Mit einer neuen Welle Warnstreiks im öffentlichen Dienst macht ver.di vor der nächsten Tarifverhandlungsrunde Druck. Ein Bericht aus Berlin
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Auf den roten Streik-T-Shirts steht, was man wissen muss, um diesen Arbeitskampf zu verstehen: »Alles wird teurer«. Dann folgt ein Beispiel, auf jedem T-Shirt ein anderes: »+25,8% Milch« steht auf einem, »+10,3% Benzin« auf einem anderen.
Rund 50.000 Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes aus 10 Bundesländern sind heute in den Warnstreik getreten. Aufgerufen waren die Beschäftigten von Bund und Kommunen im Norden und Osten Deutschlands. Morgen und übermorgen wird im Norden und Süden gestreikt sowie bei den Flughäfen.
In Berlin haben 7500 Kolleginnen und Kollegen der Wasserbetriebe (BWB) und der Stadtreinigung (BSR) seit Betriebsbeginn gestreikt. Rund 2000 haben an der zentralen Streikveranstaltung vor der BWB-Unternehmenszentrale teilgenommen. Lutz Neetzel steigt gut gelaunt die Stufen der Kundgebungsbühne hinauf und lächelt. Als er die Streikenden begrüßt, donnert ihm Applaus entgegen. Kämpferisch ist er und so redet er auch. Lapidar, lautstark bringt der Personalrat des Bereiches Abwasser zum Ausdruck, was die meisten denken: dass es nicht mehr so weiter gehen kann, dass man sich wehren muss. Über 1000 Arbeitsplätze seien in den letzten Jahren bei den Wasserbetrieben abgebaut worden, sagt er. Für die verbleibenden Beschäftigten sei die Arbeit dadurch härter und stressiger geworden. „Neueinstellungen, das ist ein Schimpfwort bei den Berliner Wasserbetrieben«, so Neetzel weiter.
»Mehr Ausbildungsplätze«
Er beschwert sich über den Bundesinnenminister Schäuble, der härtere Strafen für kriminelle Jugendliche fordert. Stattdessen, so Neetzel, sollte Schäuble, der für den Bund als Arbeitgeber die Tarifverhandlungen führt, lieber darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoller wäre, den Jugendlichen eine Perspektive zu bieten. Da müsse der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel voran gehen, Ausbildungsplätze schaffen und die Auszubildenden auch übernehmen.
Neben der ver.di-Forderung von 8 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro monatlich, steht die Verbesserung der Lage der Azubis im Zentrum. ver.di fordert die unbefristete Übernahme aller Auszubildenden, 120 Euro mehr Ausbildungsvergütung und die Angleichung der Ausbildungsentgelte im Osten an das West-Niveau. Das findet den Beifall der Jugendlichen, die sich mit Transparenten an der Streikkundgebung vor der BWB-Zentrale beteiligen.
Und dann macht Lutz Neetzel, der auch Mitglied der Tarifkommission für die Versorgungsbetriebe ist, klar, warum er lächelt und worüber er sich freut: Seit 1992 haben die Beschäftigten der BWB keinen ganztägigen Warnstreik mehr durchgeführt. Heute aber hat es geklappt, Seite an Seite mit den Kolleginnen und Kollegen der BSR. Letztere haben übrigens auch die Müllverbrennungsanlagen dichtgemacht – damit der private Abfallentsorger Alba AG keinen Müll abliefern und den Streik unterlaufen kann.
Arbeitgeber wollen längere Arbeitszeit
Bisher haben die Arbeitgeber auf stur gestellt und kein verhandelbares Angebot vorgelegt. Angeblich bieten sie 5 Prozent mehr Lohn an. In Wirklichkeit sollen die 1,3 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen auf das Jahr 2008 gerechnet eine Einkommenserhöhung von 2,5 Prozent erhalten, für 2009 sogar nur 0,41 Prozent. Das gleicht nicht mal die Preissteigerungsrate aus, hat ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske betont.
Dazu wollen die Arbeitgeber die Arbeitszeit auf 40 Stunden in der Woche erhöhen. Auch das lehnt ver.di ab: »Wir haben 3,4 Millionen Arbeitslose. Jede Minute zusätzliche Arbeitszeit führt zu weiteren Stellenstreichungen«, sagte Bsirske der „Bild am Sonntag«.
Unbefristete Streiks?
Falls die Arbeitgeber bei der nächsten Verhandlungsrunde ab Donnerstag kein besseres Angebot vorlegen, droht ver.di mit unbefristeten Streiks.
Das findet bei den Kolleginnen und Kollegen viel Beifall, denn der Unmut ist groß. Im öffentlichen Dienst sind die Einkommen in den letzten Jahren deutlich unter denen in der Privatwirtschaft geblieben. Vielerorts soll weiterhin Personal abgebaut werden. Nach Reallohnverlusten in den vergangenen Jahren, angesichts guter Konjunktur und steigender Steuereinnahmen sei nun Zeit für deutlich höhere Einkommen im öffentlichen Dienst, sagt ver.di.
Vor allem die Beschäftigten in den unteren Entgeltgruppen brauchen laut ver.di mehr Geld zum Leben. »Um über die Runden zu kommen, müssen viele von ihnen inzwischen zusätzliche Arbeitsstellen annehmen, private Insolvenzen anmelden oder Sozialhilfe beantragen«, begründet ver.di die Forderung nach einem Mindestbetrag von 200 Euro mehr Lohn im Monat.
(Text und Fotos: Frank Eßers)
Mehr im Internet:
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- Resolution zum Tarifkonflikt der AG Betrieb und Gewerkschaft in der LINKEN