DIE LINKE Hessen befindet sich zurzeit in Sondierungsgesprächen mit SPD und Grünen über eine mögliche gemeinsame Regierungskoalition. Welche Kompromisse sie dafür eingehen würde und welche um keinen Preis, erklärt die Fraktionsvorsitzende Janine Wissler im marx21-Gespräch
Janine, am 1. November führt die hessische LINKE-Fraktion die dritten Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen. Ist eine Landesregierung aus diesen drei Parteien möglich?
Positiv ist erst mal, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, über eine Regierungsbildung jenseits der CDU zu sprechen. Die CDU-FDP-Regierung hat keine Mehrheit mehr. Unter den Ministerpräsidenten Roland Koch und Volker Bouffier gab es schwarze Kasse, Vetternwirtschaft und Ausländerfeindlichkeit …
… die mit einem SPD-Ministerpräsidenten verschwinden würden?
Zumindest hoffen viele Menschen in Hessen auf einen Politikwechsel mit Rot-Rot-Grün. Und bei den letzten Sondierungsgesprächen haben wir eine ganze Reihe Übereinstimmungen mit SPD und Grünen festgestellt.
Zum Beispiel …
… wollen alle drei Parteien ein Gesetz, das das Land Hessen verpflichtet, Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die Tarifverträge einhalten. Ein anderes Beispiel ist der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen sowie die Energiewende.
Und das führt zu einer gemeinsamen Regierung?
Nicht unbedingt. Eine entscheidende Frage lautet: Wie gehen wir mit der Finanzsituation des Landes um und wie kann ein Politikwechsel finanziert werden? CDU, SPD, FDP und Grüne haben gemeinsam die sogenannte Schuldenbremse in der Landesverfassung verankert. Ohne Mehreinnahmen durch eine andere Steuerpolitik auf Bundesebene wird ein Politikwechsel kaum zu finanzieren sein.
Deshalb fordern wir von der hessischen SPD, dass sie Druck auf die Bundes-SPD ausübt, die ja gerade Koalitionsverhandlungen führt. Für uns ist klar: Wir werden nicht in eine Regierung eintreten, die Sozialabbau und Stellenabbau vorantreibt.
Ist DIE LINKE nicht zu Kompromissen fähig?
Doch. Aber wir machen keine Kompromisse, die in die völlig falsche Richtung gehen. Es muss spürbare Verbesserungen für die Menschen geben. Über die Länge der Schritte können wir reden, da sind wir zu Kompromissen bereit, nicht aber bei der Richtung.
Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz. Muss nicht gespart werden?
Das Land Hessen macht jährlich etwa 1,5 Milliarden Euro neue Schulden, bei einem Haushaltvolumen von etwa 22 Milliarden. Es ist nicht realistisch diesen Betrag im Landeshaushalt zu kürzen, selbst wenn man wollte.
Warum nicht?
Weil man dann nach den bisherigen unsozialen Kürzungen die Ausgaben nochmals um über eine Milliarde senken müsste. Wie soll das gehen?
Dann also Schulden machen wie bisher?
Nein. Wir wollen ja nicht, dass das Land sich Geld bei den Superreichen leiht, sondern dass man ihnen etwas wegnimmt, durch die Vermögenssteuer zum Beispiel. Dadurch würden deren Vermögen nicht einmal geringer, sie würden lediglich langsamer wachsen.
Wir brauchen eine Millionärs- und Vermögensteuer und höhere Steuern für Konzerne. Die beste Schuldenbremse wäre eine andere Steuerpolitik.
Über solche Fragen wird im Bundestag entschieden. Da kann eine Landesregierung nichts machen.
Leere Kassen sind kein Schicksal: Politiker von CDU, SPD, FDP und Grünen beschließen im Bundestag, dass zum Beispiel der Spitzensteuersatz gesenkt wird. Dann tun Landespolitiker, die den gleichen Parteien angehören so, als seien die Steuergeschenke an Reiche und damit geringere Steuereinnahmen wie eine Naturkatastrophe über das Land hereingebrochen und man müsse vor Ort kürzen, ob man will oder nicht.
Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel meinte, man müsse abwarten, welche finanziellen Vorgaben die neue Bundesregierung für die Länder mache, bevor man über einen Koalitionsvertrag in Hessen entscheiden könne.
Abwarten? Schäfer-Gümbel nimmt doch an den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene teil. Und als künftiger stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD sollte sein Wort doch Gewicht haben.
Was soll er tun?
Auch SPD und Grüne haben im Wahlkampf eine Vermögenssteuer gefordert. Wenn Schäfer-Gümbel wirklich mehr Geld für soziale Politik haben will, muss er in den Verhandlungen zur Bundesregierung dafür Druck machen. DIE LINKE stünde verlässlich an seiner Seite.
Selbst wenn die SPD sich bewegt: Ist es nicht trotzdem unrealistisch, dass DIE LINKE Hessen auf ihrem Parteitag am 12. Oktober 30.000 neue, vollwertige Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst als „Kernbereich“ einer Regierungsbeteiligung beschlossen hat?
Ohne höhere Steuern für Reiche und mit Schuldenbremse ist das unrealistisch. Aber genau an diesen Punkten müssen wir kämpfen. Sonst ist soziale Politik nie möglich, egal wie viele Abgeordnete wir im Landtag haben.
Wären Einsparungen an anderer Stelle möglich? Zum Beispiel bei den Universitäten?
Auf keinen Fall! An den Hochschulen gibt es jetzt so viele Studienanfänger wie noch nie. Die Landesregierung wusste das und hat das Geld für die Unis trotzdem gekürzt. Allerdings gibt es im Landeshaushalt Hessen schon ein paar andere Ausgaben, die ich streichen würde.
Welche sind das?
Es gibt auch in Hessen sinnlose Großprojekte. Zum Beispiel wurde im April ein Flughafen in Kassel-Calden eröffnet, für den der Staat 270 Millionen Euro Steuergelder verpulvert hat und von dem fast kein Flieger abhebt. Die Defizite trägt die öffentliche Hand.
Dabei liegt Kassel nur 200 Kilometer vom internationalen Flughafen Frankfurt entfernt. Am Flughafen Kassel-Calden ist am 30. Oktober der letzte Linienflug aus Antalya gelandet. Seitdem gibt es dort bis April gar keine Verkehrsflüge mehr.
Was macht DIE LINKE Hessen, wenn es zu keiner rot-rot-grünen Landesregierung kommt?
Dann werden wir als Oppositionspartei weitermachen im Parlament und außerhalb. Wir mobilisieren nächstes Jahr zu den Blockupy-Protesten gegen die europaweite Kürzungspolitik in Frankfurt. Wir kämpfen weiter gegen den Lärm am Frankfurter Flughafen und demonstrieren dagegen, dass der Staat im reichen Deutschland versucht, Flüchtlingen die Menschenwürde zu nehmen.
DIE LINKE wird sich wie die letzten Jahre mit aller Kraft an Kampagnen beteiligen, wie gegen die Privatisierung der landeseigenen Wohnungsgesellschaft. Und wir werden die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften suchen, um an allen Fronten gegen soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen und vieles mehr.
Janine Wissler ist Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Hessischen Landtag.
Interview: Hans Krause
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