für die Unterdrückten, erkennt er nicht an. Stattdessen erscheint jeder Erklärungsversuch gewaltsamen Widerstands als »implizite Unterstützung« von Selbstmordattentaten. Antiimperialismus wird zum »Deutungsmuster« oder zur »Denkstruktur« ohne historisch-materialistischen Hintergrund. Er sei mit einem »manichäischen, dichotomen Weltbild« verbunden: Dessen Vertreter interpretieren die Welt als Gut gegen Böse und bilden Einheitsfronten mit »rechten Kräften wie der Hamas und Ahmedinedschad«. Andere politischen Gruppen seien wenigstens »in der Lage, (…) komplexitätssteigernde Faktoren mitzudenken«. So hat Ullrich für antideutsche oder tendenziell kriegsbefürwortende bis islamophobe »Linke« hingegen weit mehr Verständnis und ist auch zu kleinteiligsten Differenzierungen bereit.
Die ganze Beschäftigung mit dem Konflikt bleibt für den Autor ein Widerspruch zwischen Sympathien »für Juden« oder »Palästinensern«. Man darf vermuten, dass er nicht verstehen will, dass es den meisten Antizionisten, Israelkritikern und Antiimperialisten keineswegs um Sympathien geht, sondern um Gerechtigkeit. Davor, sich für »Gruppeninteressen« einzusetzen, warnt Ullrich. Die Linke würde damit ihre »humanistischen Grundlagen« untergraben.
Das Werk lässt sich unentgeltlich auf der Homepage der Rosa-Luxemburg-Stiftung herunterladen (PDF, 1,6 MB!). Aber selbst die kostenlose Lektüre dieses Buches kann nicht empfohlen werden.
Schlagwörter: Bücher, Kultur