Giovanni Arrighi: »Adam Smith in Beijing: Die Genealogie des 21. Jahrhunderts«, VSA 2008, 518 Seiten, 36,80 Euro
Von Yasar Damar
Arrighi provoziert in seinem Werk mit zwei Thesen: Er prognostiziert den Abstieg der USA als Welthegemon und die Herausbildung einer ostasiatisch zentrierten „Weltmarktgesellschaft«.
Arrighi zufolge sei heute die Glaubwürdigkeit der US-amerikanischen Macht gefährdet, die Zentralität des Dollars in der Weltwirtschaft geschwächt und dadurch das Hervortreten Chinas als alternative Führung gestärkt. Den Ursprung des Niedergangs der USA sieht Arrighi in der globalen Rentabilitätskrise seit den 1970ern begründet, welche zusammen mit dem Vietnamkrieg die „Signalkrise« der US-Hegemonie einläutete. Die folgende Phase der finanziellen Expansion infolge der neoliberalen Konterrevolution als Reaktion auf die Rentabilitäts- und Hegemoniekrise habe allerdings die globalen Turbulenzen noch verstärkt.
Im neokonservativen „Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert« sieht Arrighi einen verzweifelten Versuch der USA, die Hegemonie aufrechtzuerhalten. Doch dieses imperialistische Projekt versagte. China sei nicht daran gehindert worden, ein neues Zentrum der globalen politischen Ökonomie zu werden. China biete zudem den Ländern des „Südens« eine Alternative zu den wirtschaftlichen Abhängigkeiten gegenüber den Ländern des „Nordens«.
Sollte sich der Aufstieg Chinas fortsetzen, wäre die Menschheit näher an die Verwirklichung einer These des klassischen Ökonomen Adam Smith herangerückt, die Arrighi neu interpretiert: einer Weltmarktgesellschaft auf der Grundlage größerer Gleichheit unter den Zivilisationen.
Ob eine gerechte Ordnung der Zivilisationen zustande kommt, hänge maßgeblich von der Fähigkeit Chinas (und Indiens) ab, einen sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Entwicklungspfad zu beschreiten und nicht dem europäisch-kapitalistischen Entwicklungspfad zu folgen, der nur durch einen Ausschluss der Mehrheit der Weltbevölkerung von den Vorteilen der Industrialisierung funktionieren konnte. Der Weg zu einer „nichtkapitalistischen Marktwirtschaft« treffe dabei in Ostasien auf günstige Voraussetzungen: Die Geschichte der Region weise ein Tradition auf, die weniger kriegerisch als die Europas sei und zudem weniger auf dem exzessiven Verbrauch von Ressourcen basiere.
Hier ist nicht der Platz, die vielen interessanten, insbesondere historischen Passagen des (teilweise etwas unübersichtlichen) Buches zu würdigen, die einem die Geschichte Ostasien und Chinas in einer international vergleichenden Perspektive näher bringen. Auch Arrighis These des Niedergangs der USA bietet eine Menge anregenden Diskussionsstoff, auch wenn sie etwas voreilig erscheint.
Mit seiner These jedoch, ein mögliches chinesisches Jahrhundert würde große Chancen für eine gerechtere Welt bieten, vermag er nicht zu überzeugen. Die gegenwärtigen kapitalistischen Umstrukturierungen in China weisen ähnliche zerstörerische Züge auf wie die des „Westens«. Warum der chinesische Kapitalismus, der über einen der repressivsten Staatsapparate überhaupt verfügt, die Menschheit vor dem „Schrecken der eskalierenden Gewalt« bewahren soll, bleibt ein Rätsel. Seine in früheren Schriften formulierte Prognose eines „systematischen Chaos« scheint da nahe liegender.
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