Janine Wissler über Jon Krakauers Buch: »Auf den Feldern der Ehre. Die Tragödie des Soldaten Pat Tillman«
Es klingt wie die perfekte Kriegspropaganda-Story: Ein erfolgreicher Footballstar schlägt einen 3,6 Millionen-Dollar-Vertrag in der NFL aus und verpflichtet sich freiwillig, unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001, bei der US-Army.
Ist es aber nicht. Denn Pat Tillman fällt 2004 in Afghanistan – durch »Friendly Fire«, den versehentlichen Beschuss der eigenen Kameraden. Und auch vor seinem tragischen Tod taugt Tillman für das Pentagon nur bedingt als Kriegsheld.
Jon Krakauer geht der Frage nach, was einen Footballstar, dessen Lieblingsautor Noam Chomsky ist, dazu bewegt, alles zurückzulassen und zur Army zu gehen. Der Autor, der mit Abenteuerromanen wie »Into the wild« und »In eisige Höhen« weltberühmt wurde, hat dazu eine enorm aufwendige Recherchearbeit betrieben, reiste selbst einige Male nach Afghanistan, besuchte die US-Truppen, studierte das Leben des Pat Tillman, sprach mit Familie und Freunden.
Das Ergebnis ist eine differenzierte Charakterisierung dieses jungen Soldaten: Einerseits ein stolzer Patriot, der sein Land verteidigen will, andererseits ein nachdenklicher, politisch kritischer Mensch, der sowohl den Irak-Krieg als auch die Bush-Regierung ablehnt und der sich trotz Bitten des Pentagons weigert, Interviews zu geben und seine Bekanntheit für Propagandazwecke einzusetzen. Diese Widersprüchlichkeit kommt auch in seinem Tagebuch zum Ausdruck, auf das sich das Krakauers Werk stützt.
Tillman wird zunächst im Irak stationiert. Dort schreibt er: » (…) alle wichtigen Staatsmänner auf dieser Welt mit wenigen Ausnahmen [halten] das Ganze für nicht gerechtfertigt. Das ist auch die Ansicht vieler einfacher Leute. Deshalb (…) glaube ich, dass die einzige Rechtfertigung dafür unsere imperiale Laune ist. (…) Ich hoffe, dass es in diesem Krieg um mehr geht als um Öl, Geld und Macht. (…) Allerdings bezweifle ich, dass es so ist.«
Mit seinen Kameraden diskutiert er Chomskys Buch »Propaganda and the Public Mind«. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan war ein Treffen mit dem Schriftsteller verabredet, wie Chomsky später bestätigte. Dazu kam es nicht, Tillman starb im Kugelhagel seiner Kameraden. Er wurde 27 Jahre alt.
Die US-Army versuchte die Wahrheit über den Tod des berühmten Kriegsfreiwilligen vor dessen Familie und der Öffentlichkeit zu vertuschen. Beweise wurden unterschlagen, Aufzeichnungen verschwanden, Berichte wurden gefälscht. Stattdessen bemühte sich das Pentagon, seinen Tod propagandistisch auszuschlachten. Tillman wurde nachträglich ein Orden für Tapferkeit vor dem Feind verliehen, die Trauerfeier als Massenveranstaltung inszeniert mit Senator John McCain als Grabredner.
Erst aufgrund zunehmenden öffentlichen Drucks und der Beharrlichkeit von Tillmans Mutter leitete das Militär schließlich Ermittlungen über die Hintergründe des Todes ein. Sie brachten schrittweise die wirklichen Ereignisse ans Licht und die US-Regierung in Erklärungsnot.
Krakauer belegt nach Durchsicht tausender Seiten von Untersuchungsberichten anschaulich, wie die Wahrheit dem Krieg zum Opfer fällt. Zudem gibt er einen Abriss über die jüngere Geschichte Afghanistans, zeigt auf, wie Sowjetunion und USA das Land in ein Schlachtfeld des Kalten Krieges verwandelten und welches Leid und Elend das über die Bevölkerung brachte.
Sein Buch hat Längen, vor allem bei den detailreichen Beschreibungen diverser Footballspiele und den umfangreichen Schilderungen aus dem Privatleben Tillmans. Und so eindringlich Krakauers Kritik an dem Krieg ist, so hilflos bleibt er im Aufzeigen einer alternativen Perspektive.
Aber das Buch hat in den USA eine Diskussion ausgelöst, die Kritik an den Kriegseinsätzen wächst. Pat Tillman wurde Opfer eines Militäreinsatzes, in den er trotz aller Zweifel freiwillig zog. Krakauer erweist ihm die letzte Ehre, indem er seine Geschichte erzählt, die das Militär und die Regierung so lange zu vertuschen versuchten.
Wenn man sich auf das Buch und den Charakter Tillmans in seiner ganzen Widersprüchlichkeit einlässt, ist »Auf den Feldern der Ehre« ein überraschendes und verstörendes Buch. Es bleiben jedoch Fragen.
Das Buch:
- Jon Krakauer: »Auf den Feldern der Ehre. Die Tragödie des Soldaten Pat Tillman«, Piper-Verlag, München 2009, 448 Seiten, 19,95 Euro (als Taschenbuch für 9,95 Euro erhältlich, ebenfalls bei Piper)