Wir stellen empfehlenswerte Bücher über die Russische Revolution und die Geschichte des Stalinismus vor.
Bei Erscheinen dieses marx21-Heftes jährt sich die Oktoberrevolution von 1917 zum neunzigsten Mal. Der konservative Historiker Richard Pipes hat sie als „vermutlich das bedeutendste Ereignis« des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Und tatsächlich hat kaum eine Begebenheit so viel Einfluss auf die weitere Geschichte genommen wie die Ereignisse in Russland. Die Revolution war der Ausgangspunkt für die Jahrzehnte lang andauernde Spaltung der Welt in zwei Blöcke. Aber sie hat nicht nur den Globus polarisiert, sondern auch die Linke. Kaum ein anderes Thema hat in der Vergangenheit zu so leidenschaftlichen Diskussionen geführt.
Dementsprechend sind in vergangenen 90 Jahren unzählbar viele Bücher in allen nur denkbaren Sprachen über die Revolution erschienen. Sie variieren in Umfang, Preis und – vor allem – in Qualität. Auch die Standpunkte der einzelnen Autoren sind selbstverständlich sehr unterschiedlich.
Einen Überblick über die gesamte zur Oktoberrevolution erschiene Literatur zu geben, ist wahrscheinlich unmöglich. Daher sollen hier vielmehr jene Bücher vorgestellt werden, die einen Beitrag dazu leisten können, die Ereignisse des Jahres 1917 zu verstehen und Lehren für heute daraus abzuleiten. Nicht selten wird die Oktoberrevolution mit dem Grauen des Stalinismus in Verbindung gebracht. Daher möchten wir zusätzlich einige Werke empfehlen, die erklären, wie es zu dieser Diktatur kommen konnte und welche Auswirkungen das stalinistische Regime auf den weiteren Verlauf der Weltgeschichte hatte.
Wer sich mit der Geschichte der Russischen Revolution beschäftigt, stößt unweigerlich auf viele Fragen: War es überhaupt eine Revolution oder nicht doch ein Putsch einer kleinen Minderheit? War nicht von Anfang an klar, dass es in einer Einparteiendiktatur enden müsste? Warum gab es den „Roten Terror« im Bürgerkrieg? Ernest Mandel hat bereits zum 75. Jahrestag das Buch Oktober 1917 – Staatsstreich oder soziale Revolution? (ISP-Verlag 1992) veröffentlicht. Hier versucht er, diese und andere Fragen zu beantworten. Fünf Jahre später ist Oktober 1917 – Zur Verteidigung der Russischen Revolution des britischen Marxisten John Rees (Edition Aurora 1997) in deutscher Sprache erschienen. Auch Rees geht kritisch den aufgeworfenen Fragen nach. Zudem schaut er, welche Relevanz die Ereignisse von 1917 für Linke heute haben.
Wer sich ein Bild des gesellschaftlichen Aufbruchs, den Russland im Jahr der Revolution erfasste, machen möchte, kommt nicht an John Reeds Klassiker Zehn Tage, die die Welt erschütterten (Rowohlt 1967) vorbei. Der US-amerikanische Journalist hielt sich von August 1917 bis April 1918 in Russland auf und schildert als unmittelbarer Zeitzeuge die Ereignisse jener Zeit. Seine Geschichte wurde 1981 von Warren Beatty in dem Oscarprämierten Werk Reds verfilmt.
Nicht nur Zeitzeuge, sondern auch direkt Beteiligter an der Revolution war Leo Trotzki. In seiner 1930 verfassten zweibändigen Geschichte der Russischen Revolution (Fischer 1960) spannt er den Bogen vom Sturz des Zaren im Februar bis zur Sieg der Bolschewiki im Oktober 1917. Dieses Buch ist vor allem lesenswert aufgrund seiner analytischen Schärfe – aber auch wegen seines literarischen Stils.
Der von Reed und Trotzki beschriebene Aufbruch in der russischen Gesellschaft spiegelte sich auch sehr deutlich in der Kunst wider. 2001 fand im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung Mit voller Kraft. Russische Avantgarde 1910-1934 statt, die dem Besucher die Entwicklung der russischen Künstler vom Zarenreich über die Revolution bis zum Stalinismus vor Augen führte. Für jeden, der die Ausstellung nicht sehen konnte, lohnt sich ein Blick in den gleichnamigen Katalog.
Die Jahre nach der Revolution waren geprägt von Bürgerkrieg, der Intervention ausländischer Truppen und der Hoffnung der russischen Kommunisten, dass sich die Revolution auf andere europäische Länder ausbreiten würde. Gleichzeitig fanden strategische Diskussionen darüber statt, wie es mit dem jungen Sowjetrussland weitergehen solle. Einen Einblick in diese Diskussionen liefern die Erinnerungen eines Revolutionärs 1901-1941 (Nautilus 1991) des anarchistisch beeinflussten Marxisten Victor Serge, der 1919 nach Russland kam und sich dort der Kommunistischen Partei anschloss.
Letztendlich blieb Russland isoliert, die Revolution breitete sich nicht aus und degenerierte. Stalin setzte sich in den innerparteilichen Auseinandersetzungen durch und begann ab Ende der 1920er Jahre eine brutale Diktatur aufzubauen, der Millionen Menschen zum Opfer fielen – darunter auch nahezu die gesamte „alte Garde« der an der Revolution beteiligten Kommunisten. Der in der Tschechoslowakei geborene Historiker Michal Reiman beschreibt in seiner Studie Die Geburt des Stalinismus. Die UdSSR am Vorabend der „zweiten Revolution« (Europäische Verlagsanstalt 1979) diese Entwicklung.
Der Aufstieg Stalins fand nicht widerspruchslos statt. Unter der Leitfrage Gab es eine Alternative zum Stalinismus? (Arbeiterpresse Verlag 1997-2006) geht der russische Historiker Wadim S. Rogowin in sechs Bänden die Geschichte der Opposition in der Sowjetunion zwischen 1923 und 1940 nach. Verschieden Texte und Erklärungen der Opposition sind in dem von Wolfgang Alles herausgegebenen Band Die Kommunistische Alternative (ISP-Verlag 1989) zusammengestellt.
Einzelne kommunistische Kritiker des Stalinismus wie Leo Trotzki, August Thalheimer oder Andreu Nin werden in dem von Theodor Bergmann und Mario Keßler herausgegebenen Band Ketzer im Kommunismus. Alternativen zum Stalinismus (VSA-Verlag 2000) vorgestellt.
Der Sieg des Stalinismus hatte Auswirkungen auf alle anderen kommunistischen Parteien weltweit. Vermittelt durch die 1919 gegründete Kommunistische Internationale (Komintern) wurden sie „stalinisiert« – d.h. in bürokratische, undemokratische Organisationen umgewandelt, deren Politik vollkommen auf die außenpolitischen Interessen der Sowjetunion ausgerichtet war. Duncan Hallas zeichnet in Die Rote Flut. Aufstieg und Niedergang der Kommunistischen Internationale (VGZA) diese Entwicklung nach.
Ergänzend empfiehlt sich die Lektüre des von Hermann Weber herausgegeben Bands Die Kommunistische Internationale. Eine Dokumentation (Verlag J.H.W. Dietz Nachf. 1966). Dieser enthält die wichtigsten Dokumente der Komintern.
Lange Zeit beschäftigte die Einschätzung der Sowjetunion die Diskussion in der Linken. Kürzlich hat der niederländische Historiker Marcel van der Linden unter dem Titel Was war die Sowjetunion? Kritische Texte zum real existierenden Sozialismus (Promedia Verlag 2007) ein Buch herausgegeben, das Texte verschiedener marxistisch inspirierter Theoretiker enthält, die alle eine scharfe Kritik an der Entwicklung der Sowjetunion formuliert hatten. Neben den schon genannten Leo Trotzki und Ernest Mandel finden sich hier Auszüge aus Tony Cliffs Werk Staatskapitalismus in Russland. Eine marxistische Analyse (SAG 1975) und Beiträge von Antonio Carlo, Hillel Ticktin und Chris Arthur.
Abschließend sei auf eine kurze und preiswerte Broschüre von Mike Haynes und Jan Maas verwiesen, die unter dem Titel Russland – von der Oktoberrevolution bis zum Fall des Stalinismus (Edition Aurora 2003) einen sehr guten einführenden Überblick über die hier angesprochenen Fragen liefert.
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(alle Artikel erschienen in: marx21, Heft 2, September 2007)