Wie kann die Klimabewegung erfolgreich kämpfen? Nicht auf die Regierung warten, meint Julia Kaiser. Sie erklärt im Interview, warum die Erfahrungen der Kampagne zum Tarifvertrag Nahverkehr TVN 2020 als Blaupause für die Zusammenarbeit zwischen Klimabewegung und Gewerkschaften dienen können
Julia Kaiser ist aktiv bei »Die Linke.SDS« und »Students for Future« in Leipzig und Teil des Autor:innenkollektivs Climate.Labour.Turn, das die Broschüre »Mein Pronomen ist Busfahrerin« publiziert hat.
Julia, du bist Teil eines Autor:innenkollektivs, das kürzlich die Broschüre »Mein Pronomen ist Busfahrerin« über die gemeinsame Kampagne von Fridays for Future (FFF) und ver.di zur Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr (TVN) 2020 veröffentlicht hat. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Der Titel erinnert zunächst einmal an eine Szene, die sich auf einem Students for Future-Vernetzungstreffen in Köln ereignet hat. Einige Klimaaktivist:innen haben gemeinsam mit zwei Busfahrer:innen die Idee eingebracht, sich mit den Beschäftigten im Nahverkehr während ihrer Streiks zu solidarisieren. Als die Busfahrerin sich auf der Bühne vorstellte, sagte sie: »Ich bin Astrid, und mein Pronomen ist Busfahrerin, ist das okay?« Dann hat sie laut gekichert und die Hundert Studis im Saal haben mit gekichert. Scheinbar konnte sie mit der Aufforderung, das Personalpronomen zu benennen, mit dem sie angesprochen werden will, wenig anfangen und wollte stattdessen ihren Beruf benennen. Ich finde die Szene so charmant, weil sie zeigt, dass die Debatte, ob die linke Szene durch ihre Codes Menschen aus der Arbeiter:innenklasse vergraulen muss, fehlgeleitet ist: Zwar ist man sich vielleicht lebensweltlich fremd, aber eine Zusammenarbeit und gute Stimmung kommt dennoch zustande. Und das aus einem primären Grund: Es gibt einen konkreten Anlass der Zusammenkunft, man hat ein Ziel und diskutiert konkrete nächste Schritte. Das ist es, was Menschen aus der linken Szene, aber auch Gewerkschafter:innen und Betriebsaktiven oft fehlt: konkrete, klassenkämpferische Vorschläge.
Wie kam es zu eurer Kampagne und was war die Idee dahinter?
Als Fridays For Future auch in Deutschland groß wurde, beteiligten wir uns und gründeten Students for Future Gruppen bzw. traten bestehenden Zusammenhängen bei. Unsere politische Haltung war dabei die folgende: Dass sich tausende von Jugendlichen in unserem Umfeld der unendlichen Naturzerstörung entgegensetzen, und fordern, dass alles zur Einhaltung des 1,5 Grad Ziels zu tun ist, finden wir absolut unterstützenswert. Allerdings dachten wir von Beginn an, dass wir Klima und betriebliche Streiks verbinden müssen, damit wir wirklich etwas erreichen. Nur wenn Produktion oder gesellschaftliche Reproduktion wie Busse und Bahnen oder Krankenhäuser von Grund auf neu organisiert werden, wird sich etwas substanzielles verändern. Dann haben wir von der Tarifunde im ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) gehört und uns gedacht: Das ist ein hervorragender Moment, um Klima- und Klassenkämpfe zu verbinden! Wir sollten den FFF-Gruppen vorschlagen, sich mit den betrieblichen und gewerkschaftlichen Strukturen vor Ort zu vernetzen, ihre Streiks für bessere Arbeitsbedingungen zu unterstützen und in diesem Moment des Stillstands die Forderung nach mehr und kostengünstigen Bussen und Bahnen laut machen.
Ich kenne keine FFF-Aktivistin, die nicht mit Inbrunst für soziale Gerechtigkeit einstehen würde
Wieso interessiert sich Fridays for Future für Tarifauseinandersetzungen?
Mir fallen spontan drei Gründe ein: Erstens kenne ich keine FFF-Aktivistin, die nicht mit Inbrunst für soziale Gerechtigkeit einstehen würde. Deshalb finden es intuitiv alle richtig, wenn Menschen sich im Streik für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Zweitens zielte FFF von Beginn an darauf ab, dass die Klimabewegung eine Massenbewegung ist, unter dem Motto »Alle für das Klima«. Demnach interessiert sich FFF meiner Erfahrung nach auch dafür, dass die Gewerkschaften als ganzes, aber auch einzelne Betriebe sich mit Klimaschutz auseinandersetzen. Zuletzt ist es natürlich, wie oben erwähnt, für linkere Teile der Bewegung eine strategische Annahme: Wenn in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen nicht nur für Lohn und Arbeitsbedingungen, sondern auch für ökologische Anliegen gekämpft werden würde, dann hätten wir richtig was an den Füßen, da Streiks Unternehmen, aber eben auch den Staat stark unter Druck setzen können.
Keine Entlassungen für den Klimaschutz
Ist diese Orientierung, den Kampf für Klimagerechtigkeit als Klassenfrage zu betrachten, bei Fridays for Future weit verbreitet oder gibt es in der Bewegung auch Widerstand dagegen?
Weit Verbreitet würde ich leider nicht sagen, nein. Auch wenn der Slogan vom System Change weit verbreitet ist, ist das Bewusstsein über die von Akkumulation getriebene Klassengesellschaft und eines »Wir« gegen »Sie« eher gering. Ich denke, dass durchaus viele Aktivist:innen den Kapitalismus abschaffen und nicht nur erneuern wollen. Allerdings glauben die Meisten bei FFF, dass Appelle und Aktionen eine Verschiebung des Diskurses und schließlich Wahlen diesen Wandel hervorrufen können. Das sehen wir anders: Wir glauben, dass wir die Entscheidungsträger:innen in Unternehmen und in der Politik zum Wandel zwingen müssen. Also Klassenkämpfe führen müssen und nicht nur eine aufgerüttelte Zivilgesellschaft brauchen. Ich glaube auch, dass dafür viele offen wären, wir aber dringend mehr praktische Projekte brauchen, in denen sich auch Aktivist:innen engagieren können. Sonst bleibt für viele unklar, was es bedeutet, die Klimafrage als Klassenfrage anzugehen.
Bündnisse, die die Soziale und die Klimafrage verbinden, werden strategieentscheidend sein
Kleine Ansätze in diese Richtung gibt es aber auch neben TVN. Ich finde z.B. die Arbeit von den Genoss:innen in München großartig: Dort haben Klimaaktivist:innen gehört, dass BOSCH droht, Arbeiter:innen zu entlassen, weil BOSCH die Produktion Stück für Stück auf E-Mobilität umstellen will. Anstatt zu sagen: Richtig so, weg mit den Verbrennern und den (Zulieferer-)Betrieben, sind die Aktivist:innen hingegangen und haben gesagt: E-Autos sind keine Lösung, sondern Teil des Problems! Es gibt keine Entlassungen für den Klimaschutz! Alle brauchen Arbeit, aber eben in ökologisch nachhaltigen Branchen! Eine beeindruckende Aktion.
Wie hat ver.di auf euren Vorschlag für eine gemeinsame Kampagne reagiert?
Der Fachbereich Busse und Bahnen von ver.di war von Beginn an total offen und interessiert. Das lag meiner Meinung nach an zweierlei: Erstens hat der Fachbereich auch schon vor unserer gemeinsamen Kampagne ein ökologisches Profil gehabt und ein ehrliches Interesse an einer nachhaltigen Verkehrswende (siehe Kasseler Erklärung). Zweitens kam den Vertreter:innen direkt die kommende Tarifrunde in den Sinn. Es war klar, dass es heftigen Gegenwind von der bürgerlichen Presse und aus Teilen der Gesellschaft geben würde, wenn der ÖPNV streikt. Bei der Vorstellung kam natürlich Freude auf, dass eine so populäre Bewegung wie FFF hinter der Tarifbewegung stehen würde.
Bundesweit koordinierte Aktionen im ÖPNV
Wie seid ihr die Kampagne angegangen?
Gemeinsam mit der Fachbereichsleitung haben wir einen groben Kampagnenplan entwickelt. Wenn im Rahmen der Tarifrunde starke Bündnisse entstehen sollen, dann müssen sich Beschäftigte und Klimaaktivist:innen kennenlernen und gemeinsam Aktionen durchführen. Besonders stark wäre es, wenn es bundesweit koordinierte Aktionen gäbe.
Es wurden also drei bundesweite Aktionstage terminiert und bundesweite Verteiler aufgebaut, über die man sich austauschen konnte. Einer der wichtigsten Schritte war jedoch, die lokalen Akteure praktisch zusammenzubringen. Dafür haben wir sowohl auf Beschäftigten- als auch auch FFF-Seite gefragt, wer bei der Kampagne mitmachen will. Alle, die sich gemeldet haben, wurden miteinander in Verbindung gebracht. So sind in etwa 30 Städten ÖPNV-Beschäftigte und Klimaaktivist:innen in Kontakt gekommen und haben angefangen zu überlegen, welche Aktionen im Rahmen der Tarifrunde auf unsere Forderung nach einer sozial-ökologischen Verkehrswende aufmerksam machen und zugleich die anstehenden Streiks stärken könnten.
Wie haben die Kolleg:innen auf euch reagiert? Gab es auch Vorbehalte?
Ich berichte mal aus Leipzig: Da war die Stimmung nicht so super, die Leute waren sowohl ver.di als auch uns gegenüber ziemlich skeptisch, sodass wir nicht besonders weit in den Betrieb hineinwirken konnten. Allerdings hat sich ein aktiver Kreis aus etwa 15 Klimaaktivist:innen und circa sechs Beschäftigten entwickelt, der sich regelmäßig getroffen, die Aktionstage geplant und durchgeführt und sich an den Streiktagen zusammengefunden hat.
In anderen Städten, meist dort, wo auch ver.di besser verankert war, sah das schon ganz anders aus. In Hamburg z.B. waren richtig viele Beschäftigte von Anfang bis Ende dabei, und die Aktionen waren richtig groß.
In insgesamt 30 Städten haben Klimaaktivist:innen und Beschäftigte des ÖPNVs für einen Ausbau des Nahverkehrs und bessere Arbeitsbedingungen gekämpft. Wie seid ihr vor Ort konkret vorgegangen?
Mit den Kontakten, die wir von ver.di bekommen haben, oder den Kolleg:innen, die wir aus anderen Kontexten bereits kannten, haben wir ein Mapping gemacht: Wer aus dem Betriebsrat, aus der Gewerkschaft und von den Beschäftigten könnte Interesse am Bündnis haben? Dann haben wir uns geschult: Wie rufe ich eine Kollegin an und erkläre ihr kurz und knapp, wer ich bin und dass ich sie zum Mitmachen im Bündnis einladen will.
Danach ging es ans Anrufen, das war aufregend! Auch bei Schichtwechseln haben wir Kolleg:innen angerufen. Darüber hinaus haben wir Akteur:innen aus der Stadtgesellschaft angesprochen und über das Bündnis informiert. Schließlich ging es dann um die Planung der Aktionstage. Dafür haben wir uns meist zu zehnt bis fünfzehnt im Café getroffen und überlegt, wie wir an zentralen Plätzen und vor allem bei den Schichtwechseln auf die Tarifrunde und auf die Notwendigkeit einer Verkehrswende aufmerksam machen können. Außerdem haben wir noch konkrete verkehrspolitische Forderungen für Leipzig entwickelt.
Die Beschäftigten haben im Rahmen der Tarifrunde auch gestreikt. Welche Rolle konntet ihr als Klimaaktivist:innen dabei spielen und wie sah eure Unterstützung aus?
Zum einen sind wir morgens um vier Uhr zu den Streikposten gegangen und haben Kaffee und Tee mitgebracht. Dort haben wir auch ein kleines Grußwort gehalten. Andere haben am Hauptbahnhof Flyer verteilt, die darüber aufgeklärt haben, warum gestreikt wird, und warum die Fahrgäste nicht sauer, sondern solidarisch sein sollten. Nach Ende des Streiktages haben wir eine kleine Kundgebung organisiert und als FFF und Beschäftigte erklärt, wie wichtig der Streik ist und wie noch wichtiger ein grundlegender Wandel ist.
Was waren die größten Herausforderungen und Schwierigkeiten?
Die Bündnisarbeit hat von Ort zu Ort sehr unterschiedlich gut oder schlecht geklappt. In Hamburg war die Belegschaft ziemlich gut organisiert, und von Beginn an waren richtig viele Beschäftigte dabei. In NRW waren zwar einige Beschäftigte sehr kämpferisch dabei, aber dafür gab es vereinzelt Blockaden bei den Sekretär:innen. Bei uns in Leipzig waren einige wenige Beschäftigte und der Sekretär total motiviert, aber es gab auch sehr viel Desinteresse unter den Kolleg:innen.
Wir hatten also Schwierigkeiten, in der Belegschaft Fuß zu fassen, obwohl wir immer wieder beim Schichtwechsel vor Ort waren und zu Treffen eingeladen haben. Ansonsten hat die Pandemie natürlich dafür gesorgt, dass wir uns nur online treffen konnten, was die Treffen sehr viel weniger lebendig machte. Wer weiß, wie groß die Demos und Streiks geworden wären, hätten wir nicht mitten in der Pandemie gesteckt.
Rechts die Führung, links die TVN 2020-Massen
Wie ist die Tarifauseinandersetzung geendet?
Das Vorhaben eines bundesweit einheitlichen Tarifvertrags TVN ist vorerst gescheitert. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hat bis zum Schluss die Teilnahme an den Verhandlungen verweigert. Genauer gesagt: Die VKA ist gespalten. Einige Länder haben sich bundesweiten Verhandlungen in den Weg gestellt, andere hätten es vorgezogen, einen überregionalen Tarifvertrag zu verabschieden. Überdies konnten die politischen Forderungen nach einer besseren Finanzierung und dem Ausbau des ÖPNVs, für die sich FFF und andere Bündnispartner gemeinsam stark gemacht hatten, nicht durchgesetzt werden.
Die neuen Tarifverträge beinhalten jedoch deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten. Einige Gewerkschafter:innen beschreiben die Tarifabschlüsse als außergewöhnlich und auch unter den Beschäftigten bewerten viele die Ergebnisse in Anbetracht der Pandemiebedingungen als sehr positiv. Die verbesserten Arbeitsbedingungen wären deutlich spürbar. Andere sind aufgrund des gescheiterten TVN enttäuscht und aufgrund nur geringfügiger Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen unzufrieden.
Es braucht Klassenkämpfe. Nicht nur eine aufgerüttelte Zivilgesellschaft.
Was bleibt von der Kampagne? Steht ihr noch in Kontakt zu den Beschäftigten im ÖPNV?
Nach der Kampagne konnten wir ganz unmittelbar spüren, wie sehr wir eine sozialistische mitgliederorientierte Partei bräuchten, um langfristig für einen ökologischen Sozialismus zu kämpfen.
Es ist wirklich schwer mit Menschen nach einer Kampagne weiter zu arbeiten, wenn die einen in der Gewerkschaft, die anderen im Studi-Verband oder in der Bewegung organisiert sind. Es gibt keine gemeinsamen Räume oder Begegnungsmöglichkeiten, wie in einem Parteibüro oder einem Stadtteilzentrum. Ich denke in manchen Städten ist die Verbindung nach einigen Monaten nun schon sehr schwach. Aber der Wille und der Versuch weiter zusammenzuarbeiten wird auch an einigen Orten, wie bei uns in Leipzig, noch da sein: Wir stehen in regelmäßigem Austausch mit der Betriebsgruppe der Leipziger Verkehrsbetriebe. Wir haben schon eine weitere gemeinsame Kundgebung veranstaltet und überlegen gerade, ob wir im Rahmen der geplanten Zerschlagung der Deutschen Bahn durch SPD, Grüne und FDP für eine grundlegende Verkehrswende kämpfen könnten. Ich könnte mir also vorstellen, dass die Netzwerke an vielen Orten reaktiviert werden.
Die Partei als Lern- und Vernetzungsraum denken
Was sind eure Pläne für die Zukunft? Wollt ihr die Zusammenarbeit von Klimabewegung und Gewerkschaften fortführen?
Unbedingt. Sowohl wir in Leipzig, als auch ganz viele Leute in FFF sagen mittlerweile, dass sie die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften fortführen wollen. Ich nenne ein paar Beispiele: Neben der Zusammenarbeit mit ÖPNV-Beschäftigten für eine vollständige Verkehrswende wird es unzählige Anlässe geben sich mit Menschen aus der Autoindustrie gegen Entlassungen unter dem Deckmantel des Umbaus auf E-Mobilität zu wehren. Ein ganz tolles Beispiel ist das Bündnis »Klimaschutz und Klassenkampf« in München. Hier wird gedroht, dass 250 Arbeiter:innen entlassen werden, weil die Produktion der Teile für E-Mobilität ins Ausland verlagert wird. Viele Klimaaktivist:innen haben sich den Lohnabhängigen zugewandt und gesagt: Es gibt keine Entlassungen für den Klimaschutz!
Nun kämpfen Beschäftigte und Aktivist:innen gemeinsam für eine Weiterbeschäftigung und eine Umstellung der Produktion auf tatsächlich nachhaltige Produkte. Denn E-Autos sind ganz sicher alles andere als nachhaltig.
Genauso sollten wir weiter vorgehen: Mit den Beschäftigten für nachhaltige Jobs und gute Arbeit kämpfen. Wenn wir diese Forderung ernst nehmen und umsetzen wollen, dann bedeutet das letzten Endes das gesamte, undemokratische und ökologisch desaströse System infrage zu stellen.
Julia, ich danke dir für deine Zeit.
Das Interview führt Simo Dorn
Fotos: Mika Baumeister, Autor:innenkollektivs Climate.Labour.Turn
Schlagwörter: Klimabewegung, Tarifbewegung