Er veröffentlichte Meilensteine der Popmusik, kämpfte gegen Rassismus und Homophobie. Nun ist David Bowie im Alter von 69 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Phil Butland.
David Bowie ist tot. Mir fällt kein anderer Künstler ein, der solche eine Bandbreite an hervorragender Musik produziert hat oder solch ein Gesamtwerk, das an jene zwölf originellen Alben heranreicht, die Bowie zwischen 1969 und 1980 veröffentlichte. Jedes einzelne Album aus diesem Zeitraum ist ein Kandidat für eine Liste der besten Platten aller Zeiten.
Umso erstaunlicher ist die Vielfältigkeit dieser Platten. Denken wir nur an »David Bowie (Space Oddity)« aus dem Jahr 1969. Die meisten Leute kennen das Titelstück, ein Lied über die Entfremdung eines Astronauten. Die BBC setzte es bei ihrer Berichterstattung über die Mondlandung ein. Aber das Gesamtalbum des damals 22-Jährigen beeindruckt mit klugen, schön geschriebenen Kurzgeschichten in einem folkigen Stil.
Es folgten bald nacheinander Popmusik, Glamrock, Soul, verfremdete Electronica bis zu der ersten New-Romantic-Platte »Scary Monsters (And Super Creeps)«. Mir fehlt der Platz, um das Alles zu beschrieben. Ihr solltet die Musik selber anhören.
Bowie sprach offen über seine Bisexualität
Bowie stand nicht nur musikalisch für Innovation – seine Auftritte gab Außenseitern eine Stimme, besonders LGTB-Personen: Für die Plattenhülle für »The Man Who Sold The World« ließ er sich in einem Kleid fotografieren. Bei »Top of the Pops«, einer der damals meist gesehenen Fernsehsendungen, trug er einen Trikotanzug und Schminke, und sein gemeinsamer Auftritt mit Gitarrenspieler Mick Ronson war deutlich homoerotisch geprägt.
In Interviews sprach er offen über seine Bisexualität – und das in einer Zeit, als Homosexualität noch als skandalös galt. In »Rebel Rebel« bejubelte Bowie Rebellinnen, Rebellen und Personen, die sich unsicher waren, welchem Geschlecht sie sich zurechnen sollten (»not sure if you’re a boy or a girl«). Nach Bowies Tod hat der schwule Musiker Tom Robinson über die Bedeutung von Bowies Auftritten in den 1970ern für junge Schwule und Lesben getweetet.
Bowies Halbbruder war schizophren
Andere Songtexte handelten von Leuten, die gesellschaftlich ausgeschlossen waren. Der Künstler Grayson Perry schrieb dieser Tage, Bowie sei »ein Megastar« gewesen, »aber seine Macht ist der Tatsache entsprungen, dass er der Champion der Ausgestoßenen im Schlafzimmer war. Der Einzelgänger, der Außenseiter«.
Bowie beschäftigt sich viel mit psychischen Krankheiten. Sein Halbbruder Terry war schizophren und nahm sich 1985 das Leben. Bowie schrieb einige Lieder über Terry, unter anderem »All The Madmen« und »Aladdin Sane« (A lad insane = ein Typ, der verrückt ist).
Eine andere wiederkehrende Metapher in Bowies Liedertexten ist die Raumfahrt, ein Bild für eine Sphäre, die so weit von der »realen«, gesellschaftlich akzeptablen Welt entfernt ist, wie nur möglich. Major Tom, der Held aus »Space Oddity«, kehrte zweimal wieder – in »Ashes to Ashes« und »Hallo Spaceboy«. Andere Lieder trugen Titel wie »Starman«, »Life on Mars« und »The Prettiest Star«.
Entfremdung von der Realität
Diese Metapher stellt auch ein Spiel mit dem Wort »Star« (das sowohl »Stern« als auch »Berühmtheit« bedeuten kann) und Bowies zunehmender Entfernung von der Realität dar, die seine wachsende Berühmtheit begleitete. Das ist auch das Thema des Liedes »Fame«, das Bowie 1975 mit John Lennon schrieb und aufnahm.
Es wäre aber falsch, Bowies Entfremdung nur als Produkt seiner Berühmtheit zu sehen. Schon auf seiner ersten »echten« Platte aus dem Jahr 1969 hat er das Lied »Unwashed And Somewhat Slightly Dazed« veröffentlicht. Dort stellt sich das Leben einer schönen, reichen Frau vor:
Ich bin die Creme / Des großen utopischen Traums / Und du bist der Glanz / In den Tiefen des Grolls deines Vermögensverwalters / Ich bin ein Phallus in Zöpfen / Und auf meiner Nase ist Blut / Mein Gewebe verrottet / Wo Ratten an meinen Knochen kauen / Und meine Augenhöhlen sind leer / Sehe nichts als Schmerz / Ich habe diese Gedanken / Etwa zwölf Mal am Tag
Dieses Lied – tief poetisch und zwischen Arroganz und Selbsthass schwankend – zeigt viel über Bowie. Zugleich hilft es uns ein wenig, eine seiner dunklen Phasen zu verstehen. Denn die benötigt tatsächlich eine Erklärung.
Bowie zeigt den Hitlergruß
Einst sagte Bowie in einem Interview mit der Zeitschrift »Playboy«: »Ich würde gerne in die Politik gehen. Eines Tages werde ich das auch. Ich würde liebend gern Premierminister werden. Und ja, ich glaube sehr stark an den Faschismus. Der einzige Weg, wie wir die Entwicklung des Liberalismus beschleunigen können, der gegenwärtig nur faul in der Luft hängt, wäre, den Fortschritt einer rechtsgerichteten völlig diktatorischen Tyrannei zu beschleunigen und die Sache so schnell wie möglich hinter uns zu bringen. Menschen haben schon immer effektiver unter einer autoritären Führung reagiert. Ein Liberaler vergeudet Zeit und sagt ›Nun, was haben Sie denn jetzt für Vorstellungen?‹. Zeigen Sie den Leuten um Gottes Willen, was zu tun ist. Wenn Sie das nicht tun, wird nichts geschehen. Ich kann Leute nicht ertragen, die nur herumhängen. Das Fernsehen ist ganz offensichtlich der erfolgreichste Faschist. Rockstars sind auch Faschisten. Adolf Hitler war einer der ersten Rockstars.«
Über die Folgen von Bowies Äußerung haben Rosemarie Nünning und ich in unserem Artikel zu Rock Against Racism (marx21, Nr. 4/2015) schon viel gesagt. Ich wiederhole diese Geschichte hier nicht, will aber daran erinnern, dass Bowie dieses Interview in 1976 gab – in einer Zeit, als die britischen Nazis der National Front großen Zulauf hatten. Früher im selben Jahr hatte Bowie an der Londoner Victoria Station angeblich den Hitlergruß gezeigt.
Wie konnte es sein, dass einer, der sich für Schwulenrechte und die Rechte von Menschen mit geistiger Behinderung einsetzte, plötzlich faschistische Äußerungen tätigte? Manche machen dafür die Drogen verantwortlich, die Bowie damals reichlich nahm. Die haben vielleicht tatsächlich eine Rolle gespielt. Aber als Erklärung finde ich das nicht ausreichend.
Bowies Rebellion war immer individualistisch. Er war höchst begabt und litt unter dem Gefühl, dass seine Intelligenz gefesselt wurde. In dem Lied »Quicksand« nannte er sich einen »Sterblichen mit dem Potential eines Übermenschen«, der »im Treibsand meines Denkens versinkt« – diese Begriffe stammen von Nietzsche.
Beschäftigung mit Nietzsche
Bowie hat sich ausgiebig mit Nietzsches Philosophie beschäftigt. 1970 schrieb er ein Lied mit dem Titel »The Supermen«, und die letzte Zeile seines Hits »Oh You Pretty Things« von 1971 lautet »du musst den Weg für den Homo Superior freimachen« (»You gotta make way for the Homo Superior«). Obwohl Nietzsche selbst kein Faschist war, übernahmen und interpretierten die Nazis viele seiner Ideen um, etwa die des »Übermenschen« (im Englischen als Superman oder Homo Superior übersetzt).
In einem Zeitalter der Klassenkämpfe stammte Bowie weder aus dem Proletariat noch aus der herrschenden Klasse. Sein Vater war Lehrer und Leiter der Kunstabteilung seiner Schule, die Mutter als Jugendliche aktives Mitglied der British Union of Fascists. Sie wohnten in Bromley, Teil des »Commuter Belt« (großstädtischen Einzugsbereichs) um London, wo viele mittlere Führungskräfte wohnten. Bowie stammte also genau aus jener Gesellschaftsschicht, der sowohl für progressive als auch für faschistische Ideen gewonnen werden kann.
Trotz seiner Fehler in den 1970ern haben letztlich die Progressiven Bowie für sich gewonnen. Nach seinen rassistischen Äußerungen sprachen sozialistische Bekannte aus Berlin mit ihm Klartext. Er hatte später nicht nur schwarze Freundinnen und Freunde (wie seinen musikalischen Partner Nile Rodgers), sondern sprach sich öffentlich deutlich gegen Rassismus aus und heiratete mit Iman Abdulmajid 1992 auch eine schwarze Frau.
Sowohl die Kampagne Rock Against Racism, als auch später die Anti Nazi League (ANL), haben sich als direktes Ergebnis von Bowies Äußerungen gegründet. Im Jahr 1994 musste sich die ANL angesichts der wachsenden faschistischen Bedrohung neu gründen und organisierte dafür ein Festival in London. Bowie schickte einen Scheck über 1.500 britische Pfund. Anbei lag ein Zettel mit einem Wort: »Sorry«.
Kampf gegen Rassismus
Bowie kämpfte nicht nur in Großbritannien gegen Rassismus. Über Australien, wo er zeitweise wohnte, sagte er: »So sehr ich dieses Land liebe, ist es wahrscheinlich eines der rassistischsten auf der Welt, in derselben Liga wie Südafrika«. In dieser Zeit setzte er sich für die Rechte der Aborigines ein. Als er »Let’s Dance« in Australien veröffentlichte, stellte sein Musikvideo den Rassismus gegen Aborigines deutlich dar. In den USA kritisierte er 1983 bei einem Interview MTV dafür, dass der Sender schwarzen Musikern kaum Platz einräumte.
Ich habe nun sehr wenig über Bowies Musik seit 1980 geschrieben. In den vergangenen 36 Jahren hat er zwölf weitere Soloalben veröffentlicht, darüber hinaus zwei weitere Platten mit seiner Band Tin Machine. Fast jedes Album wurde als »ein Rückkehr zu seiner früheren Großartigkeit« bejubelt, und einige waren in der Tat sehr gut.
Aber für mich besteht Bowies größter musikalischer Beitrag aus jenen zwölf Platten, die er in und um die 1970er Jahre aufnahm – und aus Alben dieses Jahrzehnts, die er produzierte (mindestens drei davon zähle für mich zu den besten aller Zeiten: Lou Reeds »Transformer« sowie Iggy Pops »The Idiot« und »Lust for Life«).
Ab 1980 fand Bowie andere Interessen – unter anderen als Maler und Schauspieler. Er spielte beeindruckend in Kinofilmen wie »Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence« und »Begierde« (»The Hunger«) und im Fernsehen als Brechts »Baal«. Er war vielleicht nicht in der Lage, die Qualität seiner Musik immer auf demselben Niveau zu halten, aber selbst auf seinen vielleicht nicht ganz so epochalen Alben konnte er sowohl die Tiefe als auch die Breite seines Talents – von Drum and Bass bis zu Heavy Metal – weiterentwickeln.
Wenige Tage vor seinem Tod veröffentlichte Bowie sein letztes Album »Blackstar«. Es wurde – wieder einmal – als eine Rückkehr zu seiner früheren Genialität bejubelt. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass wir erst ein wenig abwarten sollten, bevor wir das abschließend beurteilen. Aber ich hoffe, »Blackstar« wird genau so viel bewegen wie Bowies frühere Werke.
Mit David Bowie hat uns einer der ganz Großen verlassen.
Foto: Thuany Santana
Schlagwörter: David Bowie, Kultur, Musik, Nachruf