Ende der 1980er Jahre kam der Film »Rosa Luxemburg« von Margarethe von Trotta in die Kinos. Es war das Porträt einer Frau, eingebettet in eine bewegte Zeit, leidenschaftlich in der Darstellung von Politik und Privatem, bedingungslos auf der Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten. In von Trottas neustem Film über Hildegard von Bingen ist von all dem nichts mehr zu finden. Von Rosemarie Nünning
Die Äbtissin vom Rhein lebte von 1098 bis 1179. Sie wurde als Kind einer adeligen Familie in ein Kloster gegeben, was damals nicht unüblich war, da solche Beziehungen zur feudalen Kirche als ökonomisch und politisch herrschende Macht die eigenen Einflussmöglichkeiten erweitern konnten. Hildegard erkämpfte sich als Frau in der katholischen Kirche später das Recht auf ein eigenes Kloster und öffentliche Predigt. Ein Mittel dazu waren ihre klug eingesetzten Visionen, die gut in den von der Kirche geschürten Aber- und Wunderglauben als ideologisches Instrument gegen eine rationale Erklärung der Welt passten: Sie ließ diese von einem Mönch dokumentieren, Menschen begannen zu ihr zu pilgern und so verschaffte sie sich Öffentlichkeit und eine soziale Basis als Druckmittel. Zudem bediente sie sich eines Geflechts aus einflussreichen Persönlichkeiten, um ihre Ziele durchzusetzen.
Seit langem gibt es einen regelrechten Kult um Hildegard von Bingen. Sie gilt vielen als starke Frau (eine Art frühe Feministin), Seherin, Heilerin und Musikerin. An dieses Bild knüpft von Trotta an. Wir sehen Hildegard – gespielt von der damaligen Luxemburg-Darstellerin Barbara Sukowa – fast nur im Kloster, beim Empfangen von Visionen, beim Diktieren und Dozieren, im Kräutergarten, beim Singspiel mit ihren Nonnen. Eine bildliche Innenwendung, die die Außenwelt weitgehend ausblendet. Und genau hier liegt das Problem des Films.
Hildegard lebte in einer Zeit außerordentlichen gesellschaftlichen Umbruchs: Städte wuchsen rasant an oder wurden neu gegründet. Das Stadtbürgertum strebte nach Einschränkung der feudalen Kirchenmacht und Selbstregierung. Die in dem Zusammenhang entstehende städtische Armut traf besonders Frauen. Auf diesem Boden breitete sich in Südfrankreich, aber auch in Norditalien oder am Rhein die Bewegung der Katharer – der »Reinen« – aus. Sie verkündeten die Armutskirche des Urchristentums als Angriff auf den reichen Klerus. Wegen ihrer weitgehenden Gleichheitspolitik und Schaffung eines sozialen Netzes schlossen sich ihnen viele Frauen an und predigten die neue Lehre. In den Anfängen waren es vor allem die städtischen Weberinnen und Weber, die eine katharische Gegenkirche mit eigenen Bischöfen aufbauten. »Weber« und »Weberin« wurde gar zum Synonym für Ketzer.
Hildegard begriff sich als Kämpferin gegen diese Bewegung. Sie verfasste eine Schrift gegen die Katharer und verdammte sie in ihren öffentlichen Predigten. Sie bestand auf der Unterordnung der Frau in der Ehe und Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft: »Gott hat acht, dass der geringe Stand sich nicht über den höheren erhebe.« Die Augustiner-Äbtissin Tenxwind, Anhängerin einer armen Kirche, warf Hildegard vor, sie nehme keine Nichtadligen und Ärmeren in ihr Kloster auf. Sie zeigte sich irritiert über die weißen Seidenschleier und den kostbaren Schmuck, den Hildegards »Gottesbräute« bei ihren Gesängen trugen. Die Regisseurin von Trotta interpretiert dies um zur lebensfeindlichen Haltung einer verbiesterten alten Nonne, den gesellschaftskritischen Sprengstoff übergeht sie.
In Interviews hat von Trotta versucht, Hildegard in eine Rosa Luxemburg des Mittelalters umzudeuten. Ein frommer Selbstbetrug, der viel mit Karrierefeminismus und nichts mehr mit dem Eintreten für eine bessere Gesellschaft und echtem Kampf gegen Frauenunterdrückung zu tun hat. Das Ergebnis ist ein geschichtsloser, langweiliger Film.
Der Film:
- »Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen«, Regie: Margarethe von Trotta, Deutschland 2009, 106 Minuten, DVD-Start: 6. Mai 2010
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