Bei den Wahlen in Schweden erhielten die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren. Gleichzeitig zogen die rechtsradikalen »Schwedendemokraten« erstmals in den schwedischen Reichstag ein. Über den Absturz der Linken und was jetzt gegen den Aufstieg der Rechten unternommen werden kann, berichtet Åsa Hjalmers aus Stockholm.
Montag der 20. September 2010 war ein Tag der Trauer und Wut in Schweden, als sich herausstellte, dass die rechtsradikalen »Schwedendemokraten« (SD) mit 5,7 Prozent der Stimmen ins Parlament gekommen waren. Damit haben sie ihren Stimmenanteil im Vergleich zu den Wahlen von 2006 verdoppelt. Dagegen hatten die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis seit fast 100 Jahren, während die Konservativen etwas zulegen konnten. Insgesamt hat das konservative Lager aber seine absolute Mehrheit verloren. Das ist nicht das erste Mal, dass eine rassistische Partei ins Parlament einzog. In der Krise Anfang der 1990er Jahre wurde die Partei »Neue Demokratie« gegründet und schaffte es noch im Gründungsjahr 1991 ins Parlament. Vergleichen mit den SD war diese Partei allerdings eher lose organisiert (die folgenden Wahlen verlor sie bereits wieder) und stellte eine eher klassische rechtspopulistische Partei dar, die Steuersenkungen und schärfere Einwanderungsgesetze für Arbeitskräften und Flüchtlinge forderte. Die SD wurde dagegen 1988 von faschistischen Aktivisten gegründet. Heute behaupten sie, sich politisch grundlegend gewandelt zu haben, sie tragen Anzug und vermeiden eindeutige Äußerungen. Aber es gibt nach wie vor eine enge Verbindung zu Nazis, selbst wenn die meisten Wähler keine harten Nazis sind. Dazu kommt, dass mit der »Schwedenpartei« eine offen faschistische Partei einen Sitz in einem kleinen Regionalparlament gewonnen hat, was zeigt, dass sie im Schatten der SD Aufwind bekommen können.
Video von Protesten gegen die »Schwedendemokraten«
Die meisten Führer der SD sind ehemalige Konservative und stammen aus dem klassischen Kleinbürgertum. Es gibt eine echte Diskrepanz zwischen den Wählern und den Leuten an der Spitze der Partei. Die Partei ist im Süden Schwedens, dem reicheren ländlichen Gebiet im Gegensatz zu den ärmeren Bergbaugebieten im Norden, und auf dem Land überproportional stark. Laut einer Studie sind die Wähler eher junge Männer mit geringer Bildung, die im privaten Industriesektor arbeiten. Aber das Bild ist mehrschichtiger, es handelt sich nicht einfach nur um eine Protestwahl von Arbeitern. Die SD ist eine bekannte, schon lange existierende rassistische Partei, die ihre Kampagne vor allem gegen die »Islamisierung Europas« richtete. Wir müssen also davon ausgehen, dass ihre Wähler ernsthaft rassistischen Ideen anhängen. Die SD hat sicher auch einige Stimmen von den Sozialdemokraten erhalten, aber die meisten neuen Stimmen scheinen von den Konservativen zu kommen. Bisher gibt es noch keine genaueren Studien zur sozialen Basis der SD. Laut den Umfragen vom Wahlabend sind 7 Prozent ihrer Wähler arbeitslos und 6 Prozent Mitglieder des größten Gewerkschaftsdachverbands.
Der Absturz der Sozialdemokratie
Die Sozialdemokraten erlitten schon im Wahljahr 2006 große Verluste und landeten bei 35 Prozent, sie verloren die Regierungsmacht und der damalige Ministerpräsident Göran Persson zog sich noch am Wahlabend aus der Politik zurück. Jetzt, nach vier Jahren Wirtschaftskrise und einer konservativen Regierung, die die Kranken und Arbeitslosen angegriffen hat, die weiterhin in großem Maßstab privatisiert und verantwortlich ist für die höchste Jugendarbeitslosigkeit in Europa, hätte es eigentlich für das neu gebildete rot-grüne Bündnis ein Leichtes sein müssen, zu gewinnen. Stattdessen rutschten die Sozialdemoraten erneut ab, auf 30,66 Prozent. Das ist das schlimmste Ergebnis seit fast 100 Jahren. Die 1917 gegründete uns seitdem mehrfach gewandelte Linkspartei konnte ihren Stimmanteil von 5,6 Prozent halten, aber angesichts der Lage wird das zu Recht als Schlappe angesehen.
Wie kam es dazu? Die kurze Antwort lautet: Passivität und fehlende Klassenpolitik aufseiten der Sozialdemokratie, sodass die Konservativen sich bei der Wahl von 2006 gar als »die neue Arbeiterpartei« und diesmal als »die einzige Arbeiterpartei« bezeichneten, weil sie die Steuern für Beschäftigte etwas gesenkt haben, gleichzeitig aber griffen sie die Kranken und Arbeitslosen an.
In der von den Sozialdemokraten verfassten Wahlanalyse heißt es, die Wähler seien nach rechts gegangen, es habe Probleme mit den Medien gegeben und sie hätten ihre Botschaft nicht richtig vermitteln können. Mit anderen Worten ist an der Botschaft selbst nichts falsch, auch nicht mit dem Boten. Das hat mit der Realität nichts zu tun. Die Sozialdemokraten und die Linke ernten lediglich, was sie gesät haben. In den vergangenen vier Jahren gab es nur wenig Opposition oder Mobilisierung gegen die Regierungsangriffe. Deshalb konnte die Rechte die Themen setzen, da die Linke keine Antwort zu haben schien, zumindest keine, die sich deutlich von der der Rechten unterschieden hätte. Die Rechte profitierte von diesem Mangel an Alternativen und von der Verzweiflung angesichts der Krise. Wie in vielen anderen Ländern Europas ist die Krise der Sozialdemokratie das Ergebnis der Tatsache, dass sie anscheinend kein politisches Projekt mehr verfolgt, das die Arbeiterklasse im Blick hat, und dass sie die neoliberale Tagesordnung akzeptiert hat.
Was nun?
Der rot-grüne Block kam kurz vor den Wahlen zustande und ist von oben nach unten organisiert. Er sollte eine Antwort auf die Allianz der konservativen Parteien sein. Wie lange er halten wird, ist noch unklar, da die Grünen bereits angedeutet haben, dass sie mit der konservativen Allianz für die Verschärfung der Zuwanderungsregelungen stimmen werden. Die wichtigste konservative Partei konnte ihr bestes Wahlergebnis seit Bestehen verzeichnen und sie hat ein klar formuliertes Projekt für ihre Klasse. Die Opposition ist dagegen in postmoderner Konfusion gefangen und mit Diskussionen über eine mythische Mittelschicht beschäftigt.
Keiner der beiden großen politischen Blöcke, weder der rot-grüne noch der konservative, haben eine Mehrheit erzielt, weshalb nach wie vor unklar ist, wie die neue Regierung aussehen wird. Es ist aber denkbar, dass die konservative Allianz eine Minderheitsregierung bilden wird. Dagegen muss die übrige Linke mobilisieren und Druck auf den rot-grünen Bock ausüben, nicht mit der konservativen Allianz Kompromisse bei der Abstimmung des Haushalts oder weiterer Privatisierungen im Wohlfahrtssystem einzugehen.
Gegen die »Schwedendemokraten« gab es nur wenig organisierte Opposition und es gab nur wenige Versuche, ihre Politik zu entlarven. Gegen ihre Wahlversammlungen gab es Proteste von linken Jugendlichen, denen dann in den Medien vorgeworfen wurde, der SD dadurch faktisch Zulauf zu verschaffen. Die SD haben in der Tat versucht, sich als Opfer und Außenseiter darzustellen, aber sie wurden dabei unterstützt vom politischen Establishment und den Medien. Die Antirassisten oder Muslime dagegen haben nur wenig Gelegenheit bekommen, die andere Seite der Debatte zu präsentieren. Insgesamt ist die SD damit durchgekommen, als schwarzes Schaf der offiziellen Politik aufzutreten.
Das Wahlergebnis stellt eine große Herausforderung an die Linke dar. Was dabei möglich ist, hat sich am Tag nach der Wahl gezeigt, als es zu spontanen antirassistischen Protesten in ganz Schweden kam. Die meisten dieser Proteste waren von Einzelpersonen oder Gruppen von Individuen über Facebook organisiert. In Stockholm kündigte ein 17 Jahre altes Mädchen über Facebook eine Demonstration an, und noch am selben Abend kamen 10.000 Menschen zusammen. Aufgrund ähnlicher Initiativen versammelten sich 5.000 Menschen in Göteborg, 1.000 in Malmö und viele weitere in den Kleinstädten. Weitere Aktionen sind in den kommenden Wochen geplant und es wird sicher große Proteste zur Eröffnung des schwedischen Parlaments am 4. Oktober geben.In den kommenden Monaten muss zweierlei passieren: Erstens brauchen wir eine starke und breite antirassistische Bewegung, die in die Offensive geht. Statt zwischen den beiden in die Sackgasse führenden Taktiken des Ignorierens der SD oder des Diskutierens mit ihr über Integrationspolitik gefangen zu bleiben, müssen wir die SD als Rassisten und Faschisten entlarven, wir müssen sie isolieren und in der Arbeiterbewegung mobilisieren. Zweitens gibt ein echtes Bedürfnis nach einer neuen Linken, die optimistisch, selbstbewusst und offen ist und kämpferisch für eine bessere Gesellschaft eintritt. Vor uns liegen noch turbulente Jahre.
Aus dem Englischen: Rosemarie Nünning