Asterix wird 50. Marcel Bois lässt das bewegte Leben des kleinen Galliers Revue passieren.
Wir befinden uns im Jahr ’59. Frankreich ist nicht mehr von den Nazis besetzt. Und eine von unbeugsamen Comiczeichnern betriebene Zeitschrift beginnt gerade damit, dem Zeitgeist Widerstand zu leisten. Die Zeitschrift heißt Pilote. Deren Redakteure möchten einen Gegenpol zu den Film- und Comic-Helden ihrer Zeit schaffen. Der Zeichner Albert Uderzo erinnert sich: »Wir wollten etwas typisch Französisches machen, weil wir damals in einer Zeit lebten, die komplett von den Comics und den Zeichnungen der Amerikaner beherrscht wurde.« Gemeinsam mit dem begnadeten Texter René Goscinny erfindet er zwei ungleiche Helden, ein paar Krieger, ein befestigtes Dorf und siedelt das Geschehen im Frankreich der Antike an. Die Geschichte von Asterix, dem unbeugsamen Gallier, ist geboren. Am 29. Oktober 1959 erscheint in der ersten Ausgabe von Pilote ein erster kurzer Strip. »Ich wollte einen Antihelden«, erzählte Goscinny später, »einen kleinen Kerl. Asterix sollte ein Knirps sein, so wahrnehmbar wie ein Satzzeichen. Es war mir wichtig, dass diese Figur in sich drollig war.«
Die Abenteuer von Asterix und seinem ständigen Begleiter Obelix schlagen ein wie eine Bombe – erst in Frankreich, dann auch im Ausland. Von den ersten 33 Bänden werden weltweit über 300 Millionen Exemplare verkauft. Die Geschichten sind mittlerweile in 108 Sprachen und Dialekte übersetzt worden. Acht Trick- und drei Realfilme sind bislang in die Kinos gekommen. Der »Parc Astérix« nahe Paris lockt jährlich etwa 1,7 Millionen Besucher.
So eindeutig die Zuneigung der Leser ist, so umstritten ist die Rezeption der Comics. »Stockkonservativ« und »chauvinistisch« seien die beiden Zeichner, so Kritiker. Die widerspenstigen Gallier wären ein Sinnbild für den französischen Kulturprotektionismus. Ein »reaktionär-gewaltverherrlichendes Weltbild« würden die Asterix-Comics wiedergeben, sagen andere. Die Kritik kam durchaus auch aus den eigenen Reihen. Im Mai 1968 wurde Chefredakteur Goscinny von seinen Mitarbeitern aus dem Redaktionsgebäude der Pilote gejagt, weil er ihnen zu bürgerlich war. Andere wiederum feiern Asterix als frühen Helden des anti-imperialistischen Widerstands. »1968, als der erste Band in Deutsch erschienen ist, war das wirklich im besten Sinne Zeitgeist«, sagt Michael Walz, der für die deutsche Ausgabe zuständig ist. »Das war die Zeit, als in Frankreich die jungen Leute auf die Straße gegangen sind, also zu der die ›Gallier‹ die Großen herausgefordert haben. Das hat viele gerade aus der intellektuellen Jugend in Deutschland sehr interessiert und das hat sich bis heute gehalten.«
Auch die außerparlamentarischen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre begeisterten sich für den kleinen Gallier. In dieser Zeit entstanden Plagiate, in denen Bilder verschiedener Originalausgaben zu neuen Geschichten zusammenmontiert wurden. So will beispielsweise in »Asterix und das Atomkraftwerk« Julius Caesar einen Brutus Rapidus (»schnellen Brüter«) an die Stelle des gallischen Dorfs bauen. In weiteren Heften wie »Asterix im Hüttendorf« und »Asterix in Bombenstimmung« werden der Bau der Startbahn West und das Thema Nachrüstung behandelt.
Tatsächlich ist Widerstand ein immer wiederkehrendes Motiv auch in den original Asterix-Geschichten. Die Gallier, die dank des vom Druiden Miraculix gebrauten Zaubertranks über übermenschliche Kräfte verfügen, nehmen es ein ums andere mal mit der römischen Besatzungsmacht auf. Uderzo sieht hier einen wichtigen Grund für den Erfolg seiner Serie. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte er: »Ich finde, dass alle Menschen, die Deutschen, die Franzosen, die Engländer, immer eine Macht über sich haben, die sie ärgert. Die Polizei, die Regierung, die Menschen, die uns leiten. Und deshalb möchte man so sein wie Asterix. Asterix ist der Kleine, der sich von alledem befreit. (…) Man kann klein sein und trotzdem stark.« Die Ähnlichkeiten der Gallier zur französischen Résistance sind dabei durchaus gewollt. Der Einmarsch der Römer im ersten Band (»Asterix der Gallier«) erinnert in seiner Ästhetik bewusst an die Zeit der Nazi-Besatzung, wie Goscinny erklärte: »Man sieht nichts außer ihren Beinen, wie in den Wochenschau-Aufnahmen, die zeigen, wie die Deutschen in Frankreich einmarschierten.« Er selber, dessen Großvater ein polnischer Rabbiner war, überlebte die Judenverfolgung der Nazis nur, weil die Familie nach seiner Geburt nach Argentinien ausgewandert war.
Vermutlich erklärt das auch, weshalb Asterix‘ östliche Nachbarn nicht besonders gut wegkommen. Während Schweizer, Belgier oder Briten den Galliern stets freundschaftlich begegnen, erscheinen die Goten (als Abbild der Deutschen) als grausame Militaristen mit preußischer Pickelhaube, deren Sprechblasentexte in Frakturschrift gehalten sind. Dies haben konservativen Kreise in Deutschland den beiden Asterix-Schöpfern bis heute nicht verziehen, obwohl der entsprechende Band aus dem Jahr 1963 stammt und dementsprechend das damalige Deutschland-Bild vieler Franzosen widerspiegelt.
Überhaupt spielen zeitgenössische oder vergangene Gesellschaftsentwicklungen eine wichtige Rolle in fast allen Bänden. Nicht umsonst bezeichnete der Politologe Alfred Grosser die Comic-Serie als das bedeutendste politische Werk der französischen Nachkriegsgeschichte. In »Asterix als Legionär« wird die französische Fremdenlegion aufs Korn genommen, bei »Asterix in Spanien« der moderne Massentourismus persifliert und in »Asterix bei den Olympischen Spielen« Doping thematisiert. In »Kampf der Häuptlinge« steht die Figur Augenblix, romfreundlicher Häuptling eines Nachbardorfes, symbolisch für die französischen Kollaborateure während des Zweiten Weltkriegs. Zu tagespolitischen Entscheidungen nahmen Goscinny und Uderzo hingegen in »Die Trabantenstadt« Stellung. In diesem Band kritisierten sie die seinerzeit von den Pariser Stadtplanern gebauten Satellitenstädte. Und wenn Asterix und Obelix in »Die Odysee« nach Mesopotamien aufbrechen, um ihrem Druiden das dringend benötigte Steinöl zu besorgen, dann ist der Verweis auf die in den Jahren vor Erscheinen des Bandes eskalierte Ölkrise nicht zu übersehen.
1977 verstarb Texter Goscinny mit gerade einmal 51 Jahren. Uderzo entwickelt seitdem alleinverantwortlich die Geschichten, die mit den Jahren deutlich schwächer geworden sind. Das erkennt er auch selbst: »Viele sagen, dass ich nicht die Qualität von Goscinnys Szenarios erreiche. Und das ist wahr.« Der Zeichner versucht dieses Manko wohl durch intensive Vermarktung zu kompensieren. Seine Tochter, mit der er sich überworfen hat, beschuldigt ihn, Asterix seinen ärgsten Feinden auszuliefern: »den Männern der Industrie, der Finanzwirtschaft«. Und tatsächlich gerät der 50. Geburtstag zu einem Marketingspektakel sondergleichen: Die französische Luftwaffe malt das Asterix-Konterfei mit Kondensstreifen an den Himmel, in einem Pariser Museum wird eine Sonderausstellung eröffnet und eine Asterix-Briefmarke soll gedruckt werden.
Ein neuer Band ist auch erschienen. Die Welt schrieb treffend: »Schon der Vorgänger ›Gallien in Gefahr‹ (2005) war ein Desaster. Doch auch zum 50. Geburtstag tun sich Asterix und Obelix mit ihrem neuen Band keinen Gefallen. Darin tritt ihr gealterter Zeichner Albert Uderzo höchstselbst auf – und wird verprügelt. Es ist eine der wenigen gelungenen Szenen.« Doch auch das schwächere Alterswerk von Uderzo kann dem Widerstand der Gallier nichts anhaben. Da müsste ihnen schon der Himmel auf den Kopf fallen.
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