Die Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter der Lufthansa weiten ihren Streik aus. marx21 sprach mit UFO-Gewerkschaftsmitglied Bernd über den bisher längsten Arbeitskampf in der Firmengeschichte.
marx21: Seit nunmehr zwei Jahren verhandelt deine Gewerkschaft UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation) mit der Lufthansa – bislang ergebnislos. Seit vorgestern hat die UFO ihre Mitglieder nun zu einem einwöchigen Streik aufgerufen. Kannst du für uns umreißen, worum sich diese Tarifauseinandersetzung im Kern dreht?
Bernd: Es geht bei diesem Tarifstreik weniger um Lohn als um die Übergangs- und Altersversorgung. Nach dem derzeitigen Stand dürfen wir mit 55 Jahren in Rente gehen und haben dann Anspruch auf 65 Prozent unseres Grundlohns bis Erreichen des gesetzlichen Rentenalters. Weil aber viele auf Überstunden- und andere Zuschläge angewiesen sind, verlängern die meisten um einige Jahre, so dass das durchschnittliche Renteneinstiegsalter der Flugbegleiter bei 57 Jahren liegt. Das Einstiegsalter will Lufthansa erhöhen, und wir sagen dazu, bis 58 oder maximal 60 Jahren machen wir mit, aber ohne weitere Abstriche, und die Regelung als solche soll bestehen bleiben. Außerdem fordern wir, dass Kollegen und Kolleginnen im Einzelfall bei gesundheitlichen Beeinträchtigen nach wie vor mit 55 Jahren in den Genuss dieser Regelung kommen sollten. Aber für die jüngeren Kollegen und Kolleginnen geht es dann doch auch um den Lohn. Ihr Einstiegsgehalt liegt bei gerade mal 1600 Euro brutto, nach Abzügen bleiben ihnen kaum mehr als 1000 übrig. Und das bei voller Arbeitszeit.
Welche Strategie verfolgen die Bosse bei Lufthansa?
Zunehmend werden Teile des Geschäfts auf Tochterunternehmen ausgelagert. Als Swissair vor einigen Jahren Pleite ging, machte Lufthansa das großzügige Angebot, das Unternehmen aufzukaufen und unter dem Namen „Swiss“ fortzuführen. Aber alles unter dem Vorzeichen von „Änderungskündigungen“ – was enorme Lohneinbußen von bis zu 50 Prozent im Einzelfall bedeutete. Ähnlich erging es Austrian, das ebenfalls vor der Pleite stand und billig von Lufthansa aufgekauft wurde. Jedes Mal das gleiche Spiel: die Löhne werden enorm gekürzt und Arbeitsabläufe „optimiert“. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, dass Lufthansa mit seinen Billigtöchtern – da gehören auch Eurowings, Germanwings und weitere kleinere dazu – sich selbst Konkurrenz macht, um eine Spirale nach unten in Gang zu setzen. Vielleicht erhofft sich der Konzern sogar klammheimlich, dass als Folge unseres Streiks Kunden auf diese Töchter umsteigen werden, weil die ja weniger von Streiks bedroht seien. Diese Verschlechterungen sind nicht ganz neu. Anfang der 90er Jahre ging es los. Da wurde lange Zeit überhaupt niemand mehr eingestellt. Als ich dann Mitte der 90er anfing, war das bereits zu schlechteren Bedingungen als den bisherigen.
Am ersten Streiktag, letzten Freitag also, fielen 300 Flüge aus, 60.000 Passagiere waren betroffen. Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden für Lufthansa?
Der lässt sich nicht so leicht beziffern, aber es geht jedenfalls in die zweistellige Millionenhöhe. Mit konkreten Zahlen hält sich Lufthansa zurück. Einerseits würden sie gern so tun, als ob unsere Kampfmaßnahmen wirkungslos seien, andererseits haben sie ein Interesse dran, unsere Aktionen als vollkommen überzogen und unternehmensschädigend darzustellen. Aber der Schaden entsteht ja nicht nur für Lufthansa, betroffen sind auch weitere Unternehmen, wenn Geschäftsleute an irgendwelchen geplanten Sitzungen nicht teilnehmen können. Ihnen wird dann auf einmal bewusst, dass die Räder sich doch nicht von alleine drehen!
Der Streik ist nicht flächendeckend – die Flugbegleiter sind an drei Standorten stationiert: Frankfurt, Düsseldorf und München. München wurde vorerst außen vor gelassen. Gleiches gilt für einige Fernflüge und die verschiedenen Tochtergesellschaften der Lufthansa. Kannst du was zu dieser Streiktaktik sagen?
Mit München hat es den einfachen Grund, dass die Schulferien in Bayern gerade heute zu Ende sind. Wir wollten nicht die Familien mit Kindern treffen – wir selber haben auch Kinder und wissen, wie das ist. Außerdem ist ein Vollstreik über eine ganze Woche auch für uns selbst schwierig – wenn man sich zu Streikbeginn beispielsweise gerade in San Francisco befindet und nicht zurück zur Familie fliegen kann. Mit der Kurzfristigkeit der Streikankündigungen erreichen wir aber dennoch erhebliche Störungen des Normalbetriebs. Und uns ist es lieber, Geschäftsreisende zu treffen als die einfachen Urlauber. Dafür hat die Bevölkerung mehr Verständnis. Wobei die Geschäftsreisenden das natürlich ganz anders sehen. So kann man auf der Homepage „Travelbusiness“ nachlesen, wie sich der Präsident des Geschäftsreiseverbands VDR wegen Ungleichbehandlung beschwert. Das sei „unzumutbar“ und: „Der wirtschaftliche Schaden für Deutschland ist enorm.“
Die Flugkapitäne und Copiloten sind in der Gewerkschaft Cockpit organisiert. Sie haben im letzten Jahr 13 mal gestreikt. Gibt es Parallelen zwischen eurem Kampf und dem Kampf von Cockpit? Gibt es da eine Koordination der Streiks?
UFO ist in der Vergangenheit eine andere Linie gefahren als VC (Vereinigung Cockpit). Das ist überhaupt erst unser zweiter Streik in 50 Jahren! Vor zweieinhalb Jahren haben wir zum ersten Mal gestreikt. Danach versuchten wir es wieder mit Verhandlungen. Dabei haben wir etliche „Projekte“ zur Kosteneinsparung mitgetragen, eins davon hieß „Jump“. Dabei ging es darum, den gleichen Leistungsumfang mit weniger Personal zu bieten. VC hat gemeint, wir würden einen zu weichen Kurs fahren, wir müssten vielmehr an unsere eigenen Interessen denken. Und es war in der Tat so, dass jedes Zugeständnis unsererseits nur dazu führte, dass Lufthansa noch mehr von uns abverlangte. Schließlich war auch die Stimmung bei uns so, dass jetzt Schluss damit sein muss. So ziehen wir mit den Piloten jetzt mehr an einem Strang, was der Stimmung zwischen uns wirklich gut tut. Ich meine, vor 20 Jahren, als ich anfing, war Lufthansa quasi ein Staatsunternehmen. Wir hatten das Gefühl, es sei „unser Unternehmen“. Als Aktiengesellschaft unter dem jetzigen Konzernchef Spohr hat man mittlerweile den Eindruck, es geht nur noch um Aktienkurse und Dividenden. Da leidet natürlich die Arbeitszufriedenheit darunter. Aber es scheint niemanden zu interessieren.
Wenn man die Presse liest, könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass eure Arbeitsbedingungen beinahe paradiesisch sind. Kannst du uns ein Bild von deinem Alltag geben – und vom Alltag deiner Kollegen bei den Lufthansa-Töchtern?
Es gibt manches, was man als Passagier so nicht mitkriegt. Zum Beispiel die Luftqualität. Der Kabinendruck wird entsprechend einer Höhe von 3000m eingestellt. Jeder, der mal einen Berggipfel dieser Höhe erklommen hat, weiß, dass man in dieser Höhe eben nicht so leistungsfähig ist, es ist alles viel anstrengender. Dann gibt es die Zeitverschiebung, von Frankfurt nach Tokio beispielsweise, oder zwischen Los Angeles und Frankfurt. Vom ersten freien Tag nach einem Interkontinentalflug habe ich überhaupt nichts, ich muss mich einfach wiederherstellen. Erst ab dem zweiten freien Tag fühle ich mich einigermaßen erholt. Dann gibt es die sogenannten Clear Air Turbulences – Turbulenzen in wolkenfreier Luft. Im schlimmsten Fall fliegt alles in die Luft, und dann wird von uns erwartet, Wagen, Kaffeekanne und uns selbst festzuhalten, denn es besteht dann reale Verletzungsgefahr. Das ist ein Jonglieren, das man ab einem bestimmten Alter einfach nicht mehr leisten kann. Die Arbeitsbedingungen haben sich in mancherlei Hinsicht allerdings gebessert. So sind z.B. unsere Ruhemöglichkeiten durch Betten an Bord von Langstreckenfliegern besser; es wird von den Stewardessen nicht mehr verlangt, während der Dauer des Flugs auf Stöckelschuhen zu laufen. Außerdem sind die Motoren leiser geworden. Als ich vor 20 Jahren anfing, durften wir beim Starten dichte Ohrstöpsel tragen, mittlerweile sind sie verboten und auch nicht mehr erforderlich.
Du selbst konntest am ersten Tag nicht mitstreiken, weil du gerade von einem interkontinentalen Flug zurückkamst und danach deine Ruhezeit nach Flugeinsatz hattest. Weißt du bestimmt, ob du jetzt zum Mitstreiken aufgerufen wirst?
Gerade eben habe ich eine Mail erhalten, dass wir an allen drei Standorten am heutigen Montag den 9.11. von Arbeitsbeginn an bis spät abends zum Streik und zur Teilnahme an Aktionen aufgerufen werden. Ich werde jedenfalls dabei sein. Die Stimmung ist sehr gut, am ersten Streiktag erreichten wir schon eine Teilnahme von 95 Prozent.
Die Fragen stellte David Paenson.
Foto: spatz_2011
Schlagwörter: Cockpit, Flugbegleiter, Gewerkschaft