Christoph R. Hörstel: »Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher Mission«, Knaur Verlag 2007, 288 Seiten, 8,95 Euro
Von Sybill Lecher
„Der Konfliktfall Afghanistan ist für Deutschland die gigantischste Verschwendung von Menschenleben und Steuergeldern seit dem Zweiten Weltkrieg.« – so lautet die vernichtende Bilanz, die Christoph R. Hörstel in seinem Buch „Sprengsatz Afghanistan« über den Bundeswehreinsatz zieht. Hörstel ist seit 22 Jahren als Journalist in Afghanistan unterwegs und ein ausgezeichneter Kenner der politischen Kräfte im Lande. Er kritisiert scharf das schöngefärbte Bild, das von offizieller Seite über Afghanistan verbreitet wird. Alles, was man in den großen Medien über die verheerende Lage am Hindukusch in letzter Zeit nur bruchstückartig zu hören bekam, ist hier zusammengefasst. Der Autor beschreibt das ganze Chaos, das uns die Bundesregierung immer noch als Erfolgsgeschichte verkaufen will: tausende von den Besatzern getötete Zivilisten; Folter und andere Menschenrechtsverletzungen; Wahlbetrug; ausufernde Korruption auf Regierungsebene, in der Armee und Polizei; florierender Opiumanbau und fehlgeleitete Entwicklungshilfe.
Wer auf der Suche nach einer sorgfältig recherchierten und umfassenden Darstellung der gegenwärtigen Situation in Afghanistan ist, wird in diesem Buch fündig. Die größte Stärke des Buches liegt darin, dass es die Sicht afghanischer Muslime auf die amerikanische Politik der letzten Jahrzehnte veranschaulicht. Besonders lesenswert sind in Bezug darauf zwei Interviews, die im Anhang abgedruckt sind. Hier kommen Kämpfer des Widerstandes unkommentiert zu Wort und liefern erstaunliche Analysen zum Krieg in Afghanistan. Das Verständnis der verworrenen Konfliktlage wird in dem Buch erleichtert durch Kartenmaterial, Tabellen und Grafiken.
Hörstel zeigt, dass in Afghanistan eine Menge Leute in der Lage sind, das Schicksal ihres Landes selbst in die Hand zu nehmen und die Anwesenheit der Besatzungstruppen das Land immer mehr destabilisiert. Den Weg zum Frieden sieht er in Verhandlungen aller Konfliktparteien, einschließlich der Taliban: „Ich meine, dass kein Staat der Welt einem anderen vorschreiben darf, wie er sich organisiert.« Seiner Ansicht nach muss „das Land das Recht haben, sich beispielsweise auch von den Taliban regieren zu lassen.« Dieses demokratische Selbstbestimmungsrecht sieht er im Völkerrecht begründet, das die Bundesregierung ignoriere.
Die nahe liegende Forderung nach einem sofortigen und vollständigen Abzug der NATO-Truppen lehnt Hörstel ab. Stattdessen fordert er „ein klares Ja zur starken und zurückhaltend auftretenden ISAF« und erklärt: „Wer jetzt dem sofortigen Abzug der Bundeswehr das Wort redet, will die Bundesrepublik in ihren beiden wichtigsten außenpolitischen Orientierungen beschädigen: Europa und NATO. Er beschädigt außerdem beide Bündnisse, die jahrzehntelang ihre Friedensfähigkeit bewiesen haben.«
Aber was meint Hörstel mit der „Friedensfähigkeit« der EU und der NATO? Der Krieg in Afghanistan ist nicht der erste Angriffskrieg, den die NATO führt – im Jahr 1999 griff das Bündnis bereits Jugoslawien an. Am Ende kommt Hörstel zu keiner überzeugenden Antwort.