Die arabische Revolution zeigt Wirkung. Die Palästinenser schöpfen neue Hoffnung. Doch die jüngste Einigung von Hamas und Fatah bedeutet keineswegs eine Vereinigung des Widerstands gegen Besatzung und Unterdrückung durch Israel. Von Paul Grasse
Für viele überraschend haben sich Fatah, Hamas und andere palästinensische Gruppen auf ein Abkommen geeinigt, das den politischen Konflikt zwischen Hamas und Fatah beenden soll. Die Organisationen wollen eine gemeinsame Regierung aus nicht parteigebundenen Technokraten aufstellen, es soll einen Termin für Wahlen in Gaza und dem Westjordanland geben. Das Kairoer Abkommen beinhaltet auch die Zusammenlegung der bewaffneten Sicherheitskräfte und die gegenseitige Freilassung der politischen Gefangenen.
Das Abkommen kam zustande, weil die arabische Revolution auch die Machtverhältnisse in Palästina verändert hat. Der Präsident der Autonomiebehörde Abbas antwortete auf die Frage, was zu der Einigung zwischen Fatah und Hamas geführt habe: »Was passiert ist, wollen Sie wissen? Die arabischen Revolutionen. Mehr sage ich nicht.«
Erfolglose Kämpfer
Sowohl Fatah als auch die Hamas stehen wegen ihrer Erfolglosigkeit unter Druck: Während die Repression sowohl im Westjordanland als auch in Gaza wächst, ist ein Ende der Besatzung nicht in Sicht, und die Lebensverhältnisse der Menschen verschlechtern sich immer weiter. Widerstand gegen die Besatzung und die israelische Besiedelung organisiert die Hamas nicht, geschweige denn die im Westjordanland regierende Fatah.
Unter den Palästinensern wächst die Wut auf beide Fraktionen. Im März traten Studenten aus Gaza mit einem wütenden Pamphlet an die Öffentlichkeit, in welchem sie sowohl Hamas als auch Fatah scharf kritisierten. Die darauf folgenden Proteste der Studenten wurden von beiden Verwaltungen kompromisslos niedergeschlagen. Die Volksinitiativen, die seit Jahren mit der Unterstützung internationaler Aktivisten und israelischer Anarchisten militante Aktionen gegen die Mauer organisieren, erhalten keinerlei Unterstützung.
Neue Intifada?
Auch die Märsche der Flüchtlinge auf die Grenzen am Tag der Nakba (dem Jahrestag der Massenvertreibungen am 15. Mai 1948) im Golan, in Gaza und in Jerusalem und die Proteste an israelischen Botschaften in arabischen Staaten hatten keine Verbindung zu Hamas oder Fatah, die als Widerstandsorganisationen in der Pflicht gewesen wären, ebenfalls Massenproteste zu ermutigen. Allein in Kairo führte die Niederschlagung des Versuchs, die israelische Botschaft zu stürmen, zu mehr als 300 Verletzten und mindestens einem getöteten Demonstranten. Israel erschoss mindestens zehn am Sturm auf die Grenzen beteiligte Flüchtlinge.
Zwar wurden die Rufe nach einem Ende der Spaltung der Palästinenser in den vergangenen Monaten immer lauter. Die Menschen fordern aber nicht einfach eine neue Übergangsregierung, die für Israel die billigste Besatzung der Geschichte verwaltet, sondern sie wollen eine politische Führung, die in der Lage ist, breiten Widerstand auf allen Ebenen zu organisieren. Bei Reisen durch Palästina begegnet einem oft die gleiche Forderung, wie sie auch die Abgeordnete der palästinensischen Balad-Partei im israelischen Parlament Haneen Zoabi erhebt: »Wir brauchen eine neue Intifada!«
Gefährdete Privilegien
Die Einbindung der größten politischen Parteien und der PLO in die Besatzung durch die angeblichen Friedensverträge von Oslo 1994 hat dazu geführt, dass die Basis- und Flüchtlingsorganisationen, Berufsvereinigungen und Gewerkschaften, die das Rückgrat der Intifada ab 1987 waren, weitgehend unbedeutend für den Widerstand geworden sind. Die Entstehung neuer Organisationen wird durch die Repression Israels, in den arabischen Nachbarstaaten und auch durch die diktatorischen Verhältnisse unter den Verwaltungen von Hamas und Fatah unterdrückt. Hamas und Fatah sind nicht bereit, die Autonomiebehörde aufzulösen und die Verantwortung für die Besatzung und die Unterdrückung an Israel zurück zu geben. Sie haben kein Interesse daran, ihr internationales Renommee und ihre Privilegien zu gefährden. Stattdessen suchen sie einen Ausweg darin, Wahlen zu einem Unterdrückungs- und Verwaltungsapparat im Dienste der Besatzung zu versprechen.
Ähnlich war die Situation in den frühen 90er Jahren, als die Geheimverhandlungen geführt wurden, die in den Osloer Verträgen mündeten: Die Intifada, eine populäre Massenbewegung, machte offensichtlich, dass die PLO irrelevant geworden war. Es war diese Intifada, die Palästina zurück auf die politische Landkarte brachte, nicht die PLO-Funktionäre im Exil in Tunis. Die Gefahr, politisch vollkommen irrelevant zu werden, brachte die palästinensischen Eliten dazu, in Oslo im Austausch für wirtschaftliche Monopole und Privilegien und für die Möglichkeit, in Gaza und dem Westjordanland einen Verwaltungsapparat von Israels Gnaden aufzubauen, grundlegende palästinensische Rechte aufzugeben oder auf »Endstatusverhandlungen« zu vertagen, die niemals stattfinden sollten.
Spaltung der Palästinenser
Oslo zementierte außerdem die Spaltung zwischen den drei großen palästinensischen Bevölkerungsgruppen: Erstens den israelischen Palästinensern, die von Vertreibung, Landraub, Entrechtung und Rassismus betroffen waren, zweitens den Flüchtlingen, die in den Flüchtlingslagern in Gaza, dem Westjordanland, und den angrenzenden Staaten um ihr Recht auf Rückkehr kämpften und drittens den von der militärischen Besatzung direkt betroffenen Menschen.
Heute ist die Fatah wegen ihrer Abhängigkeit von der Autonomiebehörde zu großen Teilen extrem korrupt, während die Hamas den fehlenden Widerstand mit religiösem Konservatismus und Repression zu kaschieren versucht. Die Blockade Gazas besteht in der Luft, zur See und an Land – bis auf einen Übergang zu Ägypten in Rafah – weiterhin. Die Glaubwürdigkeit der Autonomiebehörde von Abbas ist zerstört, besonders nach der Veröffentlichung von 1600 Dokumenten auf Al Jazeera, die zeigen, dass Abbas bereit war, für eine symbolische Geste der Versöhnung, die er nicht bekam, Israel die Aufrechterhaltung der Siedlungen, die Negierung der Rechte der Flüchtlinge und des Rechts auf Jerusalem als Hauptstadt zu erlauben. Die von der Fatah dominierte Autonomiebehörde hält sich nur noch mit einem riesigen, von der CIA in Jordanien ausgebildeten Repressionsapparat von 30.000 Paramilitärs an der Macht.
Unterstützer in Not
Während mit Mubarak eine wesentliche Stütze der Fatah im Ausland weggefallen ist, wackelt mit der syrischen Diktatur ein zentraler Unterstützer der Hamas. Die Mutterorganisation der Hamas, die Muslimbruderschaft in Ägypten, hat in der Revolution ebenso weitgehend versagt und spielte auch jetzt keine zentrale Rolle in den Solidaritäts-Protesten für die Palästinenser in Ägypten. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Muslimbruderschaft versucht, sich durch eine stille Übereinkunft mit dem immer repressiver werdenden Militärapparat internationale Glaubwürdigkeit durch die westlichen Regierungen zu erkaufen. Ihre »Tochter« Hamas ist – anders als 1987 in der Intifada – nicht in der Lage, die Bewegung aufzugreifen und zu verstärken.
Diese Schwäche beider Organisationen war der wesentliche Auslöser für die Annäherung. Die Führungen von Hamas und Fatah sehen sich nicht in der Lage, diese Probleme allein zu lösen. Mit der Annäherung soll auch die Ausgangspositionen für die im September bei der UN verhandelte palästinensische staatliche Anerkennung verbessert werden: Es gilt als unwahrscheinlich, dass eine gespaltene palästinensische Führung internationale Anerkennung bekommt.
Netanyahu bleibt hart
Wie auch immer die UN-Debatte ausfällt – die israelische Regierung in Person von Benjamin Netanyahu hat nach den jüngsten Rede von US-Präsident Obama klargemacht, dass sie die Siedlungen nicht räumen und keine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 akzeptieren wird. Das Grundproblem eines möglichen palästinensischen Staates, nämlich dass er zersiedelt, nicht lebensfähig und de facto ohne wirkliche Souveränität ist, bleibt also bestehen. Die UN-Anerkennung wäre eine Legitimierung eines Territoriums mit temporären – also ohne feste – Grenzen.
Das Abkommen der palästinischen Verwaltungsapparate und ihrer Hauptorganisationen Hamas und Fatah führt nicht zu einer Überwindung der Spaltung zwischen den drei oben beschriebenen palästinensischen Bevölkerungsgruppen – auch wenn die Anwesenheit von drei arabischen Angeordneten aus der Knesseth (dem israelischen Parlament) von israelischen Politikern als fundamentale Bedrohung angesehen wird. Die politische Überwindung dieser Spaltung wäre aber die Hauptvoraussetzung für eine wirkliche Verbesserung der Kampfbedingungen und einen neuen populären Widerstand, also für eine neue Intifada, die über die Grenzen des Westjordanlands und Gazas hinausgeht. Ein erster Schritt dazu wäre die Auflösung der Autonomiebehörde und die Rückgabe der Verantwortung und der Kosten für die Besatzung an Israel. Neben der Fortsetzung der erfolgreichen arabischen Revolutionen könnte das zu einer Verbreiterung der Bewegung auf die israelischen Palästinenser und eine politische und kämpferische Wiedervereinigung mit den palästinensischen Flüchtlingen hinauslaufen.