Wegen der Schuldenbremse drohen vielen Hochschulen massive Kürzungen. In Sachsen-Anhalt legte die Landesregierung bereits letztes Jahr ihre Sparpläne auf den Tisch. Doch ein breites Bündnis aus Studierenden und Beschäftigten nahm den Kampf auf – und hatte Erfolg. Wir sprachen mit einer der Organisatorinnen der Proteste
marx21: Anne, im vergangen Jahr haben Studierende gegen die Kürzungen an eurer Universität protestiert. In diesem Rahmen erlebte Halle die größte Demonstration seit der Wiedervereinigung. Woher kam die Bewegung so plötzlich?
Anne Geschonnek: Zumindest in Halle schwelte der Unmut schon länger. Erst hatte das Rektorat Kürzungen wegen eines angeblichen Defizits im Universitätshaushalt in Höhe von sechs Millionen Euro angekündigt. Dann wurden jedoch auch noch die Kürzungspläne des Ministeriums für Wissenschaft und Wirtschaft bekannt. Diese sahen eine Kürzung des Budgets der Hochschulen um 15 Prozent vor, was in realen Zahlen etwa 77 Millionen Euro gewesen wären. Hinzu sollten massive Einsparungen bei den Investitionen im Bereich Forschung und Technologie kommen, sowie die komplette Streichung der Landesgraduiertenförderung. Insgesamt sollten den Hochschulen also etwa 126 Millionen Euro weggenommen werden. Dabei ist die Universität in Halle, so wie eigentlich alle Hochschulen bundesweit, schon massiv unterfinanziert. Das hat bei vielen Mitgliedern der Hochschule das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen gebracht und es gab eine Art Aufbruchsstimmung gegen die Kürzungspläne.
Was habt ihr gemacht?
Wir hatten das Glück, dass zumindest in Halle schon ein Bündnis mit arbeitsfähiger Struktur bestand, bevor die Kürzungspläne der Regierung bekannt wurden. Für uns war klar, dass wir nicht alleine aus Halle gegen diese Pläne vorgehen können, sondern uns landesweit aufstellen müssen. Wir haben daher zu einer Vernetzungskonferenz nach Halle eingeladen, bei der alle hochschulpolitischen Akteure aus Sachsen-Anhalt an einen Tisch gebracht werden sollten. Mit Erfolg: Zur Konferenz kamen über einhundert Menschen und wir konnten das Hochschulbündnis Sachsen-Anhalt gründen, das den Protest im vergangenen Jahr auf Landesebene koordiniert hat.
Wie hat die Landesregierung auf die großen Proteste reagiert?
Zunächst fiel die Reaktion eher verhalten aus, wahrscheinlich hat sie uns zunächst gar nicht ernst genommen. Einem Dialog hat sie sich anfangs einfach mit dem Argument verweigert, dass wir als Bündnis keine legitimierte Struktur seien. Als dann die erste große Demonstration in Halle mit 7000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern stattfand, änderte sich das plötzlich. Wir wurden zu einem vertraulichen Gespräch mit dem Ministerpräsidenten eingeladen und auch der Wissenschaftsminister wollte mit uns reden. Dabei änderte sich jedoch die Argumentation nicht: Die Kürzungen seien notwendig, weil einfach kein Geld da sei. Zudem habe man als Landesregierung gar keinen Einfluss auf die Steuerpolitik oder die Schuldenbremse, man sei quasi nur Sachverwalter.
Doch irgendwann wurde der Landesregierung wohl bewusst, dass sie nicht am Willen eines Großteils der Bevölkerung vorbei regieren kann. Denn nun ergaben sich doch Spielräume in ihrer Handlungsfähigkeit. Von der anfangs genannten Kürzungssumme sind letztendlich 15 Millionen Euro übrig geblieben. Das ist immer noch sehr viel, aber deutlich weniger als die anfänglichen 126 Millionen Euro. Dass wir die Summe so weit drücken konnten, hatte auch damit zu tun, dass es in der Regierungskoalition aus SPD und CDU im Laufe der Haushaltsdiskussion zu kriseln begann. Gerade innerhalb der SPD-Fraktion kam es zu Unstimmigkeiten. Durch die positive mediale Begleitung unserer Proteste gerieten Sozialdemokratie und Union nahezu täglich in die öffentliche Kritik. Kurz sah es sogar so aus, als würde die Landesregierung am Thema Kürzungen zerbrechen. Die ursprünglichen Pläne waren also auch im Regierungsblock nicht mehr haltbar, wollte man einen Haushalt vorlegen, der im Parlament eine Mehrheit bekommt. Der Druck wurde einfach zu groß.
Das ist ja wirklich ein Erfolg. Hättet ihr euch das anfangs träumen lassen?
Anfangs hatte sicher niemand erwartet, dass die Proteste so eine Dynamik entwickeln und wir die Kürzungen tatsächlich größtenteils verhindern können. Wir haben uns ja nicht irgendeinen Gegner ausgesucht, sondern die Landesregierung herausgefordert. Doch vor allem das positive Feedback, das uns an der Universität, aber auch von außerhalb erreichte, hat uns bestärkt und auch gezeigt, dass eine Menge Leute hinter unseren Zielen stehen. Das konnte natürlich auch die Landesregierung nicht ignorieren.
Wie konnte das Bündnis so stark werden und eine solche Dynamik entwickeln?
Die Hauptstärke lag in der politischen Breite des Bündnisses. Zum einen waren es nicht nur studentische Hochschulgruppen, die sich engagiert haben. Wir haben es geschafft, ein starkes Band zwischen Studierenden und Beschäftigten der Universität zu knüpfen, weil die Gewerkschaften und damit auch der Personalrat der Hochschule in die Proteste eingebunden waren.
Zum anderen haben wir uns im Bündnis nicht allein für die Hochschulen engagiert. Auch andere Bereiche, wie die Kultur oder die Kinder- und Jugendarbeit waren von den Kürzungsplänen der Regierung betroffen. Besondere Wirkmacht entfaltete der Protest, nachdem sich auch andere Initiativen unserem Bündnis angeschlossen haben. Zu einem Laternenumzug im November riefen beispielsweise neben dem Hochschulbündnis die Initiative der Kulturschaffenden und der Stadteltern- und SchülerInnenrat auf. Im Vorfeld bastelten Studierende zusammen mit Eltern und Kindern Laternen für den Protestumzug. Zudem fand die Aktion zeitgleich an mehreren Hochschulstandorten statt. Der Protest war also zu jeder Zeit in der Bevölkerung verankert.
Hat die Landesregierung nicht versucht, die Bewegung zu spalten und die verschiedenen von Kürzungen betroffenen Bereiche gegeneinander auszuspielen?
Natürlich gab es diese Versuche. Nicht nur unter den verschiedenen Bereichen, sondern auch die einzelnen Hochschulen sollten gegeneinander ausgespielt werden. Es gab Versprechungen, den einen Hochschulstandort auf Kosten eines anderen zu erhalten. Und natürlich kam auch das Argument, dass unsere Forderungen nur erfüllt werden können, wenn dafür die Kulturfinanzierung geopfert wird.
Wie seid ihr damit umgegangen?
Wir haben von Anfang an betont, dass wir diese Taktik der Regierung kennen und nicht in diese Falle tappen werden. Denn selbst wenn die Hochschulen in dieser Kürzungsrunde auf Kosten der Theater und Museen geschont geworden wären, hätte es uns wohl bei den nächsten Haushaltsverhandlungen getroffen. Und dann wären die Kulturschaffenden vielleicht nicht mehr bereit gewesen, uns bei den Protesten zu unterstützen. Uns war also klar, dass wir nur in gemeinsamer Aktion eine Chance hatten, den Kürzungsmaßnahmen etwas entgegenzusetzen.
Welche Rolle hat der Studierendenverband Die Linke.SDS in den Protesten gespielt?
Als SDS haben wir uns vor allem dafür eingesetzt, eine gesamtgesellschaftliche Perspektive in die Bündnisarbeit einzubringen, uns also nicht auf das Aktionsfeld Hochschule zu beschränken. Zudem war uns wichtig, unsere Forderungen nicht allein ökonomistisch zu formulieren. Denn starke Hochschulen sind nicht allein ein Wirtschaftsfaktor für eine strukturschwache Region wie Sachsen-Anhalt. Sondern Bildung ist an sich ein erhaltenswertes Gut. Und natürlich war uns eine bewegungsorientierte Politik des Bündnisses wichtig. Dabei konnten wir die Erfahrungen nutzen, die wir als SDS schon in den letzten Bildungsstreikwellen gesammelt haben. Bündnisarbeit ist ja nicht immer einfach, gerade wenn man mit politisch so unterschiedlichen Akteuren wie in unserem Aktionsbündnis zusammenarbeitet. Dabei Kompromisse einzugehen, ohne dass man seine Positionen aufgibt, will gelernt sein. Zudem konnten wir Aktionsformen wie Teach-In’s oder Flashmobs einbringen, die im SDS zur alltäglichen Praxis gehören
Was ist von der Bewegung übrig geblieben und was ist nun eure Perspektive?
Die Bewegung existiert nach wie vor und es gibt im Moment genug zu tun. Denn die Kürzungen, die trotz allem durchgekommen sind, müssen ja nun an die Hochschulen weitergereicht werden. Wie sich das auf die Hochschullandschaft auswirkt, wird in sogenannten Hochschulstrukturplänen festgeschrieben. Die ersten Auswirkungen bekommen wir bereits zu spüren. Im März sollte an unserer Universität der Studiengang der Medien- und Kommunikationswissenschaften geschlossen werden, was wir durch verschiedene Aktionen im Vorfeld der entscheidenden Senatssitzung verhindern konnten. So haben wir eine Petition initiiert, die innerhalb kurzer Zeit über 4000 Unterschriften erhielt. Hinzu kamen Flashmobs auf dem zentralen Marktplatz, Vollversammlungen und die lautstarke Begleitung der Senatssitzung. Wir sind allerdings sicher, dass solche Angriffe seitens der Hochschulleitung in nächster Zeit häufiger vorkommen werden, weshalb wir weiter aktiv bleiben müssen.
Was ist die wichtigste Lehre, die du Aktivistinnen und Aktivisten in anderen Bundesländern, in denen Kürzungen anstehen, mitgeben würdest?
Das Wichtigste, was wir gelernt haben, ist: Es geht nicht ohne Solidarität. Das fängt in der Hochschule an, wenn sich die verschiedenen Statusgruppen füreinander einsetzen, also der Student für die wissenschaftliche Mitarbeiterin auf die Straße geht und umgekehrt. Es bedeutet, dass sich einzelne Fachbereiche und Institute nicht gegeneinander ausspielen lassen. Dazu kommt die Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, die füreinander einstehen. Nur so konnten wir solch einen breiten Widerstand gegen die Kürzungen aufbauen.
Ein Problem für den Widerstand gegen die mit der Schuldenbremse verbundenen Kürzungen ist ja, dass sie sehr ungleichzeitig stattfinden. In der Regel bleiben Proteste lokal begrenzt. Was denkst du? Wie können sie zusammengebracht werden?
Wir müssen bedenken, dass hinter vielen Maßnahmen einzelner Landesregierungen die Bundespolitik steckt. Denn dass die Länder gezwungen sind, jegliche Neuverschuldung zu vermeiden, hat mit der Schuldenbremse zu tun, die ja ein Instrument der Bundesregierung ist. Zudem lassen sich in den verschiedenen Kürzungsrunden, die stattfinden, viele Gemeinsamkeiten erkennen, beispielsweise in den Strategien der einzelnen Landesregierungen. Daher können die verschiedenen Protestbündnisse auch voneinander lernen. Außerdem lassen sich manche unserer Forderungen nicht auf Landesebene umsetzen, etwa die nach Steuergerechtigkeit oder Abschaffung des Kooperationsverbots. Dafür brauchen wir eine gemeinsame bundesweite Bewegung, die es jetzt gilt aufzubauen.
Einen ersten Schritt haben wir mit der Organisation einer bundesweiten Konferenz zum Thema Hochschulkürzungen in Halle Anfang April gemacht. Generell ist die Vernetzung und Verbindung der verschiedenen Proteste wichtig, denn nur so können wir voneinander lernen und auch eine gemeinsame Strategie entwickeln. Dazu sollten gemeinsam koordinierte Aktionstage kommen. So lässt sich auch auf die Bundespolitik Druck ausüben.
Anne Geschonneck ist Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Kürzungen an der Uni Halle und dort aktiv beim Studierendenverband Die LINKE.SDS. Das Interview führte Martin Haller.
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Foto: vulkantanz
Schlagwörter: Gewerkschaft, Inland