Tobias ten Brink: »Staatenkonflikte: Zur Analyse von Geopolitik und Imperialismus – ein Überblick«, UTB, Stuttgart 2008, 313 Seiten, 19,90 Euro
Von Jonas Rest
„Neuer kalter Krieg«, „neues Zeitalter der Geopolitik« – nicht erst seit dem Krieg zwischen Russland und dem zukünftigen NATO-Mitgliedsstaat Georgien hat sich der Diskurs um die zwischenstaatlichen Verhältnisse deutlich gewandelt. Es ist stiller geworden um die These der „Pazifizierung der Weltgesellschaft«. Begriffe wie „Imperium« und „Imperialismus« haben wieder Hochkonjunktur. An griffigen Phrasen fehlt es nicht. Eine Einführung in die verschiedenen Theorien zu Staatenkonflikten hat der Frankfurter Politikwissenschaftler Tobias ten Brink mit „Staatenkonflikte: Zur Analyse von Geopolitik und Imperialismus – ein Überblick« vorgelegt.
Herausragendes Merkmal des Handbuchs ist die Vielfalt der Ansätze, die ten Brink auf 313 Seiten behandelt. Die bedeutendsten Theorien seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden rekonstruiert. Im Unterschied zu vergleichbaren Einführungen finden dabei auch solche Ansätze Beachtung, die im Mainstream der Disziplin der Internationalen Beziehungen weitgehend ignoriert werden. Zu Unrecht, wie „Staatenkonflikte« zeigt.
Strukturiert entlang der Phase des „klassischen Imperialismus« (1870-1945), des „Kalten Krieges« (1945-89) und der Epoche der „neuen Weltunordnung« ab 1989 wird systematisch analysiert, wie die Verhältnisse zwischen Zentrum und Peripherie und insbesondere die „Nord-Nord«-Verhältnisse theoretisiert werden.
Der Autor zeigt, wie die Klassiker der Imperialismustheorie – darunter Luxemburg, Lenin oder Bucharin – versuchten, den Kolonialismus und die sich schließlich im Ersten Weltkrieg zuspitzenden Konflikte zwischen den stärksten Staaten der „westlichen« Welt zu erklären, indem sie den Zusammenhang zwischen zunehmender militärischer Konkurrenz und der Dynamik der Kapitalakkumulation entwickelten. Während in der Zeit des Kalten Krieges Ansätze der Dependenz- und Weltsystemtheorie die Untersuchung der Nord-Süd-Verhältnisse in den Mittelpunkt stellten, erhält zu Beginn des 21. Jahrhunderts – angesichts des Irakkrieges und des Aufstiegs Chinas – die Analyse der Nord-Nord-Beziehungen wieder mehr Aufmerksamkeit. Theoretiker wie David Harvey knüpfen etwa an den klassischen Debatten an, um den „neuen Imperialismus« zu erklären. Anders als die Klassiker betont Harvey jedoch die relative Eigenständigkeit geopolitischer Konkurrenzverhältnisse, die mit den ökonomischen verwoben, aber nicht auf diese reduzierbar sind. Dabei bezieht er sich auf aktuellere staatstheoretische Debatten, die, so die Kritik des Autors, in den Mainstream-Ansätzen der Internationalen Beziehungen wie dem Neorealismus oder starken Globalisierungsthesen (etwa bei Hardt/Negri) kaum reflektiert werden.
Ten Brink gelingt es mit Leichtigkeit, einen Bogen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den aktuellen Debatten über Globalisierung und Imperialismus im Zeitalter des „Krieges gegen den Terror« zu spannen, ohne sich in den oftmals komplizierten Debatten zu verlieren.
Der Autor verdeutlicht, dass geopolitische Konkurrenz-, Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnisse kein historisches Überbleibsel, sondern ein konstituierendes Merkmal des Kapitalismus sind. Globalisierungstendenzen, das macht „Staatenkonflikte« deutlich, werden geopolitische Konflikte nicht aufheben. Der Eskalation im Kaukasus-Konflikt dürften demnach weitere geopolitische Konfrontationen folgen. Auch die nächste US-Regierung wird damit konfrontiert sein, in einem System der geopolitischen Machtrivalitäten und weltwirtschaftlichen Instabilitäten nicht unhinterfragt herrschen zu können.
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