Vor 130 Jahren erschien August Bebels Buch »Die Frau und der Sozialismus«. Katrin Schierbach findet es immer noch aktuell.
Manchmal fühlt man sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt: Armut im Alter, Doppelbelastung durch Beruf und Familie, deutlich niedrigere Löhne als Männer – Frauen werden in der Gesellschaft noch immer diskriminiert und benachteiligt. Da lohnt es sich, einen Blick in einen alten Klassiker der Frauenemanzipation zu werfen: das 1879 veröffentlichte Buch »Die Frau und der Sozialismus«.
Autor dieses Werkes war der langjährige Vorsitzende der SPD, August Bebel. Bis heute gilt es als einflussreichstes Buch der Sozialdemokratie. Kurz nach Erscheinen wurde Bebels Schrift im Rahmen der Bismarckschen Sozialistengesetze verboten. Doch staatliche Repressionen konnten den Erfolg nicht verhindern. Reichsweit wurden illegale Versammlungen organisiert, bei denen bekannte Parteimitglieder wie Clara Zetkin das Buch vorstellten. Es wurde zum Bestseller: Allein bis zu Bebels Tod im Jahre 1913 erschienen 52 immer wieder überarbeitete Auflagen.
Bebel reagierte mit seiner Schrift auf eine Diskussion innerhalb der Arbeiterbewegung. Gemeinsam mit Friedrich Engels, Clara Zetkin und einer Reihe weiterer Genossinnen und Genossen kritisierte er einen Flügel in der SPD und in den Gewerkschaften, dessen Anhänger die Frauenerwerbsarbeit verbieten wollten. Deren Argument: Die niedrigen Löhne der Arbeiterinnen werden von den Unternehmern dazu benutzt, das Lohnniveau insgesamt zu drücken. Daher müsse man verhindern, dass Frauen erwerbstätig würden.
Für Bebel und seine Mitstreiter war ein Ausschluss von der Erwerbsarbeit der falsche Weg. Angetrieben von dem Ziel, dass Frauen die volle soziale und politische Gleichberechtigung erlangen, betrachten sie deren Erwerbsarbeit als entscheidend für deren Emanzipation. Sie gingen davon aus, dass die so erlangte ökonomische Unabhängigkeit die Frauen stärke. Denn zugleich würden diese auch zu Bündnispartnerinnen der männlichen Arbeiter im Kampf gegen soziale und politische Missstände in der Gegenwart und für eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung. Nur dieser Weg helfe, sinkende Löhne zu verhindern und schlechte Arbeitsbedingungen zu verbessern. Daher unterstützten sie mit vollen Kräften den Aufbau von Gewerkschaften und kämpften dafür, den Anteil weiblicher Mitglieder zu erhöhen.
In seinem Buch argumentierte Bebel aber nicht nur für das Recht von Frauen, arbeiten zu dürfen, sondern er verlangte auch die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und die Erhöhung ihrer Löhne. Denn die Frauen, die zu seiner Zeit arbeiteten, taten dies oft unter haarsträubenden Bedingungen. Zudem mussten sie nach der Erwerbsarbeit noch den Haushalt, die Kindererziehung und häufig die Pflege kranker Verwandten erledigen. Bebel forderte, diese Tätigkeiten als gesellschaftliche Aufgabe zu verstehen. Technische Verbesserungen wie erste Konserven halfen, den Alltag zu erleichtern. So konnten harte und zeitintensive Arbeiten im Haushalt wie das Haltbarmachen von Lebensmitteln aus der Familie ausgelagert und kostengünstiger erledigt werden. Gleichzeitig ging es ihm aber darum, dass nicht die individuelle Frau und der individuelle Mann eine Lösung für diese Reproduktionsarbeiten fänden, sondern die Gesellschaft. Er sprach sich daher dafür aus, Kantinen, Wäschereien und Kindergärten einzurichten und diese den Frauen – am besten kostenfrei – zur Verfügung zu stellen. Neben den ökonomischen setzte sich Bebel auch für die politischen Rechte ein. Im Zentrum stand hier die Forderung nach dem Frauenwahlrecht.
Bebel war der Ansicht, dass Frauenunterdrückung keine geschichtliche Konstante sei, sondern den ersten Klassengesellschaften entsprungen war. So setzte er sich in seinem Buch mit der sozialen Stellung der Frauen von der Vor- und Frühgeschichte bis in die damalige Gegenwart auseinander. Ähnlich wie Engels (in seinem Werk »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats«) zog er zeitgenössische anthropologische Studien des US-amerikanischen Anthropologen und Mitbegründers der Ethnologie Lewis H. Morgan oder des Schweizer Altertumsforschers Johann Jakob Bachofen heran. Diese hatten die anfängliche Gleichheit der Geschlechter und die erst folgende Entstehung der Frauenunterdrückung nachgewiesen. Auch wenn diese Arbeiten heute in vielen Details überholt sind, besitzen ihre Kernannahmen weiterhin Gültigkeit. Auch Bebel argumentierte, dass unterschiedliche geistige und zum Teil auch körperliche Fähigkeiten von Männern und Frauen gesellschaftlichen Ursprungs seien. Er vertrat die Ansicht, dass Erziehung Geschlechtsunterschiede verändern könne. So führte er die anthropologischen Forschungen als Beleg dafür auf, dass Frauen in früheren Gesellschaften gleichberechtigt politische Verantwortung übernommen hatten oder körperlich oftmals Männern ebenbürtig gewesen waren.
Bebel wandte sich vor allem so vehement gegen die Vorstellung, die gesellschaftlichen Zustände seien schon immer so gewesen, weil für ihn diese falsche Annahme ein Hindernis im Kampf für Verbesserungen darstellte: »Zustände, die eine lange Reihe von Generationen dauern, werden schließlich zur Gewohnheit, und Vererbung und Erziehung lassen sie beiden Teilen (gemeint sind hier Frauen und Arbeiter, d.V.) als ›naturgemäß‹ erscheinen.«
Stattdessen bot er seinen Leserinnen und Lesern eine materialistische Erklärung für den Wandel der Gesellschaft und der Geschlechterbeziehungen an. Diese hätten sich in der Vergangenheit in dem Maße umgestaltet »wie auf der einen Seite die Produktions- und auf der anderen die Verteilungsweise des Erzeugten vor sich ging«. Daher ging er davon aus, »dass bei weiteren Umgestaltungen in der Produktions- und Verteilungsweise sich die Beziehungen der Geschlechter abermals ändern werden. Nichts ist ewig, weder in der Natur noch im Menschenleben, ewig ist nur der Wechsel, die Veränderung.«
In diesem Punkt bezog sich Bebel auf Charles Darwin und dessen Evolutionstheorie: »Es steht fest, dass der Mensch nicht, wie vom ersten Menschenpaar der Bibel behauptet wird, als Kulturmensch auf die Erde kam, sondern er hat in unendlich langen Zeiträumen, indem er sich allmählich aus dem reinen Tierzustand befreite, Entwicklungsperioden durchgemacht, in welchen sowohl seine sozialen Beziehungen wie die Beziehungen zwischen Mann und Frau die verschiedensten Wandlungen erfuhren.«
Auch in einem anderen Punkt war Bebel seiner Zeit voraus. So sprach er sich für die Enttabuisierung von Sexualität aus: Jeder müsse »wissen, dass Organe und Triebe, die jedem Menschen eingepflanzt sind, (…) nicht Gegenstand der Geheimnistuerei, falscher Scham und kompletter Unwissenheit sein dürfen. Daraus folgt weiter, dass Kenntnis der Physiologie und Anatomie der verschiedenen Organe und ihrer Funktionen bei Männern und Frauen ebenso verbreitet sein sollte als irgendein anderer Zweig menschlichen Wissens.« Er betonte, dass Sexualität weder moralisch noch unmoralisch, sondern vollkommen natürlich sei. Schon in den 1870er Jahren unterstütze er die Kampagnen der Homosexuellenbewegung gegen den Paragraphen 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte.
»Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter«, war das zusammenfassende Motto von Bebels Buch. Der sozialistischen Tradition folgend, dass eine freie Gesellschaft nur mit der gesamten Arbeiterklasse zu erreichen, und dass eine volle Befreiung nur im Sozialismus möglich ist, fordert er von den Frauen, selbst aufzustehen und sich zur Wehr zu setzen. Sie »haben nicht zu warten, bis es den Männern beliebt, ihnen freie Bahn zu schaffen.« Das ist noch heute richtig.
Zur Autorin:
Katrin Schierbach ist Mitglied der LINKEN und Co-Autorin von »Marxismus und Frauenbefreiung« (Edition Aurora 1999).
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