Der Euro-Rettungsschirm bringt massiven Sozialabbau. Aktivisten aus Griechenland, Irland und Spanien berichten über die wachsende Wirtschaftskrise in Europa und die Aussichten des Widerstands
Die Unruhen auf den europäischen Finanzmärkten haben nun auch Italien erreicht. Finanzjongleure befürchten, dass das Land seine 1,9 Billionen an Euroschulden nicht wird schultern können. Die Ratingagentur Standard and Poor hat Italiens Kreditwürdigkeit von A+ auf A gesenkt, was die Zinsen weiter in die Höhe treiben wird. Die Börsen befinden sich im freien Fall.
Währenddessen verlangen Arbeiter auf den Straßen, dass die Bankiers, nicht die einfachen Menschen für die Krise zahlen sollen. Und die Regierung hat ihnen dafür den Krieg erklärt. Sie hat Steuererhöhungen, radikale Lohn- und Rentenkürzungen sowie eine Senkung der Staatsausgaben beschlossen. Am 21. September geriet die Aufstandspolizei unter Beschuss einer aufgebrachten Menge, die sie mit Farbbeuteln und einem Schweineherzen bewarf.
Das konnte aber nicht verhindern, dass Berlusconis Mitte-Rechts-Regierung am gleichen Abend eine Parlamentsmehrheit für sein Notstandsbudget erhielt. Seine Koalitionsregierung peilt einen ausgeglichenen Haushalt ab 2013 an. Angesichts von Millionen von Arbeitern, die sich in Bewegung setzen, ist es fraglich, ob er politisch so lange überlebt.
Griechenland: »Die Angst, Griechenland werde seine Bankschulden nicht zurückzahlen können, stürzt die Eurozone, und nicht nur die, in die Krise« (Panos Garganas)
US-Finanzminister Timothy Geithner flog nach Warschau zu einem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen. Und eine Telefonleitung zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel mit dem griechischen Premier Giorgos Papandreou wurde freigeschaltet. Währenddessen stufte die Ratingagentur Moody’s zwei führende französische Banken herab.
Angesichts einer extrem angespannten Lage legte eine Studie nahe, dass das gegenwärtige Auf und Ab der Aktienmärkte an das Muster von Nervosität und Panik unmittelbar vor dem »Schwarzen Montag« von 1987 erinnert, als die Werte binnen Tagesfrist um 22 Prozent abstürzten. Die größte Sorge bereitet die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, die Angst, dass es seine Bankschulden gar nicht tilgen kann. Die Folge wäre eine Bankenkrise in der Eurozone und darüber hinaus.
Nur ein Puzzlestück
Aber Griechenland ist nur ein Stück in einem viel größeren Puzzle. Die europäischen Banken besitzen 81 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen. Das ist kein Vergleich mit den 325 Milliarden Euro an italienischen Anleihen, die in ihren Koffern lagern.
Die weit verbreitete Panik nährt sich nämlich nicht zuletzt aus der Angst vor einer Staatspleite Italiens. Silvio Berlusconis Regierung hat ein Kürzungspaket sondergleichen beschlossen. Die Antwort darauf waren ein Generalstreik und Zusammenstöße vor dem Parlament in Rom.
Als die Regierung angesichts der Protestwelle zu schwanken schien, erhöhte die Europäische Zentralbank (EZB) den Druck auf Berlusconi, damit dieser das Kürzungstempo beschleunige und somit die Märkte beruhige.
Rigoroser Sparkurs
Wenn unsere Herrscher so mit der italienischen Regierung umspringen können, kann man sich unschwer ausmalen, was für einen Druck sie auf ein kleines Land wie Griechenland ausüben. Im Juli diesen Jahres hatten sich die EU-Regierungschefs auf eine Rettungsaktion für Griechenland geeinigt, daran aber rigorose Bedingungen geknüpft. Von den etwa 172 Milliarden Euro für die Refinanzierung des Landes sollen bloß 38 Milliarden in den Staatshaushalt fließen. Die übrigen Milliarden gehen auf den einen oder anderen Umweg an die Banken.
Schon in dieser Gestalt ist das Programm grausam genug, aber der Internationale Währungsfonds, die EU und die EZB fordern weitere 4,5 Milliarden Euro an Kürzungen und Steuererhöhungen innerhalb der kommenden 15 Monate. Nach einem halbherzigen Versuch, das Paket neu zu verhandeln, kapitulierte die griechische Regierung und verkündete eine neue Steuer auf Haushalte.
Haushaltssteuer für alle
Ein junges Paar, das eine Hypothek für den Kauf einer Wohnung in Athen aufgenommen hat, muss jetzt sofort 500 Euro dazu zahlen, und nochmals den gleichen Betrag nächstes Jahr. Hinzu kommen gestiegene Hypothekenzinsen und Lohnkürzungen in Höhe von durchschnittlich 150 Euro monatlich für alle Staatsangestellten.
Diese neue Haushaltssteuer wird mit der Stromrechnung fällig, so dass Nichtzahlern der Strom gekappt wird. Die Gewerkschaft der Elektrizitätswerke GENOP-DEH hat allerdings verkündet, Menschen, die nicht zahlen können, den Strom nicht abzustellen.
Die Regierung will außerdem reihenweise Staatsangestellte entlassen, um der Arbeiterschaft Angst einzujagen.
Streiks breiten sich aus
Grundschullehrer streikten Ende September, und wollen zusammen mit Sekundarlehrern in der ersten Oktoberwoche für 48 Stunden in den Ausstand treten aus Protest dagegen, dass es im begonnenen Schuljahr an vielen Schulen keine Bücher gab.
Die U-Bahnen und Busse blieben am Donnerstag ebenfalls in den Depots. Das kann das Sprungbrett für weitere Aktionen sein.
Leiharbeiter besetzten die zentrale Mülldeponie und stoppten weitere Mülltransporte, um drohende Massenentlassungen zu verhindern. Redakteure und Angestellte des staatlichen Fernsehens, die gegen die Schließung einer Fernsehstation protestierten, stießen vor dem Parlament mit der Polizei zusammen.
Zahlungsstopp würde helfen
Währenddessen halten Studenten über 300 Abteilungen an Universitäten und Fachhochschulen seit Ende August besetzt. Sie wollen ihre Aktionen fortsetzen und mit den Lehrerstreiks koordinieren.
Die Stimmung zeigte sich auf den Straßen von Thessaloniki am 10. September. Während der Premier Papandreou die neuen Kürzungsmaßnahmen erläuterte, kamen tausende Studenten und tausende Gewerkschafter in einer großartigen Aktionseinheit zusammen. »Friert die Zahlungen ein, nicht die Löhne«, war eine Hauptforderung.
Sollte die EU einen Kreditstopp beschließen, wäre das eine Katastrophe. Banken würden schließen und die Menschen ihre Löhne nicht ausgezahlt bekommen.
Eine andere Politik ist nötig, noch bevor Griechenland ein solcher Konkurs aufgezwungen wird. Die Schulden belaufen sich auf 50 Milliarden Euro – das entspricht dem gesamten Staatshaushalt. Ein Zahlungsstopp seitens Griechenlands würde genügend Ressourcen freisetzen, um alle Kürzungen wieder zurückzunehmen.
Währenddessen ist die Nachricht von Widerstand in anderen europäischen Staaten eine wichtige Ermunterung für die Streikenden hierzulande.
(Panos Garganas ist Herausgeber der griechischen Zeitung »Arbeitersolidarität«)
Spanien: »Nachbarschaftskomitees verhindern Zwangsräumungen« (Albert Garcia)
Spanien ist seit Monaten von der Krise der Eurozone erfasst. Die Staatsschulden sind niedriger als die Großbritanniens, Deutschlands oder Frankreichs. Dafür sind die Privatschulden infolge des Platzens der Immobilienblase und des Endes des Spekulationsrausches höher.
Etwa 21 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos. Das ist eine der schlimmsten Raten in der ganzen Geschichte des Landes. Das alles hat das internationale Vertrauen in Spaniens Zahlungsfähigkeit untergraben und seine Staatsanleihen gezielten Attacken ausgesetzt.
Radikale Kürzungen
Die spanische herrschende Klasse hat auf diese Situation mit einer Selbstverpflichtung zu radikalen Kürzungen geantwortet. Die sozialdemokratische PSOE hat sich mit der konservativen PP verbündet und eine Schuldenbremse beschlossen.
Aber diese, vor allem von Deutschland und Frankreich eingeforderten Maßnahmen haben die Investoren nicht beruhigt. Die Zinsen für Staatsanleihen sind weiter in die Höhe geschossen.
Die Auswirkungen einer Staatspleite Griechenlands lassen sich schwer errechnen, aber sicherlich müsste dann auch Spanien gerettet werden. Da die spanische Wirtschaft viermal so groß wie die griechische und die fünftgrößte Europas ist, würden die Folgen weltweit zu spüren sein. Spanien ist ganz einfach ein zu großer Brocken für die EU – und gleichzeitig zu groß, um einfach fallengelassen zu werden.
Daher werden weitere Angriffe auf die Arbeiterschaft und die Armen folgen.
Protestcamps beflügeln Streiks
Die PP wird voraussichtlich die Novemberwahlen gewinnen. Die Kürzungsorgie ihrer konservativen Freunde in Großbritannien dient ihnen als Modell. Allerdings wird jede weitere neoliberale Offensive auf einen Widerstand stoßen, wie ihn Spanien seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat.
Die Bewegung der »Empörten« im Sommer diesen Jahres mit ihren Besetzungen vieler Stadtzentren hat zusammen mit Krankenhausangestellten und den Einwohnern vor Ort Krankenhäuser vor Schließung verteidigt. Nachbarschaftskomitees haben eine Reihe Zwangsräumungen verhindern können.
Madrider Lehrer haben zu einem dreitägigen Streik und anschließend dreitägiger Besetzung gegen Kürzungen und Entlassungen aufgerufen. Dem ging eine Betriebsversammlung von 800 Lehrern nach dem Modell der Protestcamps voraus, auf der die Zaghaftigkeit der Gewerkschaftsbürokratie überwunden werden konnte.
Weitere Straßenproteste überall im Land sind am 19. Oktober geplant. Ein heißer Herbst ist möglich.
(Albert Garcia ist Mitglied der linken Organisation »En Lucha«)
Irland: »Die Löhne wurden um 15 Prozent gesenkt, die Sozialleistungen um 10 Prozent« (Sinead Kennedy)
Vor drei Jahren noch die schnellstwachsende Wirtschaft der EU, erlebt Irland den tiefsten und schnellsten Einbruch eines westlichen Landes seit der Großen Depression. Im November letzten Jahres haben die EU und der Internationale Währungsfonds der Regierung einen Rettungspaket in Höhe von 85 Milliarden Euro aufgezwungen, um die drohende Ausbreitung der irischen Schuldenkrise auf die gesamte Eurozone zu verhindern.
Die irischen Arbeiter werden dafür mit einer »Anpassung« in Höhe von 15 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Sie umfasst Steuererhöhungen, Lohnsenkungen, die Lockerung des Kündigungsschutzes im öffentlichen und im privaten Sektor und eine Reihe vernichtender Kürzungen von Sozialleistungen, im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich.
Schuldenberg wächst weiter
Als die erste Welle der globalen Finanzkrise im Herbst 2008 überschwappte, beschloss die irische Regierung eine Bankgarantie, die alle wichtigen Finanzinstitutionen des Staates umfasste. Keine Bank, mochte sie noch so toxisch sein, sollte das Schicksal von Lehman Brothers ereilen.
Die Bankgarantie belief sich auf insgesamt 485 Milliarden Euro. Sie wurde eingesetzt, um die Anglo-Irish Bank zu retten – das war die bisher weltweit teuerste Rettungsaktion überhaupt.
Aber die schmerzlichen Kürzungen, um das alles zu finanzieren, haben nicht die von den Regierungen und den Bossen verkündete Erholung gebracht. Stattdessen harrt die irische Wirtschaft in der Stagnation und sein Schuldenberg wächst weiter.
EU noch nicht zufrieden
Statt umzukehren, verpflichtet der Deal mit der EU und dem IWF die Regierung zu weiteren Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 12 Milliarden Euro bis Ende 2012, wovon 3,6 Milliarden bis Dezember diesen Jahres erbracht werden müssen.
Und sogar damit geben sich die EU-Kürzer nicht zufrieden. Der mittlerweile zurückgetretene Chef der EZB Jürgen Stark sagte diese Tage der Irish Times, dass Irland viel mehr und viel umfassender kürzen müsse.
Finanzminister Michael Noonan meinte dazu, das sei schwierig, denn »eine Menge greifbarer Früchte wurde schon gepflückt«. Mit »greifbaren Früchten« meint Noonan die Sozialhilfeempfänger, die Menschen in Altenheimen und Kinder mit Behinderungen.
Anfänge des Widerstands
Irland hat noch nicht eine solche Protestwelle wie manch anderes europäisches Land erlebt. Dennoch spürt man, dass die Menschen die Nase gestrichen voll haben.
Als das Parlament nach der Sommerpause wieder zusammentraf, standen hunderte protestierende Eltern von Kindern mit Sonderbedürfnissen vor den Toren. Und als die Pläne zur Einführung einer Haushaltssteuer verkündet wurden, kamen 200 Aktivisten zusammen, um eine Kampagne dagegen zu planen.
Arbeiter der ESB Elektrizitätswerke planen eine Streikabstimmung, nachdem die Regierung bekannt gab, Teile des Unternehmens zu privatisieren und zum Verkauf anzubieten.
(Sinead Kennedy ist Dozentin an der Maynooth Universität und Mitglied der irischen Socialist Workers Party)
(Dieser Überblick erschien zuerst in der britischen Wochenzeitung Sozialist Worker. Aus dem Englischen von David Paenson)
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