Der am 5. Oktober verstorbene schwedische Autor Henning Mankell hat es geschafft, mittels seiner Bücher Solidarität mit den Schwachen und Verletzlichen zu wecken. Ein politisch-literarisches Porträt von Klaus-Dieter Heiser
»Wir müssen ständig auf der Hut sein und der Versuchung widerstehen, Minderheiten zu Sündenböcken für unsere Schwierigkeiten zu machen.« Das antwortete Henning Mankell in einem Spiegel-Gespräch auf die Frage »Kann die muslimische Einwanderung die liberalen, aufgeklärten Gesellschaften des Westens politisch und moralisch überfordern?« Es fand 2011 wenige Tage nach der Mordorgie Anders Breiviks in Oslo und auf der Insel Utöya statt.
Mankell, dessen Romane um den Kriminalkommissar Kurt Wallander Millionen in ihren Bann zogen, galt dem Hamburger Magazin als Fachmann, ob er als Autor eine solche Geschichte und eine solche Figur hätte erfinden können. Seine Antwort: »Was auch immer ich schreibe, die Wirklichkeit ist stets schlimmer.«
Mankell, der Sozialist
Henning Mankell ist am 5. Oktober 2015 in Göteborg im Alter von 67 Jahren gestorben. Er wollte von Jugend an Schriftsteller werden und gewann als Bestseller-Autor viele internationale Auszeichnungen. In Stockholm und in Mosambiks Hauptstadt Maputo arbeitete er auch als Theaterregisseur und Filmemacher.
Bei allem war er ein politischer Mensch, ein Sozialist, der sich mit kapitalistischer Ausbeutung nicht abfinden wollte. Er bekämpfte die rassistische Apartheid in Südafrika mit seinen Mitteln als Schriftsteller und engagierte sich gegen Armut und Analphabetismus in Afrika. Solidarisch setzte er sich für das Recht der Palästinenser auf einen gerechten Frieden ein, zum Beispiel durch seine Teilnahme 2010 an der Solidaritätsflotte »Ship to Gaza« der Aktion Free Gaza Movement.
Wallander und die Gesellschaft
Als Schriftsteller erlangte Henning Mankell mit dem Ystader Kommissar Kurt Wallander Weltruhm. 15 Millionen Wallander-Bücher wurden allein in Deutschland verkauft, international mehr als 40 Millionen. »Durch sein Schreiben ging wie ein roter Faden die Solidarität mit den Schwachen und Verletzlichen«, schrieb der Leopard-Verlag, der Mankells Bücher in Schweden herausbrachte, in einer Reaktion auf seinen Tod.
Für den slowenischen Philosophen, Psychoanalytiker und Kulturkritiker Slavoj Žižek ging es mit Mankells Büchern um »das Schicksal des Kriminalromans im Zeitalter der Globalisierung«. Das kleine südschwedische Ystad mit sanfter Umgebung und der Ostseeküste wurde zur Bühne, zum Schaufenster für gesellschaftliche Prozesse, für ihre Dynamik. Elf Wallander-Romane sind zwischen 1991 und 2009 erschienen. Fast alle wurden verfilmt, zum Teil mehrmals.
Bereits der erste Band »Mörder ohne Gesicht« (1991) setzte ein deutliches Zeichen. Wallander ermittelt in einem Mordfall, in dem zwei alte Leute im tiefen Winter auf ihrem Bauernhof umgebracht wurden. Das Stichwort »Ausländer« fällt, heikel, weil Vorurteile und diffuse Ängste die Untersuchungen beeinflussen. Wallander muss sich mit Fremdenhass und Einwanderung auseinandersetzen.
Polizeikorruption, mit Ermittlungen im postsowjetischen Lettland, steht im Mittelpunkt von »Hunde von Riga« (1992). Digitalisierung und Internetkriminalität bringen mit »Die Brandmauer« (1998) ein internationales Thema in die südschwedische Kleinstadt. Religiöser Fanatismus ist das Thema in »Vor dem Frost« (2002), in dem erstmals die Tochter Linda an der Seite Kurt Wallanders an Ermittlungen beteiligt wird.
Verbrechen an der Arbeiterklasse
Jo Nesbö, der ebenfalls erfolgreiche norwegische Autor, meint, dass Mankell international ein »Türöffner für den skandinavischen Krimi« gewesen sei. Es trifft sicherlich zu: Die Wallander-Romane öffneten einem breiten Publikum den Blick auf ein Skandinavien, in dem es »Verbrechen« gab. Sie zerstörten den Mythos von der heilen Welt des Sozialstaats im Kapitalismus.
Die Leserinnen und Leser erkannten in der »kleinen Welt« Ystads ihre eigene, mit ihren Widersprüchen. Für Mankell waren, wie Petra Pluwatsch in der Berliner Zeitung schreibt, »die Kriminalromane vor allem ein Vehikel, Kritik an der schwedischen Gesellschaft und den Auswüchsen des kapitalistischen Systems zu üben«.
Mit seinem Kommissar Wallander ging Mankell einen ähnlichen Weg wie zuvor das schwedische Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö mit ihrem zehnbändigen »Roman über ein Verbrechen«, der zwischen 1965 und 1975 erschien. Während auch hier am Anfang die Figur des Ermittlers Martin Beck im Mittelpunkt steht, folgt der Roman einer Grundidee, »einen Längsschnitt durch eine Gesellschaft mit einer bestimmten Struktur darzustellen und Kriminalität als eine soziale Funktion und ihr Verhältnis zur Gesellschaft wie zu den verschiedenen, diese Gesellschaft umgebenden moralischen Lebensformen zu analysieren« (Per Wahlöö, 1966).
Der »Roman über ein Verbrechen« beschreibt die kapitalistische Gesellschaftsform als Verbrechen des schwedischen Staates an der Arbeiterklasse. Mankells Wallander-Romane setzen als neuen Akzent die kapitalistische Globalisierung in den 1990er und zur Jahrtausendwende hinzu.
Mehr als Wallander
Es wäre aber verfehlt, Henning Mankells Werk auf »Wallander« zu verkürzen. Auch sei er nicht »Wallander«, sie teilten nur dasselbe Alter und die Liebe zu denselben Opern, wie er einmal seinen Fans sagte. Seit 1973 veröffentlichte Mankell rund 40 Bücher, von denen leider nicht alle in deutscher Übersetzung vorliegen.
In »Rückkehr des Tanzlehrers« (2000) ermittelt zum Beispiel ein Kriminalpolizist in einem Mordfall und gerät in einen organisierten Sumpf alter und neuer schwedischer Nazis. »Der Chinese« (2008) ist ein Politthriller über Ausbeutung, Verletzungen und Rache. Die Spurensuche der Hauptfigur, einer schwedischen Rechtsanwältin, deckt globale Verknüpfungen bis ins heutige China auf.
Mankell in Afrika
Afrika nahm einen besonderen Platz im Leben Henning Mankells ein. Anfang der 1970er Jahre kam er erstmals nach Afrika, seit 1985 beteiligte er sich am Aufbau des Teatro Avenida in Maputo. Erfahrungen aus seiner Wahlheimat, in der er im Wechsel mit Schweden jeweils ein halbes Jahr lebte und arbeitete, inspirierten ihn zu seinen Afrika-Romanen: »Beide Orte sind mein Zuhause«.
»Chronist der Winde« (1995) handelt von einem Bäcker aus Maputo. Er berichtet, was ihm vom zehnjährigen Straßenjungen Nelio erzählt wurde, der mit einer Schusswunde auf dem Dach eines Hauses liegt und weiß, dass er sterben wird, wenn seine Geschichte zu Ende erzählt ist. Also erzählt Nelio vom Leben der schwarzen Kinder, ihrem Überlebenskampf und vom Paradies, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist und das man dennoch finden kann.
In »Die rote Antilope« (2000) wird die Geschichte eines schwarzen Kindes erzählt, das im 19. Jahrhundert von einem wohlmeinenden Weißen nach Schweden gebracht wurde und sich dort nach seiner afrikanischen Heimat zu Tode sehnte. »Kennedys Hirn« (2005), als Thriller geschrieben, erzählt von vermeintlicher Wohltätigkeit gegenüber AIDS-Kranken in Südafrika und Mosambik, hinter der sich Geldgier, Macht und Korruption verbirgt.
Letzte Reflektionen
Seit Januar 2014 wusste Henning Mankell, dass er an Lungenkrebs erkrankt war, wahrscheinlich unheilbar. Seine Reflektionen hat er im Buch »Treibsand«, das gerade erschienen ist, festgehalten. Der Untertitel stellt allen seinen Leserinnen und Lesern die Aufgabe, die Frage zu beantworten »Was es heißt, ein Mensch zu sein«.
Mehr Infos:
Die deutschsprachigen Ausgaben der Bücher von Henning Mankell erscheinen im Paul Zsolnay Verlag Wien, der zur Hanser-Literaturverlagsgruppe gehört.
Taschenbuchausgaben sind erschienen beim Deutschen Taschenbuch Verlag München (dtv).
Zum Autor:
Klaus-Dieter Heiser ist Mitglied im Bezirksvorstand der LINKEN Neukölln und Unterstützer von marx21.
Schlagwörter: Bücher, Kultur