{nomultithumb}Ständig belegen neue Studien: Der Niedriglohnsektor explodiert. Mit welchen Methoden Unternehmen dabei vorgehen, zeigt der Fall Maredo. Er illustriert aber auch, dass Belegschaften sich wehren können. Die Chronik eines Arbeitskampfes von Volkhard Mosler Seit knapp einem halben Jahr ringen zwei Dutzend ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frankfurter Filiale der Steakhaus-Kette Maredo um ihre Wiedereinstellung. Sie waren am 26. November 2011 vor die Wahl einer fristlosen Kündigung oder einer Eigenkündigung gestellt worden. Von den 32 Mitarbeitern hatte sich gut ein Drittel unter enormem psychischen Druck dazu entschlossen, selbst zu kündigen. Die durchschnittliche Dienstzeit lag bei 12 bis 15 Jahren, die Mehrheit der Belegschaft war schon bei Maredo beschäftigt, bevor die Kette im Jahr 2005 von dem Unternehmen Equity Capital Management (ECM) gekauft wurde. Verbrecher in den Chefetagen Die Geschäftsleitung wirft den Mitarbeitern vor, sie hätten innerhalb von drei Monaten über 1800 Straftaten begangen und in einem Jahr Waren im Wert von 60.000 Euro gestohlen. Tatsächlich sitzen die Verbrecher in den Chefetagen von Maredo und ECM selbst. Denn das Ziel der ganzen, von langer Hand vorbereiteten Operation »Haltet den Dieb« ist der Rauswurf des Betriebsrates und damit auch die Zerstörung der gewerkschaftlichen Organisation, die bei 80 Prozent der Belegschaft lag. Der Arbeitskampf mit ungleichen Waffen – Maredo beschäftigt mehrere Anwälte, die auf Kündigungen von Betriebsräten spezialisiert sind – hat exemplarische Bedeutung, denn es zeichnen sich zahlreiche weitere Konflikte im wachsenden Niedriglohnbereich ab. Andererseits stellt der Konflikt auch eine Ausnahme dar: Seit einem halben Jahr kämpfen die Entlassenen nun schon um ihre Wiedereinstellung. Die beeindruckende Bilanz sichtbaren Widerstands umfasst 19 Kundgebungen vor der Frankfurter Filiale von Maredo, zwei Demonstrationen, 2500 Solidaritätsunterschriften, zwei bundesweite Aktionstage mit Aktionen vor Maredo in anderen Städten und zahlreiche öffentliche Auftritte vom 1. Mai bis zu Blockupy. Aktive Unterstützung von der Gewerkschaft NGG und von Mitgliedern der Frankfurter LINKEN war dabei entscheidend. Kampf hat sich gelohnt Schon jetzt hat sich dieser Kampf gelohnt. Viele Menschen wurden auf die entwürdigenden Arbeits- und Lohnverhältnisse im Hotel- und Gaststättengewerbe aufmerksam gemacht. In der Zähigkeit dieses Arbeitskampfes zeigt sich außerdem die berechtigte Wut der gefeuerten Beschäftigten über das, was sie den »Überfall« nennen. Am 26. November 2011 rückte ein gutes Dutzend Männer und Frauen aus der Geschäftsleitung von Maredo nach einem fingierten Stromausfall in die abgedunkelte Filiale ein. Mit dabei war ein Tross von Anwälten, Bodyguards und Wachleuten, die sicherstellten, dass niemand das Lokal verlassen konnte. Zwei Stunden lang setzte dieses Überfallkommando nahezu die gesamte Belegschaft fest, auch Telefonieren war verboten. Dann wurden die Beschäftigten einzeln zu sogenannten »Anhörungen« vorgeladen. Dem dreiköpfigen Betriebsrat hatte man zuvor Hausverbot erteilt, um seine Anwesenheit bei den Verhören zu verhindern. In den Anhörungen setzte die Geschäftsleitung die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter massiv unter Druck. Sie beschuldigte die Beschäftigten des schweren Diebstahls und bedrohte alle, die nicht »freiwillig« kündigten, mit fristloser Entlassung und Strafprozessen und stellten sogar Hausdurchsuchungen in Aussicht. Die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen widerstand jedoch dem Psychoterror und verweigerte die Eigenkündigung. Betriebsräte unerwünscht Der Überfall war von langer Hand vorbereitet. Die Betriebsräte der Frankfurter Filiale sowie eine Betriebsrätin in Osnabrück waren den Maredo-Bossen schon lange ein Dorn im Auge, denn die Betriebsräte bildeten zugleich den Kern einer Tarifkommission der NGG. Seit Jahren gab es Mobbing der verschiedensten Art gegen die Betriebsräte. In Osnabrück drohte die Geschäftsleitung indirekt mit der Schließung des Betriebes, falls die Kollegen sich nicht von ihrer Betriebsrätin distanzierten. In Frankfurt waren alle Versuche gescheitert, den langjährigen Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden. Also entschied sich die Geschäftsleitung Ende 2010 für eine neue Taktik. Ein dreiviertel Jahr lang sammelte sie Material gegen alle gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen. Dazu wurde eigens ein persönlicher Freund des Betriebsleiters eingestellt, der vier Monate später auch prompt »lieferte«. Er bezichtigte fast die gesamte Belegschaft des laufenden Diebstahls. Das war der Vorwand für den Betriebsleiter, unter Umgehung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates verdeckte Ermittler und versteckte Videokameras einzusetzen. Nach neun Monaten glaubte man, genug Beweismaterial zu haben, und ging in die Offensive. Seit Anfang Mai diesen Jahres wird vor dem Frankfurter Arbeitsgericht nun über Baguette, Steaks, ungewaschene Hände, ein Glas Bier kurz vor Dienstschluss und ähnliches verhandelt. Keine einzige Abmahnung wurde ausgesprochen. Von Beginn an war das Ziel klar: Die ganze Belegschaft muss gehen, nur so kann man auch den Betriebsrat loswerden. Ziel: Gewinne steigern Diese extreme Linie ist kein Ausreißer eines autoritären Geschäftsleiters. Sie gehört zum Geschäftsmodell der ECM. Mitte der 1990er Jahre gründeten »institutionelle Anleger« (Banken) die ECM mit dem Ziel, mittelständische Betriebe mit 100 bis 2000 Beschäftigten verschiedenster Branchen aufzukaufen. Insgesamt gingen 19 Unternehmen durch die Finger von ECM, darunter Eismann, die Bäckereikette Kamps und die Windenergiefirma Vestas. Nach einer sogenannten »Investitionszeit« von drei bis sieben Jahren sollten die dann gewinnbringend weiterverkauft werden – nach diesem Modell wäre Maredo nun bereit zum Verkauf. Nach der Übernahme von Maredo berichtete der Chef von ECM, Richard Gritsch, im Jahr 2008, dass durch »unkonventionelle Methoden« der Gewinnsteigerung der Umsatz bei gleich vielen Beschäftigten jährlich um über fünf Prozent angewachsen sei, der Gewinn dabei aber »deutlich stärker zugelegt hat«. Diese Anfangserfolge sind in der Rezession 2008/2009 ins Stocken geraten. Pläne gehen nicht auf Die Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes DEHOGA, Sandra Warden, hat die Linie vorgegeben: »Betriebsräten, die nur Konflikt suchen, sollte man keine Chance geben.« Und schon der frühere Chef der Maredo-Gruppe, Klaus Schwan, sagte offen: »Ein guter Führungsmann als Betriebsleiter sollte Betriebsräte verhindern.« In der Praxis bedeutet das: Betriebsräte sind nur dann zu dulden, wenn sie unter Kontrolle des Betriebsleiters stehen. In den 56 Filialen von Maredo in Deutschland gibt es noch sieben Betriebsräte aus früheren Zeiten, zwei davon sollen gerade abgeschossen werden. Trotzdem sind die hochfliegenden Pläne von ECM/Maredo bislang nicht aufgegangen. Immer mal wieder kündigte der Geschäftsführer der Maredo-Kette, Uwe Büscher, an, man wolle auf 100 Filialen in Deutschland aufstocken und in Österreich 15 Filialen eröffnen. Doch die Vorgaben der Heuschrecke ECM für Unternehmen in ihrem Besitz erschweren eine solche Expansion. Danach darf der erhöhte Kapitalbedarf für ein weiteres Wachstum von Maredo »nicht allein über das Fremdkapital« beschafft werden. Das Maredo-Management muss also eigene Mittel aufbringen, um neue Filialen zu eröffnen. Manager am Gewinn beteiligt Als Ansporn hat Maredo eine Gewinnbeteiligung der Manager bis hin zur untersten Ebene der Betriebsleiter eingeführt. Das Ergebnis ist die »Verschlankung« um fast 200 Mitarbeiter (von 1900 auf 1700) bei einer gleichzeitigen Umsatzsteigerung um 10 Prozent. Zugleich wurden die Gehälter der Belegschaften gesenkt. Mit der Zeit wurden alle unbefristeten »Altverträge« aufgelöst und durch befristete Verträge ersetzt. Das hat für die Kapitalseite zwei Vorteile. Belegschaften mit befristeten Verträgen sind erpressbarer bei Lohn und Arbeitsleistung, weil sie jederzeit gekündigt werden können. Sind die Beschäftigten nur kurze Zeit im Betrieb, knüpfen sie keine sozialen Beziehungen untereinander und damit sinkt die Gefahr der Bildung von Betriebsräten. Zudem wird durch die neuen Verträge der Bruttostundenlohn auf 7,50 Euro gesenkt. Die wenigen aktiven Betriebsräte stellten sich diesen »unkonventionellen Methoden« der Gewinnsteigerung des Herrn Gritsch in den Weg, deshalb beschloss das Management, sie zu beseitigen. Ein Fall von vielen Maredo ist nur ein Fall von vielen. Immer häufiger werden Betriebsräte und aktive Gewerkschafter heimlich mit Videokameras überwacht und dann wegen angeblicher Verstöße, etwa dem Verzehr von etwas Brotaufstrich, fristlos gekündigt. Neue Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass der Niedriglohnsektor sich auch im Konjunkturaufschwung seit dem Jahr 2009 ungebrochen weiter ausgedehnt hat. Dabei bedienen sich die Unternehmen immer neuer Varianten der prekären Beschäftigung. Im Jahr 2010 verdienten 7,9 Millionen oder 23,1 Prozent der Beschäftigten einen Bruttostundenlohn von weniger als 9,15 Euro, davon erhielten 1,4 Millionen sogar weniger als fünf Euro pro Stunde. Der Durchschnittslohn im Niedriglohnsektor lag 2010 bei 6,68 Euro brutto pro Stunde im Westen und bei 6,52 Euro im Osten. Etwa zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen, viele davon Migrantinnen. DIE LINKE und der Mindestlohn Bei der Durchsetzung von Niedriglöhnen spielt der Rückbau des Kündigungsschutzes eine zentrale Rolle. Waren Anfang des Jahres 2010 noch 27 Prozent aller Beschäftigen in der rasch wachsenden Branche der Systemgastronomie weniger als 12 Monate dort beschäftigt, so stieg der Anteil bis zum Jahr 2012 auf 30 Prozent. Die Unternehmer stellen dabei den Zusammenhang bewusst falsch dar, wenn sie behaupten, dass es deshalb so wenig Betriebsräte in der Systemgastronomie gebe, weil die Fluktuation der Belegschaften so hoch sei. Dabei ist es umgekehrt: Die Fluktuation ist deshalb so hoch, weil es keine Betriebsräte gibt. Auch das zeigt das Beispiel Maredo. Deshalb ist die Forderung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns jetzt von so großer Bedeutung. Leider hat sich trotz der Popularität der Forderung bisher wenig bewegt. Es ist Aufgabe der LINKEN, ihre Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn voranzutreiben und mit Leben zu füllen. Das heißt konkret, die Forderung mit Aktionen und Kampagnen gegen Unternehmen zu verbinden, die sich solcher Methoden des Lohndumpings wie Maredo bedienen. Ein gutes Programm reicht nicht aus. Die Erfahrung zeigt, dass Gewerkschaften wie die NGG zur Zusammenarbeit bereit sind, sobald aktiver Widerstand der Lohnabhängigen sichtbar wird. Zur Person: Volkhard Mosler ist Mitglied im Kreisvorstand der LINKEN in Frankfurt am Main. Mehr auf marx21.de:
- Für Arbeiterrechte im Steakhaus: Bei der Steakhauskette Maredo geht der Kampf um Wiedereinstellung und bessere Arbeitsbedingungen weiter. Ende April soll es einen bundesweiten Aktionstag vor den Filialen geben. Von Jürgen Ehlers
- Wer standhält, kann gewinnen: In einem Krankenhaus in Südhessen machen Azubis eine Aktion gegen ihre schlechten Ausbildungsbedingungen. Am nächsten Tag ermittelt die Polizei wegen Einbruch, ein Azubi wird von der Arbeit freigestellt und ihm wird, obwohl er schwerbehindert ist, mit fristloser Kündigung gedroht. marx21.de sprach mit Elmar Siemens von der Gruppe ver.quer