Vor 80 Jahren ermordeten im spanischen Bürgerkrieg Faschisten den andalusischen Dichter Federico Garcia Lorca. Sein Tod symbolisiert die Vernichtung der Hoffnungen und Sehnsüchte der Zweiten Republik, ein Streben nach Freiheit, das in seinem Gesamtwerk künstlerisch zusammengefasst ist. Von Simon Andrewes
Am 17. Juli 1936, löste der Putsch des faschistischen Armeegenerals Francisco Franco einen Bürgerkrieg in Spanien aus, der sich bis 1939 hinzog und dem Tausende zum Opfern fielen. Eines der bekanntesten der vielen Opfer war der andalusische Dichter Federico Garcia Lorca. Er wurde am 16. August 1936 verhaftet und vermutlich drei Tage später von einer faschistischen Miliz am Wegesrand zwischen den Dörfern Víznar und Alfacar wenige Kilometer nördlich von Granada erschossen und vergraben. Sein Leichnam wurde nie gefunden. Sein Tod symbolisiert die brutale Vernichtung der Hoffnungen und Sehnsüchte der Zweiten Republik (1931 bis 1936), ein Streben nach Freiheit, das in seinem Gesamtwerk künstlerisch zusammengefasst ist.
Unpolitisch?
Lorca wollte anfangs »unpolitisch« bleiben. Aber aus seinen Erfahrungen lernte er, dass seine schöpferische Tätigkeit ständig durch die herrschenden politischen Bedingungen beschränkt oder bestärkt wurde. So war es mit seinem Frühwerk »Mariana Pineda«, das er im Sommer 1923 zu schreiben begann. Im Dezember desselben Jahres putschte der General Primo de Rivera und bald war Lorca gezwungen, sein poetisches Konzept zu verteidigen: »Der Erfolg dieses Werk soll nicht politisch sein, wie Fernando de los Ríos es will. Es ist ein reines Kunstwerk, ohne jede politische Absicht.«
Fernando de los Ríos sollte eine entscheidende Rolle in Lorcas Entwicklung spielen. Sie hatten sich angefreundet, als Ríos an der Universität von Granada Jura lehrte. Rios war durch die Russische Revolution um jene Zeit zum Sozialisten geworden.
Ob er wollte oder nicht, Lorcas Drama über die liberale »Märtyrerin« Mariana Pineda, die in den 1820er Jahren gegen die Unterdrückspolitik des reaktionären Königs Fernando VII. kämpfte, wurde als Kritik am herrschenden Militärregime verstanden. Und diese Wahrnehmung trug zum Erfolg des Stücks bei, als es endlich im Sommer 1927 aufgeführt wurde. Hauptverantwortlich für diesen Erfolg war Margarita Xirgu, eine Schauspielerin, die ihre Kunst durch die katalanischen unabhängigen Arbeiterkulturvereine gelernt hatte. Nur sie hatte es gewagt, der Zensur der Militärdiktatur zu trotzen.
New York: ein Wendepunkt
Lorca reiste im Jahr 1929 nach New York, wo er den Systemzusammenbruch im Finanzzentrum Wall Street erlebte. Nach diesem Aufenthalt, den er »eine nützliche Erfahrung« nannte, kam er im Juni 1930 als »verwandelter Mensch« nach Spanien zurück.
Aber es war nicht nur Lorca, der sich in dieser Zeit veränderte. Spanien war auch nicht mehr dasselbe Land wie früher. Die Diktatur von Primo de Rivera war gestürzt und die Monarchie war dabei, ihr zu folgen. Die Zweite Republik wurde ausgerufen. Plötzlich gab es ein politisches Klima, in dem Lorca einen bislang kaum vorstellbaren Grad an künstlerischer Freiheit genoss, samt einer sozialen Umgebung, in der er seine homosexuelle Neigung frei ausleben konnte.
Hegemonie der katholischen Kirche brechen
In einem Interview mit der amerikanischen Journalistin Mildred Adams beschrieb Lorca seine Arbeit bei der Barraca, einer reisenden Studententheatergruppe, die – unterstützt von der Regierung, deren Erziehungsminister Fernando de los Rios war – klassische spanische Stücke in die Dörfer und Provinzen brachte. Lorca erklärte in dem Interview mit großer Offenheit die Rolle, die er dem Theater bei der Erziehung des Volkes »unserer beliebten Republik« zuschrieb, nämlich die Hegemonie der katholischen Kirche über die ländliche Bevölkerung zu brechen.
Denn das klassische spanische Theater war nicht so weit von der Erfahrung der Landbevölkerung entfernt. Lope de Vegas Meisterstück »Fuente Ovejuna« zum Beispiel war ein wirksamer Protest gegen den willkürlichen Missbrauch politischer Macht. Allerdings spielt in Lope de Vegas Fassung der König die Rolle, dem Volk Gerechtigkeit gegen den Großgrundbesitzer zu verschaffen. Bei Lorca wird das Thema Monarchie hingegen einfach weggelassen. Lorcas starkes Engagement bei der Barraca geriet schließlich in Konflikt mit seinem Vorhaben, neue Bühnenstücke zu schaffen. »Yerma«, das mit großer Verspätung erst am 29. Dezember 1934 uraufgeführt wurde, war ein solches Stück.
»Yerma«
Um die Wirkung »Yermas« auf die zeitgenössische spanische Gesellschaft zu verstehen, muss man die damalige politische Stimmungslage kennen. Spaltungen bei den republikanischen Kräften hatten zu einem Wahlsieg der rechten Parteien geführt. Das Ergebnis dieser Wahl verschärfte die Klassengegensätze und löste unter anderem einen Aufstand der Grubenarbeiter in Asturien aus und war Grund für die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens, denn es war klar, dass eine rechte Regierung versuchen würde, die gewonnenen Freiheiten zurückzunehmen.
Die Erstaufführung von »Yerma« war ein politisches Ereignis ohnegleichen. Lorca gab den Rechten genügend Gründe, über das Stück empört zu sein. Das Gespann aus dem Dramatiker Garcia Lorca und der Schauspielerin Margarita Xirgu war jetzt schon ein fester Begriff in der radikalen Kulturlandschaft der neuen Republik, bei den Rechten verhasst, von den Linken bejubelt.
Politische Radikalisierung
Der Wahlsieg der Rechten hatte unmittelbare Auswirkungen auf Lorcas Denken. Kurz nach seiner Rückkehr aus New York hatte er die berühmte Aussage über sein Mitleid »für den Verfolgten, den Zigeuner, den Neger, den Juden« gemacht. Nach der Wahl äußerte er sich wesentlich politischer und engagierter: »Auf der Welt kämpfen nicht nur menschliche, sondern auch tellurische Kräfte gegeneinander. Mir legen sie das Ergebnis des Kampfes auf die Waage. Hier dein Schmerz und dein Opfer, hier die Gerechtigkeit für alle, behaftet mit der Angst vor dem Übergang in eine erahnte, doch unbekannte Zukunft, und ich schlage mit aller Kraft meine Faust in diese Schale.«
Lorca war klar geworden, dass für ihn das Fortbestehen einer linken Regierung von großem Interesse war. Erstens genoss er in der Republik die Freiheit, sich künstlerisch und persönlich zu entfalten. Zweitens hatte sein Bestreben, das kulturelle Niveau der spanischen Bevölkerung durch das klassische Theater zu heben, die »Massen zu erziehen«, bei einer rechten Regierung keine Chance.
Der »wahre Sozialismus«
Im September 1935 gab Lorca der Zeitschrift »L’Hora«, die zu dem von Leo Trotzki beinflussten »Bloc Obrer y Campesol« gehörte, ein Interview, an dem sich seine Radikalisierung ablesen lässt. Hier vertritt Lorca die Auffassung, es sei Unsinn sich vorzustellen, dass die Kunst von der Politik getrennt werden könnte. Er arbeitet jetzt sogar an einer »politischen Tragödie«, der »Comedia sin Título« (Komödie ohne Namen). »Die Umstände der letzten fünf Jahre haben mich zu dieser Stellungnahme gezwungen«, erklärte er.
Im April 1936 gibt Lorca zu, dass er vom »wahren Sozialismus« spricht, wenn er »die geistige Explosion« beschreibt, zu der es kommen wird, wenn Hunger und Not aus der Welt geschafft sind. Ihm ist bewusst, dass er sozialistische Ideen vertritt, wie sie zum Beispiel Trotzki in seinem Buch »Literatur und Revolution« formuliert hat: »In einer Gesellschaft, die alle beklemmenden und abstumpfenden Sorgen um das tägliche Brot abgeworfen hat, […] in einer solchen Gesellschaft wird die Dynamik der kulturellen Entwicklung alles übersteigen, was es in der Vergangenheit gegeben hat.« Sein Tod steht für das endgültige Abbrechen dieser Dynamik in Spanien durch den Sieg des spanischen Faschismus.
Foto: Hunky Punk
Schlagwörter: Bürgerkrieg, Faschismus, Franco, Künstler, Sozialismus, Spanien, Spanische Revolution, Theater