Der Ratschlag »Der Verkäuferin einen guten Lohn« der LINKE-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung am 28. Oktober in Kassel zeigte, dass die Partei eine wichtige Unterstützung bei Streiks sein kann.
Einhundertdreißig streikende Betriebsräte und Beschäftigte des Einzelhandels sowie Mitglieder der LINKEN sind zu der Konferenz in Kassel gekommen. Größere Gruppen kamen aus Berlin und Stuttgart, außerdem Streikende aus verschiedenen Städten von H&M, Amazon, Ikea, Zara, Edeka, Kaufhof und vielen anderen Unternehmen.
Die Streik-Kampagne von ver.di im Einzelhandel für den Erhalt des Manteltarifvertrags läuft seit über fünf Monaten. Ein Ziel der Veranstaltung war, für die Streikenden aus ganz Deutschland einen Ort zu bieten, an dem sie ihre Erfahrungen austauschen und sich vernetzen können.
Mehrere zehntausend Beschäftigte im Streik
Obwohl in den letzten Wochen schon mehrere zehntausend Beschäftigte gestreikt haben, ist die Teilnehmerzahl von 130 ein Erfolg. Denn einerseits lehnen viele sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftssekretäre und Betriebsräte eine Vernetzung im Umfeld der LINKEN ab. Gleichzeitig ist auch in der Führung der Partei die Meinung verbreitet, man solle sich aus den Aktivitäten der Gewerkschaften heraushalten.
Auf dem Kongress haben Beschäftigte aus ganz Deutschland verschiedene Streik-Strategien diskutiert. Hintergrund ist, dass ver.di im Einzelhandel relativ wenige Mitglieder hat und ein Streik fast nie dazu führt, dass eine Filiale lahmgelegt wird. Hier waren die Berichte von Berliner Studierenden wichtig, die in eine Solidaritätsgruppe für die Einzelhandel-Streiks gegründet haben und zum Beispiel durch massenhaftes Umtauschen von Artikeln eine H&M-Filiale zum Stillstand gebracht hatten.
Streikende haben Bedarf sich auszutauschen
Betriebsräte von IKEA aus Braunschweig und Erfurt waren unabhängig von der LINKEN oder ver.di gekommen und berichteten unter anderem, wie sie durch zahlreiche Streiks dieses Jahr die Zahl der ver.di Mitglieder in der Braunschweiger Filiale verdoppeln konnten. Ein H&M-Betriebsrat aus Stuttgart erzählte, wie die Belegschaft mit einem »Rein-Raus-Streik« Kosten für den Arbeitgeber verursacht hat: Die Streikenden blieben so lange vor der Filiale, bis die Geschäftsleitung Streikbrecher organisiert hatte. Dann wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Sobald die Streikbrecher weg waren, wurde wieder gestreikt und der Verkauf brach zusammen.
Diese Erfahrungsberichte zeigten zum einen, dass viele Beschäftigte bereit sind, die Streiks weiterzuführen. Gleichzeitig gibt es einen großen Bedarf, sich auszutauschen. Denn längst nicht überall haben Streikende bereits Strategien entwickelt, um den Verkauf in den Filialen umfassend zu behindern.
Riexinger: Für eine bundesweite Demonstration
Auch der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger nahm an dem Kongress teil. In einem viel beklatschten Beitrag, forderte er ver.di auf, vor Weihnachten eine bundesweite Streik -Demonstration in Berlin zu organisieren, damit ganz Deutschland sehen kann, wie viele Menschen für den Tarifvertrag im Einzelhandel kämpfen.
Bedeutend war zudem, dass Heiner Schilling, Fachbereichsleiter Handel bei ver.di Niedersachsen-Bremen, an dem Abschlusspodium teilnahm. Damit zeigte er, dass er das Engagement der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der LINKEN für die Vernetzung der Streikenden unterstützt.
Ver.di vernachlässigt Vernetzung
Die Veranstaltung hat bewiesen, welch wichtige Rolle Rosa-Luxemburg-Stiftung und LINKE bei einem Streik spielen können und dass die Beschäftigten dies keineswegs für ein »Einmischen von außen« halten. Das ist umso bedeutender, weil Gewerkschaften diese überregionale Vernetzung ihrer Basisaktivisten gewöhnlich nicht betreiben.
Vielmehr beschränkt sich ver.di auch in der jetzigen Auseinandersetzung auf eine bundesweite Diskussion der Spitzenfunktionäre, die gerade im Einzelhandel oft gewohnt sind, dass Tarifverträge mit wenigen Streik-Aktionen abgeschlossen werden müssen. Unter genau diesen Funktionären wird derzeit diskutiert, ob es keine Möglichkeit für weitere Streiks bis ins Weihnachtsgeschäft gebe und man den Konzernen Zugeständnisse machen solle, um schnell abschließen zu können.
Strategien für die Zukunft
Der Ratschlag »Der Verkäuferin einen guten Lohn« am 28. Oktober hat jedoch gezeigt, dass viele Beschäftigte die Streiks weiterführen wollen, wobei sie neue Mitglieder für ver.di gewinnen und Streik-Strategien auch für die Zukunft erlernen. Im ver.di-Bezirk Stuttgart gab es bereits etwa 50 Streik-Tage und die Angestellten machen weiter. Durch diese Aktivitäten an der Basis ist der Arbeitskampf größer geworden, als man zu Beginn vermuten konnte.
Es ist unwahrscheinlich, dass ver.di in den nächsten Wochen einen Abschluss erzielen kann. Vielmehr wird der Streik voraussichtlich bis ins Weihnachtsgeschäft und ins nächste Jahr hineingehen.
Damit ist die Einzelhandel-Tarifrunde weiterhin eine große Chance für DIE LINKE, die Arbeiterbewegung zu unterstützen. Der Ratschlag in Kassel hat gezeigt, wie wichtig die Hilfe der Partei gerade im Bereich der Vernetzung sein kann.
Die Unterstützung solcher Arbeitskämpfe bietet der LINKEN eine Chance, gesellschaftlichen Druck für ihre Ziele aufzubauen. Das wird dringend nötig sein, um unter einer Großen Koalition mit 80-Prozent-Mehrheit im Bundestag praktische Erfolge zu erzielen. Denn ausschließlich parlamentarische Arbeit und Auftritte in Fernseh-Talkshows reichen dafür nicht aus.
Von Hans Krause
Hier geht es zum ausführlichen Bericht der Rosa-Luxemburg-Stiftung.