Die Politik der neuen Regierung gibt der Enhedslisten (dänische Linkspartei) die Chance, Proteste auf der Straße zu organisieren. Aber sie wird von ihrer hauptsächlich parlamentarischen Ausrichtung gebremst. Hans Krause sprach mit Jörn Andersen über die Chancen und Probleme der dänischen Linken
marx21.de: Seit letztem Jahr regiert eine Minderheitskoalition aus Socialdemokraterne, Socialistik Folkeparti und Radikale Venstre*. Enhedslisten toleriert die Regierung. Macht sie dabei gute Politik?
Jörn Andersen: Überhaupt nicht. Kurz vor der Wahl 2011 beschloss die vorherige rechte Regierung massive Kürzungen für Arbeitslose. Die neue Regierung hat nichts davon zurückgenommen. Im Gegenteil: Bei ihrer Gründung erklärte sie, ihre Wirtschaftspolitik würde weitgehend die der vorherigen Regierung fortsetzen.
Hat Enhedslisten nicht versucht, die Regierungspolitik zu beeinflussen?
Sie haben es versucht und sind gescheitert. Im Juni diesen Jahres hatte Enhedslisten mit der Regierung über eine Steuerreform verhandelt. Durchschnittsverdiener wurden entlastet und Enhedslisten wollte erreichen, dass die geringeren Steuereinnahmen nicht mit sozialen Kürzungen eingespart werden.
Kein Wunder, dass die Regierung nicht zugestimmt hat.
Ja, aber besonders war, wie die Regierung es gemacht hat: Erst hat sie einen schlechten Kompromiss mit Enhedslisten ausgehandelt. Aber nur Stunden bevor die verschiedenen Parteien ihn unterschreiben sollten, kündigte die Regierung an, sie habe eine noch schlechtere Steuerreform mit der rechts-liberalen Oppositionspartei Venstre vereinbart. So waren die gesamten Verhandlungen von Enhedslisten für den Mülleimer.
Denkst du, Enhedslisten sollte ihre Unterstützung der Regierung beenden?
Nicht grundsätzlich. Helle Thorning-Schmidt ist die erste sozialdemokratische Premierministerin seit 2001. Wenn Enhedslisten ihre Unterstützung der Regierung komplett abbrechen würde, käme die alte rechte Regierung schnell wieder an die Macht. Und kein Linker kann das wollen.
Heißt das: Weiter wie bisher, denn es gibt keine Alternative?
Nein. Die alte revolutionäre Theorie, wonach es keinen parlamentarischen Weg für linke Politik gibt, hat sich in Dänemark 2012 bestätigt. Wir können die Kürzungspolitik nicht im Parlament bekämpfen, weil sowohl die Regierung als auch die rechte Opposition sie unterstützen.
Die Regierung hat Endedslisten ausgetrickst. Ihre Wähler müssen frustriert sein und die Umfragewerte sinken.
Das Gegenteil ist passiert. Letztes Jahr hat die Partei bei den Wahlen 6,7 Prozent der Stimmen bekommen. Jetzt stehen sie in Umfragen bei 10.
Und die Zahl der Mitglieder?
Ist noch beeindruckender: Nachdem die Regierung Enhedslisten mit der Steuerreform betrogen hat, sind in nur zwei Wochen 1400 Menschen eingetreten. Die Mitgliederzahl beträgt jetzt 9600.
Also immer noch viel kleiner als DIE LINKE in Deutschland.
Sicher. Aber vergiss nicht, wie klein Dänemark ist. Das Land hat nur 5,5 Millionen Einwohner. Auf die Einwohnerzahl übertragen, entsprechen 9600 Mitglieder in Dänemark einer linken Partei mit 140.000 Mitgliedern in Deutschland.
Klingt, als hätte Enhedslisten doch ein paar Sachen richtig gemacht.
Leider nicht. Die Eintritte kamen, ohne dass die Partei dafür irgendetwas getan hätte. Deshalb wird das Wachstum voraussichtlich nicht dauerhaft sein.
Kann man den Erfolg nicht verstetigen?
Nicht, solange der einzige Schwerpunkt von Enhedslisten das Parlament ist. Die Führung ist nicht gegen Demonstrationen und Protest auf der Straße. Aber sie organisiert und mobilisiert nichts.
Warum nicht?
Weil das nicht der politische Strategie ist, die die Führung verfolgt. Sie haben keine Tradition einer politisch aktiven Parteimitgliedschaft.
Was heißt das konkret?
Die Orts- oder Bezirksgruppen treffen sich nur einmal im Monat. Wie soll man linke Politik organisieren oder auch nur diskutieren, wenn man mit seinem Genossen nur einmal im Monat für zwei Stunden spricht?
Hat Enhedslisten jemals eine Demonstration organisiert?
Ja. 2010 hatten wir ein Bündnis mit der links-liberalen Radikale Venstre und haben gegen ein neues rassistisches Gesetz der rechten Regierung demonstriert. Sie hatten es für Ausländer deutlich schwerer gemacht, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.
Wie viele kamen zur Demo?
Etwa 4000 Leute. Es hätten viel mehr sein können, aber für Dänemark war es recht gut.
Aber…?
Aber Radikale Venstre ist nichtsdestotrotz eine marktliberale Schwesterpartei der FDP. Ein Bündnis mit dieser Partei war nicht hilfreich, um oppositionelle Stimmen der Sozialdemokraten, der Socialistik Folkeparti oder der Gewerkschaften zu mobilisieren, um gegen soziale Kürzungen zu protestieren.
*Die dänische Regierung entspricht in etwa einer deutschen Ampel-Koalition: Socialdemokraterne ist die Schwesterpartei der SPD, Socialistik Folkeparti die Schwesterpartei der Grünen und Radikale Venstre ist links-liberal und Schwesterpartei der FDP.
Zur Person:
Jörn Andersen ist Mitglied von Enhedslisten und des Netzwerks Internationale Sozialisten in der Partei.
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