In Deutschland hat die Friedensbewegung eine Kampagne für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan begonnen. Schon länger kämpft ein breites Anti-Kriegs-Bündnis in Großbritannien für den Abzug der Truppen aus Irak. Chris Nineham von der „Stop the War Coalition“ hat mit marx21 über den erfolgreichen Aufbau des Bündnisses gesprochen.
Im September mussten sich die britischen Truppen aus der südirakischen Stadt Basra zurückziehen? Nun wird über einen Abzug der Truppen diskutiert. Hat die „Stop the War Coalition“ dazu beigetragen?
Der unmittelbare Anlass für den Rückzug war militärische Niederlage. Wir haben von Soldaten gehört, dass ihr ursprüngliches Camp im Basra Palast täglich unter Beschuss stand. Patrouillen wurden einfach zu gefährlich. Aber natürlich hat so eine Niederlage sowohl politische als auch militärische Ursachen. Die Zahl der Toten war unerträglich, da es starken Widerstand zuhause gab – und dieser wiederum ist durch wiederholte Proteste, Kampagnen, Kundgebungen und Demonstrationen der Antikriegs-Bewegung angefacht worden.
Wie habt ihr die „Stop the War Coalition“ und die Antikriegs-Bewegung aufgebaut?
Die “Stop the War Coalition” wurde schon wenige Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center durch eine sehr große öffentliche Kundgebung gegen den Krieg gegründet. Die Leute hatten Angst vor einer verrückten Reaktion aus Washington.
Wir haben zügig daran gearbeitet, ein möglichst breites Bündnis aufzubauen. Es ist uns gelungen, die Gewerkschaften, die Friedensbewegungen, den Großteil der Linken und einige Muslimorganisationen sehr schnell ins Bündnis zu holen.
Danach ist die Bewegung durch die Kombination massiver landesweiter Demonstrationen einerseits und lokaler Veranstaltungen und Aktionen andererseits aufgeblüht. Wir haben alle zwei bis drei Monate öffentliche Versammlungen und Kundgebungen im ganzen Land abgehalten.
Unsere Ortsgruppen haben wir ermuntert, ein möglichst greites Bündnis aufzubauen, insbesondere durch Einbeziehung der größtmöglichen Zahl an Labour-Mitgliedern. Genau so wichtig ist es gewesen, dass wir bestimmte politische Prinzipien vertreten haben: den Fokus auf Bushs und Blairs Kriege zu halten statt in ständige Verurteilung von Terrorismus hineingezogen zu werden. Es war das A und O des Erfolges der Kampagne, dass wir die westliche Aggression, insbesondere den US-Imperialismus, als den Kern des Problems betrachtet haben.
Einige hingegen wollten eher, dass die Bewegung eine große Zahl verschiedener miteinander unverbundener Themen aufnimmt. Dem hielten wir entgegen, dass das Bündnis eine spezifische Kampagne zu einem speziellen Thema macht. Letzlich hat der Erfolg unsere Einschätzung bestätigt.
Was ist das politische Programm der „Stop the War Coalition“?
Um das Bündnis breit zu halten, haben wir immer versucht, die Ziele sehr eng zu definieren: Stoppt den Krieg, verteidigt die Grundrechte, stoppt den Rassismus! Es gibt viele Leute in der Führung und darüber hinaus, die sich als Antiimperialisten verstehen, und wir konzentrieren uns auf die Kriege, die unsere eigene Regierung im Bündnis mit den Vereinigten Staaten führt. Aber weil diese Kriege so bedrohlich sind, nehmen Menschen mit allen möglichen politischen Positionen an den Demonstrationen teil.
Wie sehen die nächsten Schritte der Antikriegs-Bewegung in Großbritannien aus?
Wir haben dafür gesorgt, dass unsere Regierung, was den Irak angeht, mächtig in der Klemme steckt. Aber es gibt immer noch britische Soldaten im Irak, deren kompletten Abzug wir erreichen müssen. Das wäre ein heftiger Schlag gegen Bush und unsere Herrschenden.
Außerdem müssen wir damit beginnen, den Fokus Richtung Afghanistan zu verschieben. Dieser Feldzug wird seltsamerweise immer noch als guter, gewinnbarer Krieg dargestellt. An dieser Front müssen wir noch aufklären und überzeugen.
Und Iran steht ebenfalls auf der Tagesordnung. Es sieht fast so aus, als ob US-Vizepräsident Cheney die Auseinandersetzung darüber, ob dieser Angriff stattfinden soll, gewinnen könnte. Wenn es wirklich soweit käme, würde es meiner Meinung nach eine enorme Reaktion der Öffentlichkeit geben. Deswegen sollten wir anfangen, das ebenfalls zum heißen Thema zu machen.
Schließlich werden wir in London am 1. Dezember eine Internationale Friedenskonferenz veranstalten, die wir „Die Welt gegen den Krieg“ nennen. Dort soll diese neue Phase im so genannten „Krieg gegen den Terror“ diskutiert und weltweite Gegenwehr geplant werden.
US-General Petraeus behauptet, dass im Irak mehr Sicherheit herrscht und dass die Truppen bleiben sollten. Wird es Chaos und Gewalt geben, wenn die Besatzer das Land verlassen?
Zunächst muss gesagt werden, dass es schon jetzt Chaos und Gewalt im Irak gibt. Und zwar im fürchterlichen Ausmaß. Die günstigste Schätzung ist noch, dass 1,2 Millionen Irakis umgekommen sind. Die UN-Flüchtlingskommission hat gesagt, dass Irak die schlimmste Flüchtlingskrise in der Welt hat, bedeutend schlimmer als Darfur.
Interessant ist, dass es eine Menge Berichte gibt, die besagen, dass sich die Lage im Irak verschlechtert. In anderen Worten: Die US-Militäroffensive „The Surge“, die angeblich Sicherheit schaffen soll, funktioniert nicht. Es wird viel über einen durch die Spaltung der irakischen Bevölkerung verusachten Bürgerkrieg geredet. Doch insofern es Spaltungen gibt, sind diese ein Produkt der Besatzung. Das Besatzerregime hat schon eine „teile und herrsche“-Politik verfolgt, seit der Aufstand 2004 richtig losging.
Ein Truppenabzug wird diese Probleme nicht sofort lösen. Aber aber es lohnt sich anzumerken, dass die Mehrzahl der Angriffe im Irak sich immer noch gegen die Besatzungstruppen richtet. Ein Abzug der Besatzer würde die Hauptursache dieser Gewalt beseitigen. Und man sollte auf die Iraker hören. Die überwältigende Mehrheit will, dass die Besatzer abziehen. Sie meinen, dass die US-gedeckte Regierung keine Legitimität genießt, so dass es keinen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt geben kann. Das wird erst nach Beendigung der Besatzung möglich sein.
Wir sollten das Argument, dass nach einem Abzug automatisch Chaos ausbräche, als das betrachten, was es ist: als ein Teil der Kriegspropaganda. Die Besatzer haben schon eine Menge „Argumente“ vorgebracht, die als Lügen entlarvt worden sind.
(Das Gespräch führte Frank Eßers)
Zur Person:
Chris Nineham ist führendes Mitglied der britischen “Stop the War Coalition” (Stoppt den Krieg-Bündnis) und hat an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Rostock im Juni teilgenommen. Er ist auch Mitglied der „Socialist Workers‘ Party“.
Info:
Die seit September 2001 existierende „Stop the War Coalition“ ist das bekannteste Antikriegs-Bündnis in Großbritannien. In dem Bündnis sind Muslime aktiv und bekannte Linke wie Tony Benn, George Galloway und Tariq Ali. Nahezu alle großen Gewerkschaften unterstützen die „Stop the war Coalition“.