Stefan Bornost antwortet auf Ulf Teichmanns Beitrag.
Ulf Teichmann warnt zu Recht vor Geschichtsrevisionismus. Nach 1945 versuchten rechtskonservative und neofaschistische Vordenker, die Verbrechen des Naziregimes klein zu reden oder zu leugnen. Eine Methode dabei: Die »Anderen« haben das auch gemacht. Deshalb spricht die NPD vom »Bombenholocaust von Dresden«. Gegen diese Gleichsetzung wehrt sich die Linke zu Recht: Erstens hat Nazideutschland, und nicht die Allierten, den Zweiten Weltkrieg begonnen und zweitens sprengt der industrielle Massenmord an Millionen Menschen alle bis dahin und seitdem bekannten übrigen Kriegsverbrechen der Menschheit.
Dennoch sollte sich die Linke davor hüten, die Anti-Hitler-Koalition zu idealisieren. Denn es stimmt nicht, dass der »herrschende Erinnerungsdiskurs« versucht, an der Tradition des Hitler-Regimes anzuknüpfen. Die von Ulf beklagte »Renationalisierung«, die neue militarisierte deutsche Außenpolitik, beruft sich auf die Alliierten, nicht auf die Wehrmacht.
Deutsche Tornados wurden 1999 nach Jugoslawien berufen, nachdem Milosevic zum »neuen Hitler« ernannt wurde. Der damalige Außenminister Joschka Fischer begründete den Kampfeinsatz mit den Worten: »Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.«
Für den derzeitigen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kämpft die Bundeswehr in Afghanistan in einem gerechten Krieg, die Nato-Truppen nennen sich nicht ohne Grund »Die Alliierten«. Das Schema: Wer ins Fadenkreuz des westlichen Imperialismus gerät, ist der neue Hitler. So sieht die Hauptspielart des Geschichtsrevisionismus in der »Berliner Republik« aus.
Hier sollte die Linke gegenhalten, und das fängt mit einer Diskussion über die Beweggründe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg an. Die Mehrheit der Soldaten der Anti-Hitler-Koalition sahen sich tatsächlich in einem Kampf für Demokratie, gegen die Nazibarbarei und, im Falle der Sowjetsoldaten und exilfranzösischen Verbände, gegen die Besetzung, Verwüstung und Ausplünderung ihres Landes. Ihre Regierungen und militärischen Befehlshaber mobilisierten zwar ebenfalls mit Slogans von Freiheit und Demokratie, verfolgten dabei aber in erster Linie ihre Machtinteressen. Vor dem Beginn der deutschen Expansion war Hitler im Ausland wohlgelitten. Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, insbesondere der sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen, wurde den Nazis hoch angerechnet. Nicht der Faschismus, sondern der deutsche Imperialismus, war für die Herrschenden in West und Ost das Problem. Als ab Ende 1943 die deutsche Niederlage absehbar war, wurde der Krieg zunehmend zu einem Wettlauf der Alliierten untereinander um die Neuaufteilung der Einflusssphären – Selbstaktivität oder gar Befreiung »von unten« war in diesem Machtkampf nicht vorgesehen.
Beispiel Griechenland: Die Partisanen von der Befreiungsfront ELAS haben ohne fremde Hilfe die Wehrmacht vertrieben. Drei Wochen später landete die britische Armee und befand sich wenig später im Konflikt mit der kommunistisch dominierten ELAS. Es folgte ein Bürgerkrieg, bei dem die »Befreier« auf der Seite der rechten Milizen standen, die zuvor mit den Nazis paktiert hatten. Der alliierte Sieg beendete keineswegs den Faschismus in Europa – in Spanien blieb er noch bis 1975 bestehen. Und Portugal, ein Regime mit starken faschistischen Zügen, war kurz nach dem Krieg Gründungsmitglied der NATO.
Festzustellen, dass die Alliierten imperialistische Interessen verfolgten, negiert nicht die Verbrechen des deutschen Imperialismus. Festzustellen, dass die Flächenbombardements von Arbeitervierteln ein Kriegsverbrechen sind, negiert nicht die Verbrechen der Nazis. Es ordnet sie aber in einen Kontext ein, nämlich kapitalistische Barbarei. Deshalb ist »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus« ein angemessenes Motto, um das Dresden-Gedenken nicht den Nazis zu überlassen.
Wir feiern die Niederlage Nazideutschlands, aber wir müssen den Sieg der Alliierten nicht als demokratische Befreiung schönreden. Auf dem neuen Campusgelände der Uni Frankfurt am Main prangt ein Spruch des Auschwitz-Überlebenden Norbert Wollheim: »Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit.« Das galt für die überlebenden Juden wie ihn, das galt auch für Menschheit, die den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte.