Nach den Europawahlen zieht die »Alternative für Deutschland« (AfD) mit sieben Abgeordneten ins Europaparlament ein. Außerdem ist sie seit dem Wochenende in verschiedenen Kommunalparlamenten vertreten. marx21.de sprach mit Andreas Kemper darüber, woher die Partei kommt, wofür sie steht und was sie von Pro Deutschland und der NPD unterscheidet
marx21.de: Die AfD hat im Europawahlkampf wie schon im Bundestagswahlkampf an eine Euro-skeptische Stimmung in der Bevölkerung angeknüpft. Wer würde denn von den wirtschaftspolitischen Alternativen der AfD profitieren?
Andreas Kemper: Die AfD vertritt wirtschaftspolitisch die Interessen reicher Familienunternehmer, die in den Verbänden der Familienunternehmer organisiert sind, und die von privilegierten heterosexuellen Familien aus der oberen Mittelschicht.
Welche Interessen meinst du?
Die AfD entstand nach einem Streit zwischen Verbänden von Unternehmen um den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Der Bundesverband der deutschen Industrie wollte den ESM, die Verbände von Familienunternehmen bekämpften den ESM. Während CDU/CSU und FDP die Mehrheitsinteressen des Bundesverbandes der deutschen Industrie vertraten, entstand die AfD als Interessenvertretung für die im Parlament nicht mehr repräsentierten Interessen der Familienunternehmer-Verbände hinsichtlich der europäischen Finanzpolitik. Zunächst versuchten der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel und Stefan Werhahn, der Cousin des damaligen Präsidenten des Verbandes »Die Familienunternehmer«, die Freien Wähler als neue Partei zu nutzen. Als dies nicht gelang, wurde die AfD gegründet. Die 18.000 Mitglieder der AfD gehören einem privilegierten Milieu an, sie sind vorwiegend männlich, weiß, deutsch, obere Mittelschicht, hetero.
Wie schätzen diese Menschen ihre soziale Lage ein?
Sie wähnen sich als die eigentlichen Opfer. Mir stellte sich nach einer Veranstaltung ein Zuhörer von der AfD vor mit der Kennzeichnung »Wir sind die werteschaffenden Familienväter«. Er schrieb einen Artikel, in dem er das Milieu der weißen deutschen gut verdienenden Familienväter als die eigentlich diskriminierte Gruppe darstellte. Als der schwule Fußballspieler Hitzlsperger sich outete, sagte der Parteivorsitzende Bernd Lucke, dazu gehöre kein Mut, ein Bekenntnis zur Familie hätte sehr viel mehr Mut erfordert. Man fühlt sich von Minderheitenlobbys drangsaliert, die angeblich die gesunde Mehrheit ausbeuten und Deutschland abschaffen. In dieser Logik werden dann kritische Menschen als »linke SA« tituliert. Manche schrecken nicht einmal vor einem Vergleich der AfD mit Juden und Jüdinnen im NS-Regime zurück.
Die AfD hat sich im Europawahlkampf sehr demokratisch präsentiert. Sie hat das Grundgesetz zitiert und für direkte Demokratie geworben. Was für ein politisches System schwebt der AfD vor?
Offiziell tritt die AfD für nationalsouveräne direkte Demokratie ein. Sie ist für Volksentscheide auf Bundesebene – vor allem, um europäische Gesetze abwehren zu können. Nach dem ausländerfeindlichen Volksentscheid in der Schweiz wird gerne die Sprachregelung übernommen: »Volksentscheide nach Schweizer Vorbild«. Direkte Demokratie meint aber auch Angriff auf die Parteiendemokratie. Hier verfolgen einige Gründer und Repräsentanten der AfD ein bonapartistisches Modell.
Was meinst Du mit bonapartistisch?
Ich verweise auf Thomas Wagners lesenswertes Buch »Demokratie als Mogelpackung. Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus«, in dem er schon lange vor Entstehung der AfD auf die entsprechenden Bestrebungen aufmerksam gemacht hat. Es geht darum, durch den Abbau der Parteiendemokratie soziale Parteienbündnisse und Programme zu verhindern und unpopulären Sozialabbau zu ermöglichen. Diese »Reform der politischen Entscheidungsstruktur« ist das Ergebnis jahrelangen Suchens nach einer politischen Struktur, die angebliche Leistungsträger vor einer befürchteten Tyrannei der Mehrheit schützt. Ganz deutlich wird das Ziel dieser Reise in Hermann Behrendts »Realutopie« mit dem Titel »Mandative Demokratie«.
Was fordert Behrendt?
Die parlamentarische Demokratie soll abgeschafft werden, um in einem zweiten Schritt unter anderem das Streikrecht und den Kündigungsschutz abzuschaffen. So deutlich wird Hans-Olaf Henkel nicht, er oder der von ihm mitgegründete Konvent für Deutschland fordern Direktwahlen von Bundespräsidenten und Landesministerpräsidenten, die dann mit größerer Macht ausgestattet werden, die Abschaffung von Parteienstiftungen. Zudem wird die Entkopplung der Rekrutierung von Richtern von gewählten Parteien gefordert und dazu passt, dass die AfD Verkleinerungen von Parlamenten fordert.
- Chancen für die Linke, Gefahr von rechts: Die politische Krise der EU ist noch lange nicht vorbei – das hat die Europawahl am 25. Mai gezeigt. Eine Analyse von Lucia Schnell und Volkhard Mosler
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