Die US-Punkrocker Anti-Flag haben ihr zehntes Studioalbum veröffentlicht. Sie zeigen sich darauf weiterhin durchweg politisch. Von David Jeikowski
»Als ich meiner Großmutter auf dem Feld half, konnte ich die Drohne sehen und hörte sie über unsere Köpfe schwirren, aber ich machte mir keine Sorgen. Warum sollte ich? Weder meine Großmutter noch ich waren Kämpfer. Als die Drohne dann das erste mal schoss, bebte die ganze Erde und schwarzer Rauch stieg auf. Wir rannten, aber nach einigen Minuten schoss die Drohne erneut. Inzwischen mag ich bewölkte Tage lieber. Wenn der Himmel aufklart und blau wird, kommen die Drohnen zurück und mit ihnen die Angst.«
Aussagen wie die des 13-jährigen Pakistani Zubair Rehman, der an jenem Tag seine Großmutter verlor, führen vor Augen, wie bereitwillig der Westen in seinem globalen »Krieg gegen den Terror« zivile Opfer in Kauf nimmt. Und wenn man jenen Bericht im Booklet des neuen Anti-Flag-Albums »American Spring« liest, bekommt die Singleauskopplung »Sky Is Falling« eine ganz neue, grausige Bedeutung. Nicht Zukunftspessimismus oder die gallische Angst, einem könne der Himmel auf den Kopf fallen, sind hier gemeint, sondern die für viele Menschen in Pakistan, Afghanistan, Somalia und Jemen ebenso allgegenwärtige Angst vor Angriffen durch »unmanned aircraft systems«, sogenannte Kampfdrohnen.
Die seit über zwanzig Jahren bestehende Punkband Anti-Flag aus Pittsburgh hat mit ihrem zehnten Studioalbum quasi gleich zwei, sich ideal ergänzende Werke geschaffen. Neben der Musik begeistert das erwähnte Beiheft zum Album: eine Collage aus Hintergrundinformationen, Buchtipps, Songtexten, Zeitungsartikeln und Polemiken. Das Cover ziert auf der Vorderseite eine mit dunklem Hidschab verschleierte Frau, die Rückseite ein US-Soldat in Kampfmontur. Bei beiden verbirgt sich das Gesicht hinter einer rosafarbenen Blume, die zerspringt und sich quer über das Bild verteilt. So wie ein Arabischer Frühling lange unmöglich schien und dann doch gelang, ist auch ein amerikanischer machbar, scheinen uns Cover und Albumtitel zu sagen.
Kurze Riffs und ein voranpreschendes Schlagzeug
Musikalischer Aufmacher ist dann »Fabled World«, ein insgesamt sehr eingängiger Pop-Punk-Song nach bekanntem Anti-Flag-Rezept. Kurze Riffs und ein voranpreschendes Schlagzeug reißen einen in Sekundenschnelle mit, lange Mitgröhl-Passagen im Refrain bleiben im Ohr – bei Zeilen wie »Wir leben in einer sagenhaften Welt / in der die Armen und Schwachen / nur Schachfiguren der Profite willen sind« aus agitatorischen Gründen gar nicht so unclever.
Im nächsten Song wird dann noch weniger lange gefackelt: »Du hattest nie eine Chance, du warst bereits tot, als du kamst / (…) und sie kommen, um uns zu holen und all die, denen wir vertrauen«. Dabei drischt ein Schlagzeug auf etwas unvorbereitete Trommelfelle. Nicht nur metaphorisch zwischen den Zeilen krächzt ein Stimme sowohl Analyse als auch Ausweg aus der Misere: »Class war to the n’th degree« – grenzenloser Klassenkampf.
Die nötige Verschnaufpause folgt dann im gleichnamigen Track unter dem »Brandenburg Gate«, hier Sinnbild für globale wie persönliche Wiedervereinigung. Tatkräftige Unterstützung bekommt Anti-Flag in diesem, nach heiterer Vorfreude klingendem Lied von Punk-Legende Tim Armstrong von der Band Rancid.
Spannend ist auch »The Debate Is Over (If You Want It)«, ein Song, der maßgeblich von Naomi Kleins Buch »Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima« inspiriert ist. Ähnlich musikalisch euphorisiert wie unter der Berliner Quadriga beschreibt Sänger Justin Sane das sich ihm bietende Naturspektakel: »Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich frei / durch die sauber gerodeten Wälder das vergiftete Meer zu sehen / zu sehen, wie das Wasser die Ufer von Jersey übertritt«. Er konterkariert damit den Begriff der Freiheit, wie er von neoliberalen Denkfabriken und sogenannten Klimaskeptikern gerne genutzt wird und doch nur eine wirtschaftliche Freiheit meint und so die Klimaerwärmung immer weiter voran treibt. Auch dem »grünen Kapitalismus« wird eine Absage erteilt: »Kauf einfach eine andere Lampe / oder fahr ein anderes Auto / aber verändere nichts am Aufbau dieser Wirtschaft.«
Ein weiterer Anspieltipp ist das aufrührerische »Break something«, in dem den in den Strophen beschrieben Machenschaften des Finanzkapitals im Refrain regelmäßig ein herrlich destruktives »I’m gonna break something today« (heute mache ich was kaputt) entgegen geschrien wird. Warum auch immer so kompliziert?
Anti-Flag haben mit »American Spring« ein weiteres solides Pop-Punk-Album geschaffen, das sich durchweg gut hören und teilweise besonders gut mitsingen lässt. Auch der Eindruck, dass viele der Lieder sich im ersten Moment recht ähnlich anhören, erlischt sofort, setzt man sich mit ihnen mithilfe des kreativen Booklets auseinander.
Das Album: Anti-Flag: American Spring (Spinefarm Records 2015)
Foto: Jamie Gilbert
Schlagwörter: Kultur, Musik, Punk