Zum Interview mit Ulrike Eifler "Pekings Politik trägt koloniale Züge" und zum Kommentar "Gebrochene Versprechen" von Volkhard Mosler (Heft 5)
Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung von politischen Freiheiten verdienen unsere Solidarität, auch in China. Ist aber die Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen der tibetischen Exilregierung der richtige Weg?
Die Politik der chinesischen Regierung gegenüber ethnischen Minderheiten soll nicht von Kritik frei gestellt werden. Dennoch: Ethnische Minderheiten sind von der Ein-Kind-Politik Chinas ausgenommen, in der Autonomen Region Tibet ist Tibetisch neben dem Chinesischen Amtssprache und Sprache im staatlichen Schulunterricht.
Ebenso wie die Tibeter wird die große Mehrheit der Chinesen wirtschaftlich ausgebeutet und politisch unterdrückt. Die Tibeter haben mit ihnen mehr gemeinsam als mit der früheren herrschenden Klasse Tibets.
Im Falle einer Lostrennung Tibets von China würde diese Klasse zwar wohl nicht den Feudalismus und die Leibeigenschaft wieder einführen, aber sicherlich Anspruch auf ihre früheren Ländereien erheben. Und wer wollte den "Befreiern" dann diesen Anspruch verwehren?
Ist Tibet die "Frontlinie für die Großmachtambitionen Chinas"? Chinas außenpolitischer Einfluss beruht viel stärker auf seiner Attraktivität als großer Absatzmarkt und billiger Produktionsstandort als auf seiner militärischen Macht. Eine Autarkie – falls China überhaupt danach strebt – ist für mehr als eine Milliarde Menschen jedenfalls mit den Ressourcen Tibets nicht zu erreichen.
Die These eines expansionistischen und militaristischen China wird immer wieder von rechtsgerichteten Politikern in Japan, Südkorea und anderen Staaten der Region propagiert und dient nicht zuletzt als Argument für die Stationierung US-amerikanischer Truppen in Ostasien. Dieser These sollten wir ein realistisches Bild Chinas entgegen setzen.
Christian Schröppel, Hamburg