Die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022 ist vom Tisch. Die Kampagne NOlympia konnte am Ende in allen vier Bürgerentscheiden die Mehrheit gewinnen. Die Bayern entschieden sich damit gegen die Kommerzialisierung der bayerischen Alpen und gegen eine politische und wirtschaftliche Klasse, die es mit ihrer Arroganz mal wieder übertrieben hatte.
In einem Bürgerentscheid in München (52,1%) sowie den Landkreisen Markt Garmisch-Partenkirchen (51,6%), Traunstein (59,7%) und Berchtesgadener Land (54,0%) stimmen die Bürger Münchens gegen eine gemeinsame Bewerbung.
Vor gut zwei Jahren verlor die Bewerbung Münchens für die Winterolympiade 2018 bei der entscheidenden Abstimmung im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) mit nur 25 von 95 möglichen Stimmen gegen Pyeongchang in Südkorea. Für das Organisationskommitee (OK) und die Befürworter der Bewerbung war sogleich der Schuldige gefunden: »Einige wenige Spaßbremsen« der NOlympia-Kampagne hatten nicht nur dafür gesorgt, dass in Garmisch-Partenkirchen zwei Monate vor der IOC-Entscheidung ein Bürgerentscheid gegen den erklärten Willen des Garmischer Bürgermeisters zugelassen wurde.
Die Wähler in Garmisch-Partenkirchen stimmten damals knapp für die Austragung. Die Nörgler vom Bündnis NOlympia versuchten überdies noch kurz vor der Abstimmung mit Musterbriefen und Postkartenaktionen an IOC-Mitglieder München vom Favoritenthron zu stoßen.
Wahlbenachrichtigung inklusive Wahlempfehlung
Die Lehre des Organisationskommitees um den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) aus der Niederlage 2018 war die Idee, über ein sogenanntes Ratsbegehren bereits im Vorfeld der Bewerbung einen möglichst erdrutschartigen Mehrheitsentscheid pro Olympia herbeizuführen, um dem IOC die breite Unterstützung der Bevölkerung zu beweisen. Unter diesem Vorzeichen lief auch die Kampagne für eine erneute Bewerbung: Zuerst wurde die umstrittene Ausrichtung von Langlauf- und Biathlonwettbewerben in Garmisch gestrichen und mit Ruhpolding ein bestehender Langlauf- und Biathlon-Weltcupstandort in die Planungen aufgenommen.
Der offiziellen postalischen Wahlbenachrichtigung lag neben der zweiseitigen Begründung des Stadtratsbeschlusses jeweils ein ausführliches Faltblatt mit ausschließlich Pro-Argumenten bei. »Die Bewerbung um die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2022 bietet die Chance, eine neue Qualität von Sportgroßveranstaltungen zu definieren und gemeinsam mit Bürgern und Verbänden ein einzigartiges Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept zu erarbeiten.« Die Verantwortlichen knüpften allerlei Zusagen an eine erfolgreiche Bewerbung: Ausbau von Infrastruktur, Bau von Mietwohnungen, Aufwertung der Region als Touristenzentren und die Unterstützung der heimischen Wirtschaft.
Die Überheblichkeit der Funktionäre
Neben den privaten Hauptsponsoren der Kampagne BMW-Welt, Audi, Infineon, den Münchner Brauereien, Sky, SAP, Bayerische Hausbau, Hotel- und Gaststättenverband, etc. unterstützten auch der Flughafen München und die S-Bahn München sogar mit Fahrgastansagen eine Bewerbung. Auch die allseits bekannten Gesichter aus dem deutschen Sportmarketing rührten fleißig die Werbetrommel. Die ehemaligen Skiläufer Rosi Mittermeier und Christian Neureuther durften bei ihrer Eigenwerbung um neue »Fernsehexpertenverträge« ebenso wenig fehlen wie Skirennfahrerin Maria Höfl-Riesch, die Eishockeymannschaft vom EHC München, der FC Bayern München und natürlich unser Kaiser Franz Beckenbauer, der selbst keine Geldverschwendung zu befürchten hat, da er seinen Hauptwohnsitz bereits 1982 nach Österreich verlagerte und seine Einkünfte dort zu versteuern pflegt.
Alle Parteien außer der LINKEN und der Mehrheit der Grünen unterstützten die Bewerbung. Ausgerechnet die Landesvorsitzende der Grünen Theresa Schopper machte in der Woche vor Olympia noch gegen die Parteibeschlusslage einen medienwirksamen Werbetermin pro Bewerbung. Die Einmütigkeit von Funktionären, Politikern, Medien und Wirtschaft in der Pro-Fraktion und deren Millionenetat machte sie überheblich. Die Frage war für die Kampagne nicht ob, sondern wie hoch das Ergebnis pro Olympiabewerbung ausfallen würde. Münchens OB Ude kündigte ein »klares 4:0 für Olympia« an und sagte, es werde keine Bewerbung geben, wenn nur einer der vier Bürgerentscheide verloren geht.
Gutachten stellt Befürworter bloß
Mit einem Etat von 35.000€ startete dagegen das Bündnis NOlympia, zu dem vor allem der BUND, Umweltstiftungen, Attac, LINKE, Grüne, Naturfreunde, Vogelschutzbund und die Gesellschaft für ökologische Forschung aufgerufen hatten. Ihr Hauptmedium war dabei interessanterweise die im Gegensatz zur Kampagnenseite o-ja-2022.de sehr sperrig daherkommende Internetseite nolympia.de, auf der schon seit der Bewerbung für Olympia 2018 eine Vielzahl wissenschaftlicher und journalistischer Expertise präsentiert und damit den Befürwortern der Wind aus den Segeln genommen wird.
Insbesondere ein Rechtsgutachten im Auftrag der Gesellschaft für ökologische Forschung zum »Host City Vertrag« des IOC für die Bewerbung 2018 stellte die Olympiabefürworter bloß. Das Gutachten stellte fest:
- «Nach deutschem Recht wird man den Vertrag als sittenwidrig nach § 138 BGB ansehen müssen (völlig einseitige Risiko- und Lastenverteilung, Ausnutzung einer Monopolstellung)”,
- «Die Stadt würde deshalb mit Abschluss des Vertrages außerhalb ihrer verfassungsrechtlich garantierten bzw. gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen handeln”,
- «Der HCV ist ein Knebelvertrag. Das IOC nutzt beim Abschluss des HCV seine unkontrollierte Monopolstellung für teilweise rechtlich groteske, den Vertragspartner einseitig belastende Regelungen, die jedem Anstands- und Gerechtigkeitsgefühl widersprechen”,
- «Eigene Verpflichtungen des IOC stehen in seinem Ermessen. Der Vertrag lastet nahezu alle Risiken der Stadt an und gibt fast alle Rechte an das IOC”,
- «Dem Ziel einer erfolgreichen Olympia-Bewerbung würde das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als zentraler Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips geopfert”.
Einige Inhalte des Vertrages wurden bekannt:
- 2000 Limousinen für die »olympische Familie« – Wertverlust 20 Mio.€ in 2 Wochen
- Jegliche Form von Nahrungsmittelverkauf, Merchandising, Werbeflächen und sogar Bierausschank im Umfeld der Wettkampf- und Medienzentren sind ausschließlich den offiziellen Sponsoren vorbehalten.
- Alle Einkünfte aus Eintrittsgeldern, Senderechten und Vermarktung der olympischen Spiele verbleiben beim IOC. Das IOC ist dabei von jeglicher Besteuerung freigestellt.
- In keiner Austragungsstätte und keinem dorthin führenden Verkehrsweg darf andere Werbung als die offizielle Werbung der IOC-Partner angebracht sein. Stadien- oder Straßennamen müssen während der Spiele durch die Ausrichter geändert und abgelöst werden.
- Die Ausrichtergemeinde garantiert hundertprozentige Schneesicherheit. Für die bayerischen Alpen bedeutet dies, dass künstlich gekühlte Wasserreservoirs gebaut werden müssen um auch bei wenig winterlichen Temperaturen die künstliche Beschneiung garantieren zu können.
- Die nationale Gerichtsbarkeit hat für den Host-City-Vertrag keine Gültigkeit. Über die Vertragserfüllung wacht allein der internationale Sportsgerichtshof in Lausanne, dem Sitz des IOC. Der Ausrichter verzichtet auf jegliche Einspruchsmöglichkeiten gegen den Host-City-Vertrag.
»Lassen wir uns dieses IOC noch gefallen?«
Die Offenlegung der Geschäftspraxis von IOC, Leistungssport und Politik machte vor allem eines sehr deutlich: Es geht dem IOC nicht um eine olympische Idee, sondern um ein weltweit vermarktetes Entertainment- und Werbeevent. Leistungssport ist Werbung und Olympia stellt die Ausrichtergemeinden unter das Diktat des IOC: »Wer die Spiele will, muss ein paar Kröten schlucken«, so die Süddeutsche Zeitung, die sich selbst wie nahezu alle Medien eher für eine Bewerbung aussprach. Die Abstimmung um ein »Olympia dahoam« wurde so zunehmend zu einer Abstimmung um die Frage »Lassen wir uns dieses IOC noch gefallen?«
Die Kampagne NOlympia nahm in den letzten zwei Monaten enorm an Fahrt auf. Neben guter Kooperation zwischen den Organisatorinnen und Organisatoren des Bündnisses waren es vor allem viele Ehrenamtliche, die die Befürworter an Infoständen, in Leserbriefen und im persönlichen Umfeld mit starken Argumenten in die Defensive drängten. Mit Argumenten, mit persönlichem Engagement und mit Gesichtern, die aus ihrer Überzeugung und nicht als Werbeträger sprachen, konnte die Kampagne NOlympia am Ende in allen vier Bürgerentscheiden die Mehrheit gewinnen.
Selbstbereicherung der deutschen Sportmarketingbranche
Am letzten Tag vor der Abstimmung hatte der Deutsche Alpenverein (DAV), seinerseits größte Mitgliedsorganisation im DOSB zu seiner Hauptversammlung geladen. Noch zu Beginn der Konferenz warb DOSB-Präsident Michael Vesper gemeinsam mit dem DAV-Präsidenten Josef Klenner für die Spiele in München, am Nachmittag entschieden die 600 Delegierten mit überraschend großer Mehrheit von 70 Prozent, dass der DAV eine Bewerbung für München 2022 aus ökologischen Gesichtspunkten ablehnt.
Der Stab von Marketingexperten, der die Pro-Kampagne mit einem Millionenetat möglichst massentauglich, effekthascherisch, parolenhaft und mit von der Werbebranche bezahlten Sport-Promis inszeniert hatte, wurde bloßgestellt als eine Kampagne zur Selbstbereicherung für die Spitzen der deutschen Sportmarketingbranche auf Kosten der öffentlichen Kassen und der Natur. Am Ende stimmte die Mehrheit gegen die Großkopferten von IOC und Politik, gegen die Kommerzialisierung der bayerischen Alpen zugunsten internationaler Großkonzerne und gegen eine politische und wirtschaftliche Klasse, die es mal wieder übertrieben hatte mit ihrer Arroganz.
Ob der positive Ausgang des Bürgerentscheids gegen eine Bewerbung zu Olympia 2022 aber dazu führen wird, dass die weltweit größten Eventkonzerne IOC und FIFA ihre Geschäftspraktiken ändern werden, wird allerdings woanders entschieden. Mit den olympischen Winterspielen in Sotschi und der Fußball-WM in Brasilien stehen im Jahr 2014 zwei umstrittene Megaevents vor der Tür. Im russischen Sotschi bleibt der geschundenen Natur wohl keine Chance, um ihrer Zerstörung selbst etwas entgegenzusetzen. In Brasilien ließ dagegen schon der Confed-Cup im Sommer 2013 hoffen, dass die Menschen der Zerstörung von Sozialstaatlichkeit, dem Missbrauch ihrer beliebtesten Sportart und dem Ausverkauf der Kommunen ihren solidarischen Widerstand entgegensetzen.
Von Max Steininger