Was PISA und Co. mit Zahlen und Fakten belegen, schildert Julia Friedrichs in ihrem Buch »Auf den Spuren der Mächtigen von morgen« anhand konkreter Beispiele: Bildung ist in Deutschland abhängig vom Geldbeutel der Eltern und diese Tendenz verstärkt sich. Denn die Privatisierung im Bildungsbereich schreitet voran, pro Woche werden ein bis zwei Privatschulen in Deutschland gegründet. Von Janine Wissler
Etwas verwundert war ich, als die private »Elite-Uni« European Business School (EBS) anfragte, ob ich als Vertreterin der LINKEN an einer Podiumsdiskussion zum Buch »Gestatten Elite« von Julia Friedrichs teilnehmen würde. Bei einer Testwahl unter Studierenden des dritten Semesters der EBS kam die FDP auf 80 Prozent. Da kann ich nur gewinnen, dachte ich mir, sagte zu und besorgte mir das Buch.
Die EBS befindet sich in einem Schloss mit eigenem Weingut direkt am Rhein. Die Veranstaltung fand im »Walter-Leisler-Kiep-Saal« statt und schon beim Gang über den Parkplatz hatte ich beim Anblick der Autos nicht das Gefühl, an einer Uni zu sein. Julia Friedrichs war bei ihrem ersten Besuch an der EBS wohl ähnlich befremdet: »Warum Menschen von ›Parallelwelt‹ sprechen, sobald sich zwei Dönerbuden und ein türkischer Kulturverein in einer Straße ballen, habe ich nie verstanden. Jetzt gerade halte ich den Begriff für angebracht.«
Über 10.000 Euro betragen die jährlichen Studiengebühren an der EBS. Dafür bleiben die Studierenden von den Zuständen an einer überfüllten Massen-Uni verschont – vor kritischer Wissenschaft allerdings auch. Hier kommt eine Lehrkraft auf 21 Studenten, an öffentlichen Hochschulen betreuen Lehrkräfte bis zu zehnmal so viele Studierende. Die EBS wirbt mit einem Abschlussalter von 24 Jahren und einem durchschnittlichen Einstiegsgehalt von 50.752 Euro.
Die EBS war aber nur einer der vielen Orte, die Julia Friedrichs während der Recherche für ihr Buch besuchte. Sie reiste quer durch Deutschland, besuchte Elite-Unis, Elite-Internate, Elite-Schulen und sogar Elite-Kindergärten. Sie sprach mit Studierenden und Rektoren, aber auch mit dem linken Soziologen Michael Hartmann und mit attac-Aktivisten.
Friedrichs fand die »Elite« und gibt nun Einblicke in eine andere Welt. Was PISA und Co. mit Zahlen und Fakten belegen, schildert sie anhand konkreter Beispiele: Bildung ist in Deutschland abhängig vom Geldbeutel der Eltern und diese Tendenz verstärkt sich. Denn die Privatisierung im Bildungsbereich schreitet voran, pro Woche werden ein bis zwei Privatschulen in Deutschland gegründet. Die, die es sich leisten können, kaufen sich gute Bildung, während öffentliche Schulen und Hochschulen unterfinanziert bleiben und zu »Resteschulen« zu verkommen drohen.
Die Differenzierung beginnt früh. Friedrichs erlebt auf ihrer Reise ein »Wettrüsten um den beeindruckendsten Kleinkindlebenslauf«. Sie bekam Einblick in eine Welt, in der schon die Wahl des Kindergartens als »berufliche Weichenstellung« gilt und Englischkurse für Säuglinge und Excel-Kurse für Vierjährige normal sind.
In Potsdam haben Privatpersonen 700.000 Euro investiert, um eine klassizistische Villa in eine Fünf-Sterne-Kita mit 3000 Quadratmetern Grundstück umzubauen: »Bis zu fünfzig Kindern sollen hier bald jeden vorstellbaren Luxus genießen. 980 Euro wird die Betreuung pro Monat kosten. Allerdings ist das der Basissatz. Die Eltern können einen Chauffeur oder einen Bodyguard buchen, einen Geigen- oder Chinesischlehrer (…) Eine Erzieherin muss sich hier um nur sechs Kinder kümmern. In der normalen Welt sind es je nach Bundesland bis zu zwanzig. Die Kinder lernen Englisch. Ihnen wird mittags ein dreigängiges Vollwertmenü gekocht, morgens und abends können sie sich am Büffet bedienen.« Auch einen Wellnessbereich bekommt die Kita: »Noch ist dort, wo ein großes Aquarium entstehen soll, ein Loch in der Wand. Die Sauna ist aber schon gut zu erkennen. Im Nebenraum werden die Masseure und Physiotherapeuten arbeiten. Auch deren Leistungen können die Eltern dazubuchen. Genau wie Yoga, Ballett oder Meditation.«
Julia Friedrichs Buch ist eine großartige Sozialreportage und eine schockierende, in Teilen skurril anmutende Bestandsaufnahme. Sie stellt ihren Gesprächspartnern die richtigen Fragen und legt den Finger in die Wunde. Klug geschrieben, in verständlicher Sprache, ein Reisebericht durch die Kaderschmieden der zukünftigen Elite.
Ihr Fazit: »Es gab mal die Idee der Solidarität. Dass die, die viel haben, auch viel dazu beitragen, dass es allen besser geht. Wenn die einen erst in die Luxus-Kita und dann in die Privatschule gehen, während die anderen erst vor dem Fernseher sitzen und dann die Förderschule besuchen, ist von dieser Idee nichts mehr übrig.« Ein Buch, das alle lesen sollten, die sich kritisch mit dem deutschen Bildungssystem befassen.
Zur Autorin:
Janine Wissler ist Fraktionsvorsitzende der LINKEN im hessischen Landag
Das Buch:
Julia Friedrichs: »Gestatten Elite – Auf den Spuren der Mächtigen von morgen«, Heyne-Verlag, München 2009,256 Seiten, 7,95 Euro