Die erdrutschartige Wahlniederlage der »Christlich-Sozialen« hat mit der Qualität des politischen Personals nicht viel zu tun. Denn unabhängig davon, wer die CSU führt, kann sie sich nicht länger als eine »Volkspartei« präsentieren, die erfolgreich die unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmern und Unternehmern unter einen Hut bringt. Von Frank Eßers, Online-Redakteur marx21.de
Das Wahldesaster der CSU sei »mit Sicherheit nicht das Ergebnis von wenigen Monaten des Wahlkampfes oder von einem Jahr«, sagte CSU-Chef Erwin Huber. So weit richtig. Gemeint hat er aber nicht das Ende eines Regierungsmodells, sondern gab damit indirekt dem ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber eine Mitschuld. Stoiber ist das gute Ergebnis für seine Partei bei der Landtagswahl 2003 in der Tat zu Kopf gestiegen. Doch der politische Erdrutsch in der Alpenrepublik – minus 17,3 Prozent gegenüber der Landtagswahl 2003 – ist keine Frage des Personals. Daran hätte auch ein Franz Josef Strauß nichts ändern können.
Die CSU konnte sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr als jene typisch bayerische »Volkspartei« präsentieren, die erfolgreich die unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmern und Unternehmern unter einen Hut bringt. Dem Modell des Burgfriedens zwischen Kapital und Arbeit hat die Stagnationskrise des Kapitalismus auch im vergleichsweise wohlhabenden Bayern die Grundlage entzogen.
Laptop und Lederhose
Als sich ab den 70er Jahren im landwirtschaftlich geprägten Bayern eine moderne Industrie entwickelte und die CSU die Ansiedlung von Automobil-, Rüstungs- und später IT-Unternehmen kräftig förderte, wurde ein Teil der steigenden Steuereinnahmen und Subventionen aus Bundes- und EU-Töpfen eingesetzt, um die Bildung und soziale Leistungen zu finanzieren. Bayern war nicht, wie sozialdemokratisch regierte Bundesländer, durch den Niedergang der Montanindustrie und damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit belastet.
Franz-Josef Strauß hat die den Erfolg der CSU ausmachende Mischung aus Tradition und Moderne in den Satz gegossen: »Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren.« Als 1998 der damalige Bundespräsident und gebürtige Niederbayer Roman Herzog das mit dem griffigen Slogan »Laptop und Lederhose« ausdrückte, war das Haltbarkeitsdatum dieses wertekonservativen Staatskapitalismus bereits überschritten. Vier Jahre zuvor hatte Stoiber die »Offensive Zukunft Bayern« gestartet: Privatisierungserlöse, zum Beispiel aus dem Verkauf des Energieunternehmens Viag, wurden in einem Fond gesammelt, aus dem die Landesregierung Projekte in den Sektoren Hochtechnologie und Bildung mit finanzierte. Laut Handelsblatt arbeiteten Mitte vergangenen Jahres »fast 60 Prozent aller Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes in Bayern in High-Tech-Branchen.«
Widerstand gegen Profitgier
Doch der härter werdende Konkurrenzkampf auf den (Welt-)Märkten ist auch an Bayern nicht vorüber gezogen. In den vergangenen Jahren wanderten Betriebe ab und oder wurden geschlossen, wie zum Beispiel das AEG-Werk in Nürnberg, sowie das Infineon- und BenQ-Werk in München. Gegen alle drei Schließungen haben sich die Belegschaften heftig gewehrt.
Im Jahr 2006 ist der Streik bei AEG Nürnberg bundesweit zum Symbol des Widerstands gegen ein System geworden, das den Aktienkurs in die Höhe schnellen lässt, wenn Arbeitsplätze vernichtet werden: Der Konzernvorstand wollte höhere Gewinne, um die internationale Konkurrenz zu verdrängen. Deshalb sollte die Produktion ins Ausland verlagert werden. Unter anderem ins polnische Zarow, eine so genannte Sonderwirtschaftszone, in der besonders günstige Bedingungen für Konzerne herrschen: niedrige Löhne, schwache Gewerkschaften, keine Betriebsräte.
Da es in Nürnberg und im Umland keine entsprechenden Arbeitsplätze gibt, war den streikenden Kollegen klar, dass ihnen Hartz IV droht. Die CSU hat keine ernsthaften Anstrengungen zur Rettung der Betriebe unternommen. Auch das hat die Partei Sympathie gekostet.
Wer regiert, verliert
Während Rot-Grün mit der Agenda 2010 das bisher größte Sozialabbau-Programm in der Geschichte der Bundesrepublik startete, verschärfte auch die CSU die Gangart und rückte die Sanierung des Landeshaushaltes ins Zentrum ihrer Politik.
Offenbar fühlte sich die CSU und ihr Ministerpräsident durch das Ergebnis der Landtagswahlen 2003 stark genug, den Kürzungskurs ohne größere Blessuren durchzuhalten. Sie erhielt damals 60,7 Prozent der Wählerstimmen. Das war das zweitbeste Ergebnis in der Parteigeschichte.
Im Sozial- und Bildungsbereich wurden große Summen eingespart. 2004 wurden bei einem Gesamthaushalt von knapp über 30 Milliarden Euro etwa 1,6 Milliarden gekürzt, 160 Millionen allein im Sozialbereich und rund 60 Millionen bei der Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen und Ausländern.
Die wöchentliche Arbeitszeit von Beamten und Landesangestellten wurde ohne Lohnausgleich auf 42 Stunden angehoben, und Urlaubs- und Weihnachtsgeld empfindlich gekürzt.
Bei den Bundestagswahlen im Herbst 2005 verlor die CSU 900.000 Wählerstimmen. Trotzdem verfolgte sie den Kürzungskurs weiter und legte für 2007/2008 einen »ausgeglichenen« Doppelhaushalt vor.
Stoibers Ruf innerhalb und außerhalb der CSU war zu diesem Zeitpunkt schon ruiniert und die Partei innerlich zerrissen. Ende 2007 kürte die CSU eine neue Doppelspitze: Erwin Huber wurde neuer CSU-Chef und der bisherige Innenminister Günther Beckstein bayerischer Ministerpräsident. Beide haben in dem einen Jahr, das seitdem vergangen ist, eine unglückliche Figur gemacht. Keiner konnte den Verfall der Volkspartei aufhalten. Denn der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit lässt sich eine Zeit lang zudecken. Manchmal auch über Jahrzehnte. Aber irgendwann bricht er auf. Das ist in Bayern geschehen.
Besonders hoch verloren die »Christlich-Sozialen« bei jungen Wählern, Arbeitern, Selbständigen und Angestellten. Nur unterdurchschnittlich wurde die CSU auch von Beamten und Angestellten gewählt.
Selbst im tiefschwarzen Ostbayern konnten die Partei ihren Verfall nicht aufhalten. In seinem Stimmkreis Dingolfing musste Parteichef Huber eine persönliche Niederlage einstecken. Zwar verteidigte er dort sein Direktmandat, doch er verlor massiv an Vertrauen. Bei der Landtagswahl 2003 ist Huber noch mit 67,5 Prozent der Stimmen gewählt worden. Dieses Mal waren es 20 Prozent weniger.
Freie Wähler
Drei Themen standen bei der Landtagswahl im Vordergrund: Wirtschaftspolitik, soziale Gerechtigkeit und Bildung. Obwohl die wirtschaftliche Lage Bayerns im Vergleich zu andren Bundesländern gut ist, haben viele Wähler das Gefühl, nicht vom Aufschwung zu profitieren.
Profitiert haben von dieser Stimmung vor allem die Freien Wähler, die mit Gerechtigkeitsthemen punkteten. 230.000 Stimmen sind von der CSU zu ihnen gewandert und sie haben 10,2 Prozent der Stimmen erhalten. Die Freien Wähler sind keine programmatisch einheitliche Partei. Ihr Profil ist ihr Engagement in den Kommunen und auch in Bürgerbewegungen wie der gegen den Bau einer 3. Startbahn am Münchner Flughafen. Die Baupläne sorgten im betroffenen Freising für einen Stimmenverlust von 30 Prozent für die CSU.
In den Kommunen sind die als konservativ geltenden Freien Wähler stark verankert: Fast 40 Prozent aller Gemeinde- und Stadträte in Bayern sind parteifrei. Jeder dritte Bürgermeister ist Mitglied der Freien Wähler. Sie stellen mit 14 Landräten die zweitmeisten in Bayern. Ein Landrat ist der Hauptverwaltungsbeamten eines Landkreises oder Kreises. Er vertritt den (Land)Kreis nach außen.
In ihrem TV-Wahlwerbespot bieten die Freien Wähler eine aufgepeppete Variante der Lederhose- und-Laptop-Politik. Sie versprechen die Förderung des Mittelstandes und den Erhalt von Arbeitsplätzen, den Einsatz vor Ort für den Erhalt der Schulen und die Förderung erneuerbarer Energien. Mit den letzten beiden Themen haben sie einen deutliche Kontrapunkte zur CSU gesetzt. Sollten sie allerdings in eine Koalitionsregierung mit der CSU – und vielleicht auch der FDP – eintreten, wird sich das Image der »Wir kümmern uns«-Partei abnutzen. Denn in einer Landesregierung müssten sie Kürzungen mittragen, gegen die sie in den Kommunen tatsächlich oder vorgeblich kämpfen.
Keine Ypsilanti-SPD in Bayern
Im Gegensatz zur SPD unter Ypsilanti in Hessen hat sich die bayerische Sozialdemokratie nicht vom Kurs der Agenda-2010-Politik der bundesweiten Parteiführung distanziert. Als Protestpartei gegen Neoliberalismus kam sie deshalb nicht in Frage. Im Gegenteil: Die bayerische SPD hat 1 Prozent gegenüber der Wahl 2003 verloren und fuhr – wie die CSU – das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte ein.
Zwar konnte die Partei der CSU ungefähr 80.000 Stimmen abnehmen, verlor aber gleichzeitig an DIE LINKE und die Freien Wähler. Auch die Übernahme der SPD-Führung durch die Parteirechte und Agenda-2010-Politiker wie Steinmeier und Müntefering dürfte der bayerischen SPD geschadet haben.
Dauerhafte Krise der »Volksparteien«
Der Vertrauenverlust der beiden »Volksparteien« CSU und SPD ist ein langfristiger Trend: Konnten die beiden Parteien bei der bayerischen Landtagswahl 1982 laut Tagesschau-Wahlmonitor noch rund 90 Prozent aller Stimmen auf sich vereinigen, waren es 2003 10 Prozent weniger. Dramatisch ist der Einbruch bei dieser Wahl: CSU und SPD kommen zusammen auf nur noch knapp 60 Prozent der Stimmen. Zu glauben, diese tiefe und langanhaltende Parteienkrise ließe sich einfach durch einen Personalwechsel in den Griff bekommen, ist eine Illusion.
Instabile Union
Bayern ist keine Ausnahme: Bundesweit bietet sich ein ähnliches Bild. Es wird viel über die Krise der SPD berichtet, doch die Union steht keineswegs gut da. Angela Merkel hingegen sieht die Union durch das Landtagswahlergebnis nicht geschwächt: »Für die Arbeit in der Großen Koalition heißt das für die nächsten Monate erst einmal, dass die Union weiter der Faktor der Stabilität ist«, erklärte die Kanzlerin laut Spiegel-Online. Das gelte laut Merkel besonders vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise. Hier sei die Union in besonderer Weise gefragt. Denn das Wahlergebnis der SPD in Bayern zeige, dass sie diese Rolle nicht spielen könne.
Dass die Union gerade wegen der Finanzkrise ein »Faktor der Stabilität« sein soll, zeugt von Realitätsverlust. Neoliberale und Marktbefürworter müssen derzeit ihre Köpfe einziehen. Jahrelang haben sie Deregulierung gepredigt und durchgesetzt. Vorne mit dabei war stets die Union. Sie hat den Karren mit in den Dreck gefahren und deshalb schwindet auch das Vertrauen in die Konservativen.
Mehrere Landesbanken und die Mittelstandsbank IKB-Bank stecken im Spekulationssumpf fest. Für die Verluste werden die Steuerzahler zur Kasse gebenten. Sie sichern damit auch die Spekulanten selbst ab.
Für die Rettung von AEG, Infineon, BenQ konnte der Staat angeblich nichts tun. In Schulen und Kindergärten fehlt Geld und es regnet durch so manches Dach. Auch dafür war angeblich kein Geld da. Für Spekulanten und Aktionäre hingegen macht es die Bundesregierung locker. Das wird neben der SPD auch der Union angelastet.
Finanzkrise: Harte Zeiten
Mit der angeschlagenen deutschen Großbank »Hypo Real Estate« ist erstmals ein DAX-Konzern betroffen. Doch es wird nicht bei den Banken bleiben. Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen für das nächste Jahr signifikant nach unten korrigiert. Sie erwarten einen deutlichen Rückgang der Konjunktur und höhere Arbeitslosigkeit.
Vor diesem Hintergrund sah sich Finanzminister Steinbrück am vergangenen Donnerstag veranlasst, in einer Regierungserklärung die Bevölkerung auf harte Zeiten einzustimmen: »Unsere Realwirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen«. Genau das hatten Union und SPD unisono noch vor Kurzem abgestritten. Beide Parteien werden versuchen, die Folgen der Finanzkrise auf die Bevölkerung abzuwälzen. Es ist unwahrscheinlich, dass die dadurch erzeugte Wut nicht auch die Union trifft.
Chancen für DIE LINKE
DIE LINKE in Bayern hat bei der Landtagswahl 4,3 Prozent der Stimmen erhalten und damit den Einzug in den Landtag nicht geschafft. »Siegeszug der Linken bricht ab« lautete eine Schlagzeile der »Financial Times Deutschland« am Wahlabend. Damit liegt das Blatt daneben. Denn um das Ergebnis korrekt einzuordnen, müssen mehrere Dinge berücksichtigt werden. In Bayern ist die LINKE das erste Mal zu Landtagswahlen angetreten. Sie ist dort noch eine kleine Partei mit knapp 3000 Mitgliedern. In der Fläche, vor allem auf dem Land, ist sie bisher nur schwach vertreten. Dafür ist das Ergebnis beachtlich. Bei der Bundestagswahl hat LINKE in Bayern 3,4 Prozent erhalten, also nochmals zugelegt – bei leicht gestiegener Wahlbeteiligung. In den letzten 12 Monaten hat die Partei 1000 Mitglieder gewonnen.
Überdurchschnittliche Ergebnisse konnte sie bei Arbeitslosen (14 Prozent) und bei Arbeitern (6 Prozent) erzielen. 5 Prozent der Angestellten gaben der LINKEN ihre Stimme.
Es gab aber auch Schwächen. Bei den Protesten gegen Bildungskürzungen oder den Bau der Startbahn 3 war die LINKE kaum sichtbar. In der Landeshauptstadt München ist es der LINKEN zudem nicht gelungen, die Mehrheit der Mitglieder in den Wahlkampf einzubeziehen. Mit 5,2 Prozent schnitt sie dennoch über dem Landesdurchschnitt ab.
DIE LINKE verleiht der Stimmung der Bevölkerung Ausdruck
Die LINKE hat auf das Thema soziale Gerechtigkeit gesetzt: In ihrem Sofortprogramm fordert sie Initiativen im bayerischen Landtag für einen Mindestlohn von 8,50 Euro, die Abschaffung der Studiengebühren und die Wiedereinführung der Pendlerpauschale. Des Weiteren fordert sie die Rücknahme der Verschärfung des bayerischen Versammlungsgesetzes und den Verzicht auf den Bau einer 3. Startbahn am Münchner Flughafen.
In ihrem Wahlspot spitzt die LINKE die soziale Frage zu: »Reichtum ist ungerecht verteilt«, sagt zum Beispiel Anny Heike, DIE LINKE. Mittelfranken. »Deshalb wollen wir die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine gerechte Besteuerung von Unternehmensgewinnen. Und damit können wir ihn Bayern eine gebührenfreie Bildung finanzieren.«
Gegen Privatisierung lautet die Botschaft: »Busse und Bahnen, Schulen und Krankenhäuser gehören in die öffentliche Hand«, so Heike weiter. Sie fordert ein entsprechendes Investitionsprogramm »in allen Regionen Bayerns.« Damit spielt sie auf die sehr uneinheitliche Verteilung der Investitionen unter Stoiber und Co. an. Während die High-Tech-Branche im Großraum München gefördert wurde, hat die CSU für andere Regionen nichts oder nur wenig getan.
Solche Botschaften, die der Stimmung weiter Teile der Bevölkerung Ausdruck verleihen, haben noch zu wenige erreicht, um die LINKE in den Landtag zu bringen. Aber durch die Krise der CSU und der SPD sind die Chancen für DIE LINKE besser geworden. Sie hat also gute Möglichkeiten, neue Mitglieder und Wähler zu gewinnen.