Die ver.di-Niederlage bei der Telekom zeigt: Um das „entfesselte Kapital« zu schlagen, müssen sich Gewerkschaftspolitik und Streikführung radikal ändern. Dazu kann DIE LINKE einen wichtigen Beitrag leisten. Von Frank Eßers
Der Autor ist Mitglied von DIE LINKE Berlin-Neukölln und Online-Redakteur bei marx21.de
Auslagerung von 50.000 Arbeitern bei der T-Com in drei Service-Gesellschaften, mehr Arbeit, 6,5 Prozent weniger Lohn: Der Tarifabschluss bei der Telekom ist eine eindeutige Niederlage für ver.di. In allen wesentlichen Punkten haben sich die Telekom-Bosse durchgesetzt. Darin sind sich Analysten und Kommentatoren einig. Sie haben ihr Ziel erreicht, bis zum Jahr 2010 500 bis 900 Millionen Euro im Jahr einzusparen. „Wir sind sehr zufrieden«, sagte Personalvorstand Thomas Sattelberger dem Handelsblatt. Das ist allerdings nur ein kleiner Teil eines umfassenden Sparpaketes. Insgesamt will der Konzern ab dem Jahr 2010 die Kosten um 4,2 bis 4,7 Milliarden Euro senken. Ein wesentlicher Grund ist, dass der Telekom der Umsatz im Inland wegbricht. 2 Millionen Kunden haben im vergangenen Jahr ihren Telekom-Anschluss gekündigt. Auf dem boomenden DSL-Markt sieht es für die Telekom zwar besser aus, aber hier herrscht ein harter Preiskampf.
Warum der Abschluss eine Niederlage ist
Die ver.di-Führung hat intensiv in der Belegschaft dafür geworben, in einer Urabstimmung dem Verhandlungsergebnis zuzustimmen. ver.di begründet das damit, dass die 6,5 Prozent Lohnsenkung bis 2011 nur auf dem Papier stehen, es in der Realität aber nicht zu Einkommenseinbußen käme. Denn die Lohnsenkung soll durch „Ausgleichzahlungen« abgefedert werden: zu 100 Prozent in den nächsten 18 Monaten, zu 66,66 Prozent in den darauf folgenden 12 Monaten und zu 33,33 Prozent für das Jahr darauf. In den Tarifrunden 2009 und 2010 würde laut ver.di schon jeweils eine 2,2 prozentige Lohnerhöhung ausreichen, um das gegenwärtige Lohnniveau zu halten. Solche Lohnerhöhungen, seien leicht zu erreichen, so ver.di weiter.
Doch alleine die vereinbarte Erhöhung der Arbeitszeit von 34 auf 38 Stunden in der Woche ohne Lohnausgleich, die ab 1. Juli gilt, entspricht einer indirekten Lohnkürzung von 11,76 Prozent. Der Samstag wird zum Regelarbeitstag, damit entfallen alle Zuschläge. Für 2008 hat ver.di zudem eine Nullrunde vereinbart – und zwar für alle Arbeitnehmer der T-Com und der Konzernzentrale. Die „Ausgleichszahlungen« für die von Auslagerung betroffenen Kolleginnen und Kollegen werden also durch Lohnverzicht finanziert. Angesichts dieser Fakten ist die Behauptung der Gewerkschaftsführung, dass der „Griff in die Tasche der Beschäftigten abgewehrt« worden ist, unhaltbar.
Besonders hart trifft es neu Eingestellte und Auszubildende. Für sie sollen neue Tarife und Einstiegsgehälter gelten, die um bis zu 30 Prozent niedriger sind. Das spaltet die Belegschaft und reduziert für die Zukunft die Kampfkraft. Zudem soll der Anteil so genannter „variabler Lohnbestandteile«, die nur bei Erfüllung von Konzernvorgaben gezahlt werden, erhöht werden.
Dass die neuen Service-Gesellschaften bis einschließlich 2010 vor einem Verkauf geschützt sein sollen, verbucht ver.di ebenfalls als Erfolg. Doch damit sind die Probleme bestenfalls aufgeschoben, aber nicht gelöst. Sollten die Telekom-Bosse ab 2011 verkaufen wollen, müsste ver.di sich wehren – dann allerdings unter ungünstigeren Umständen. Denn durch die Auslagerung sind die Kampfbedingungen für die betroffenen Belegschaften schlechter.
Außerdem ist das miserable Verhandlungsergebnis schädlich für die Belegschaften anderer Betriebe und Branchen. Mitten im Aufschwung und bei guten Gewinnen ist es dem Telekom-Vorstand gelungen, Löhne zu drücken und die Belegschaft zu spalten. Das wird bei anderen Unternehmen Nachahmer finden.
Nach fünfwöchigem Streik haben 72,6 Prozent der rund 22.000 zur Stimmabgabe aufgerufenen Mitarbeiter für die erzielte Verhandlungslösung abgestimmt. Angesichts einer fehlenden Alternative und Perspektive zu der von der ver.di-Führung angebotenen, ist diese hohe Zustimmung nicht überraschend. Der Streik ist schon während der Verhandlung mit den Telekom-Bossen herunter gefahren worden und schon vor der Urabstimmung war er faktisch weitgehend beendet – wenn auch noch nicht offiziell. Nun ist der Arbeitskampf auch formal beendet. Er wirft eine Reihe Fragen auf, deren Beantwortung nicht nur für Gewerkschafter, sondern auch für DIE LINKE wichtig sind, vor allem jene nach den Ursachen der Niederlage.
Ursachen der Niederlage
Es gibt vier Dinge, die der Niederlage zugrunde liegen. Zunächst hat ver.di bei der Telekom mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass der Bund als größter Aktionär auf Seiten der Telekom-Bosse steht. Werner Dreibus, gewerkschaftspolitischer Sprecher der LINKE-Bundestagsfraktion hat in einer Solidaritätserklärung der LINKEN an die streikenden Telekom-Mitarbeiter festgestellt: „Die Bundesregierung hat einen eigenen Vertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom AG. Außerdem sitzt dort auch ein Vertreter der bundeseigenen KfW-Bankengruppe. Der Bund besitzt rund 30 Prozent der Anteile an der Telekom. DIE LINKE. fordert, dass dieser Einfluss von der Bundesregierung genutzt werden muss, um einen weiteren Arbeitsplatzabbau und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu verhindern. Dieser Forderung hat DIE LINKE. in den vergangenen Monaten mit Anfragen und Anträgen im Deutschen Bundestag und in öffentlichen Erklärungen Nachdruck verliehen. Der Bundestag hat diese Anträge mit den Stimmen der Regierungsparteien zurückgewiesen. Auch die Bundesregierung lässt keine Bemühungen erkennen, dem Arbeitsplatzabbau bei der Telekom wirksam entgegen zu treten.«
Die Bundesregierung könnte Telekom-Boss Obermann und seine arbeitnehmerfeindlichen Kürzungs- und Umstrukturierungspläne stoppen. Aber sie will nicht. Deshalb trägt sie die Hauptverantwortung dafür, dass mit dem Telekom-Abschluss das Beispiel, durch Abspaltung von Firmenteilen kurzfristig Kosten zu senken, weiter Schule machen wird. Der Telekom-Abschluss ist staatlich sanktionierte Lohndrückerei.
Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der LINKEN, hat Recht, wenn er in einer Presseerklärung am 25. Mai schreibt: „Es ist doch verlogen, wenn die SPD Unterschriften für einen Mindestlohn von 7,50 Euro sammelt und ihre Minister in der Bundesregierung gleichzeitig nichts tun, um einen Konzernchef zu stoppen, der die zukünftigen Einstiegsgehälter bei der Telekom noch unter diesem Mindestlohn drücken will. Wo der Bund als Eigentümer auftritt, darf eine Einschüchterung der Beschäftigten mit Wildwestmethoden nicht geduldet werden.«
Der Streik hat sich faktisch auch gegen Schwarz-Rot gerichtet. ver.di war allerdings nicht bereit, daraus eine politische Kampagne zu machen, um die Regierung direkt unter Druck zu setzen. ver.di will die SPD in der Koalition nicht weiter beschädigen und hat deshalb darauf verzichtet. Doch die SPD an der Regierung ist keine Bremse für Sozialabbau, sie setzt diesen mit um. Es ist deshalb falsch und schädlich, sie zu schonen.
Zweitens: Die Zeiten der „Sozialpartnerschaft« sind vorbei. Die Telekom-Bosse haben einen entschlossenen Klassenkampf von oben geführt. Entsprechend entschlossen hätte ver.di Klassenkampf von unten führen müssen, um zu gewinnen. Die Gewerkschaftsführung jedoch hat längst nicht alle Möglichkeiten des Streiks ausgeschöpft. Im Gegenteil: Sie hat eine sehr defensive, begrenzte Streiktaktik der „Nadelstiche« gewählt. Eine andere Streikführung wäre möglich gewesen.
Drittens hat ver.di die eigene Kampfkraft im Konzern in der Vergangenheit geschwächt. Die schlechteren Tarifverträgen bei der Festnetzsparte T-Com, aus der nun 50.000 Kollegen und Kolleginnen ausgelagert werden, hat ver.di mit ausgehandelt. Durch die Mitgestaltung der Privatisierung, die bisher bei der Telekom 100.000 Arbeitsplätze gekostet, hat sich ver.di zu einem Teil selbst in die Defensive gebracht. Insgesamt sind durch die Privatisierung der ehemaligen Bundespost fast 300.000 Stellen vernichtet worden. Angesichts der Folgen der Privatisierung müsste ver.di als politische Forderung die Wiederverstaatlichung von Telekom AG (und auch der Deutsche Post AG und Deutsche Postbank AG) fordern.
Das führt zum vierten Punkt: Der Standortlogik der Bosse und Neoliberalen hat ver.di praktisch und theoretisch nicht viel entgegen zu setzten. Die Telekom-Bosse haben mit dem „Sachzwang« argumentiert, dass „Sanierungen« und Sparmaßnahmen nötig sind, um im harten Konkurrenzkampf zu überleben. Im Prinzip akzeptiert ver.di diese Logik und beschränkt sich darauf, Sanierungen „abzufedern«. Die Verhinderung der Auslagerungen war explizit nicht das Ziel des Streiks, sondern nur die Abwehr von Lohnkürzungen. Selbst das ist nicht gelungen.
Gegen die Standort-Propaganda
Der Wettbewerbsdruck, den das Telekom-Management als wesentliches Argument für die Auslagerung ins Feld führt, wurde durch die Abschaffung des Postmonopols und den Börsengang der Telekom von der Politik geschaffen. Deshalb ist die Organisierung eines Kampfes für Wiederverstaatlichung privatisierter Unternehmen wichtig. Jede weitere Privatisierung beziehungsweise Auslagerung spaltet die Belegschaften weiter, erhöht die Konkurrenz zwischen Arbeitnehmern und macht es den Bossen leichter, Lohndumping durch Ausspielen unterschiedlicher Teile der Arbeitnehmerschaft weiter zu betreiben. Gewerkschaften geraten dadurch noch mehr in die Defensive, die Kampfkraft der Arbeitnehmer wird weiter geschwächt.
Notwendig ist ein konsequenter Bruch mit der Logik des Kapitals, Profite auf dem Rücken der Belegschaften zu realisieren und Wettbewerbsfähigkeit als oberste Prämisse zu setzen. Sich als Gewerkschafter den Kopf zu zerbrechen über alternative Management-Konzepte, führt nicht aus der Defensive. Denn in Zeiten eines immer härter werdenden (inter)nationalen Konkurrenzkampfes werden auch vermeintlich bessere Management-Konzepte, nicht umhin kommen, den Belegschaften Verzicht und Personalabbau aufzubürden, weil sie das Diktat des Profits nicht grundsätzlich in Frage stellen.
Seit Anfang der 90er Jahre ist die Summe der Löhne in Deutschland real gesunken. Die tatsächliche Arbeitszeit liegt laut einer Studie des Kölner ISO-Instituts im Schnitt bei 42 Stunden und damit im europäischen Mittelfeld. Und die Steuern für Unternehmen wurden in den letzten Jahren massiv gesenkt. Die tatsächliche Besteuerung von Unternehmen liegt heute im unteren Drittel der EU-Staaten. Die Lohnstückkosten, eine der wichtigsten Vergleichszahlen, sind Ende der neunziger Jahre um mehr als zehn Prozent gefallen. Deshalb konnte die deutsche Wirtschaft ihre Exporte enorm steigern.
In Folge von Steuersenkungen und Verschlechterungen für Arbeitnehmer erhöhten sich auch die Profite der Konzerne enorm. Die 30 im wichtigsten Deutschen Aktienindex Dax notierten Großkonzerne haben im vergangenen Jahr trotz massiv steigender Gewinne insgesamt Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut. Nach einer Berechnung des Tagesspiegels von Anfang März sind im vergangenen Jahr unterm Strich bei den 30 Dax-Firmen knapp 44.000 Stellen vernichtet worden.
Während die Gewinne der Konzerne im letzten Jahr um etwa zehn Prozent kletterten, sollen die Dividenden (Ausschüttungen an Aktionäre) in diesem Jahr sogar um rund 19 Prozent steigen, schätzte die Landesbank Baden-Württemberg. Um die Aktionäre bei Laune zu halten, gehen einige Unternehmen dabei sogar an die eigene Substanz und schütten mehr aus als sie verdienen – wie zum Beispiel der Reisekonzern TUI. Die Telekom wird etwa 80 Prozent des Gewinns an die Aktionäre weiterreichen. Mit rund 3,5 Milliarden Euro ist die Telekom nicht nur größter Dividendenzahler im Dax, sondern weist mit 6,2 Prozent auch die höchste Dividendenrendite aus. Gleichzeitig erzählen die Bosse der Belegschaft, die Löhne seien zu hoch.
Dass Arbeitsplätze durch Zugeständnisse an den Telekom-Vorstand gesichert werden können, wie ver.di nahe legt, ist zudem keinesfalls sicher. Nur einen Tag nach der Urabstimmung ging die Meldung durch die Presse dass die Telekom erwägt, ihre Rufnummernauskunft 11833 zu verkaufen. Die Medien beriefen sich dabei auf Verlautbarungen aus Unternehmenskreisen. In den kommenden Wochen würden bereits Gebote erwartet, 20 Interessenten aus dem In- und Ausland hätten nach dem Verkaufsprospekt gefragt, so die Meldungen. Die Telekom hofft laut den Berichten auf einen Millionenerlös. Als Orientierungsgröße gelte die Marktkapitalisierung von 450 Millionen Euro, die der Konkurrent Telegate (11880) aufweise. Das ist ein Hinweis darauf, wohin die Reise gehen soll. Die Auslagerung in drei neue Service-Gesellschaften könnte die Vorbereitung eines späteren Verkaufes sein.
Schwerthiebe statt Nadelstiche
Obwohl sich ver.di durch die Mitgestaltung der Privatisierung zum Teil selbst in die defensive gebracht hat, wäre mit einer offensiveren Streikführung mehr herauszuholen gewesen. Arbeiten wir noch oder streiken wir schon? Diese Frage wird sich so mancher Telekom-Mitarbeiter in den sechs Wochen Arbeitskampf gestellt haben. So schreibt der ver.di-Betriebsgruppenvorstand T-Com Darmstadt an die Mitglieder der Verhandlungs- und Großen Tarifkommission: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ankündigung im Tarifinfo 20 vom 12.06.2007 unsere Streiks ’stufenweise deutlich zu reduzieren‘ hat bei den Betroffenen größtenteils Unverständnis ausgelöst. Die Erwartung nach den in den Medien verbreiteten Erklärungen des Telekom-Vorstandes war eher, die Streiks auszuweiten – im Konzern selbst und unter Einbeziehung der Beamtinnen und Beamten.«
Die Fuldaer Vertrauensleute haben sich vor der Urabstimmung nach einer Beratung geschlossen für die Ablehnung des Verhandlungsergebnisses ausgesprochen. Sie sind sich einig, schreibt die ver.di-Betriebsgruppe T-Com Osthessen in ihrer Streikzeitung, „dass man wesentlich mehr durchsetzen könne. Insbesondere seien die Fuldaer ver.di-Kollegen/innen bereit, den Streik auf andere Bereiche auszudehnen und die Beamten stärker einzubeziehen. Auch wolle man den Tarifstreit in die neuen Gesellschaften tragen.«
Einbeziehung der verbeamteten Kolleginnen und Kollegen
Der Konzern beschäftigt alleine in der Festnetzsparte T-Com etwa 47.000 Beamte. An deren Einbeziehung in den Streik hat ver.di nicht gearbeitet. So hat die Beamtengewerkschaft DPVKom, eine spezialisierte Fachgewerkschaft bei Post, Telekom und Postbank, ihre Mitglieder aufgefordert, die streikenden Angestellten zu unterstützen: „Beamte sollten nicht noch extra in die Hände klatschen und Mehrarbeit leisten«, sagte der DPVKom-Bundesvorsitzende, Willi Russ, der Tageszeitung Die Welt. Auch wenn Beamte nicht streiken dürften, könnten sie „im Urlaub oder in der Freizeit« Streikposten bilden. Auch während der Arbeitszeit können Beamte durch so genannten Dienst nach Vorschrift, also die Verweigerung von Mehrarbeit, Reduzierung des Arbeitstempos, Verweigerung der Übernahme nicht vereinbarter Tätigkeiten und andere Mittel, einen Streik unterstützen.
Beamte können sich aber auch über das Streikverbot hinwegsetzen. Das zieht zwar Disziplinarverfahren nach sich, aber das heißt nicht, dass Beamte diese prinzipiell nicht in Kauf nehmen würden. So haben in Berlin im Jahr 2003 verbeamtete Lehrkräfte gestreikt. Die Disziplinarverfahren laufen teilweise heute noch.
Wie viel (verbeamtete) Kolleginnen und Kollegen bereit sind, zu riskieren, hängt von ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Überzeugung ab. Beides fällt aber nicht vom Himmel, sondern hätte von der ver.di-Führung aktiv gefördert werden müssen. Bei einem Teil der verbeamteten Kollegen und Kolleginnen wäre die Einbeziehung in den Streik sicher möglich gewesen. Einem Bericht des Magazins Stern zufolge kündigte ein Teil der bisher offiziell eher stillen Beamten bei der Telekom massiven Widerstand gegen die Umstrukturierungspläne an. 15.000 der rund 47.000 Beamten haben laut Stern den Versetzungsplänen in die neuen Service-Gesellschaften schriftlich widersprochen.
Ausweitung des Arbeitskampfes versäumt
ver.di hat den Streik von Anfang an auf die 50.000 von der Auslagerung betroffenen Kolleginnen und Kollegen beschränkt. Das ist nur ein Fünftel aller Beschäftigten der Telekom. Teile der Telekom-Tochter T-Systems sollen ebenfalls ausgegliedert werden. Die dortigen Kolleginnen und Kollegen hätte man in den Streik einbinden müssen. Zwar gilt bei T-Systems derzeit Friedenspflicht, aber es hätte Möglichkeiten gegeben, diese legal zu beenden: durch Kündigung von Tarifverträgen oder durch das Aufstellen von Tarifforderungen für bisher nicht tariflich geregelte Sachverhalte. Auch die Kolleginnen und Kollegen beim Netzmanagement sind nicht in den Streik einbezogen worden. Damit wurden Möglichkeiten verschenkt, andere Konzerne härter zu treffen und dadurch mehr Druck aufzubauen.
Durch die Abhängigkeit zentraler Sektoren der deutschen Wirtschaft von den Netzen derTelekom wäre es ver.di möglich gewesen, nicht nur die Telekom, sondern auch Banken, Versicherungen und Industrie empfindlich zu treffen. Eine solche Machtdemonstration würde die Politik auf den Plan rufen – entweder um mit den technischen Mitteln des Militärs die Telekommunikation weiter zu betreiben oder um einen Kompromiss zu vermitteln, der das Weiterlaufen des Wirtschaftslebens sicherstellt.
Lange genug hat die ver.di-Führung Zeit gehabt, detailliert alle Möglichkeiten, einen Arbeitskampf zu führen, durchzugehen. Anlässe, einen entsprechenden Plan zu entwickeln, gab es genug. Im September 2006 hat der damalige Telekom-Boss Ricke ein milliardenschweres Sparpaket angekündigt. Einen Monat später kündigte die Telekom an, ihre Service-Bereiche umzubauen, um Kosten zu sparen. Im Februar 2007 segnete der Telekom-Aufsichtsrat, gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter, dann den Plan ab, 50.000 Arbeitnehmer in Service-Gesellschaften auszulagern. Erst am 10. Mai hat die Urabstimmung über einen Streik stattgefunden, dieser begann einen Tag später.
Defensives Streikziel
Einen Streik konsequent führen zu können, setzt aber nicht nur voraus, die Belegschaft zu informieren, zu politisieren und einen überzeugenden Streikplan vorzulegen. Nötig ist auch ein Streikziel, das möglichst viele Kolleginnen und Kollegen anspricht. Auch hier hat ver.di defensiv gehandelt und Möglichkeiten ausgelassen. ver.di ging es um die Verhinderung von Lohnverzicht. Die Verhinderung der Auslagerungen war -zumindest offiziell- nicht das Ziel, sondern nur deren „sozialverträgliche« Ausgestaltung.
ver.di hat das damit begründet, dass Telekom-Boss Obermann auf jeden Fall auslagern wird und eine Fortführung des Streiks über den Stichtag der Gründung der neuen Service-Gesellschaften hinaus schwere rechtliche Probleme aufwerfen würde. Der Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht Otto Jäckel widerspricht dieser Argumentation in einem Interview mit der jungen Welt: „Hiergegen hätte es jedoch ein probates Mittel gegeben: den kollektiven Widerspruch der Betroffenen nach Paragraph 613a BGB. Schon bei 20.000 bis 30.000 Widersprüchen wäre der Betriebsübergang geplatzt. Die Service GmbHs hätten ohne Personal dagestanden. Der Vorstand der Telekom AG wäre gezwungen gewesen, die Verhandlungen weiterzuführen. Durch das gemeinsame Vorgehen wären die Beschäftigten vor betriebsbedingten Kündigungen durch die Telekom AG geschützt gewesen. Schon das Sammeln von Widersprüchen bei einem Treuhänder hätte möglicherweise als Drohkulisse ausgereicht. Dieses Vorgehen ist in anderen Branchen erprobt und bewährt.« Diese Einschätzung wird von der ver.di-Führung abgelehnt. Trotzdem sollte sie diskutiert werden.
Politisierung der Belegschaften
und Organisierung von Solidarität
Wie bereits erwähnt, hat sich die ver.di-Führung aus Rücksichtnahme auf die SPD geweigert, eine politische Kampagne gegen Lohnverzicht, Neoliberalismus und die Folgen von Privatisierung zu führen. Dabei wäre die Lage für eine solche Kampagne günstig gewesen.
80.000 haben am 2. Juni gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm demonstriert, 10.000 haben an der Blockade des Gipfels teilgenommen. Deren Solidarität hätte ver.di organisieren können. Die Gewerkschaftsführung hat ja selbst vor dem G8-Gipfel gedroht, mit dem Telekom-Streik diesen zu treffen. Wahr gemacht hat ver.di die Drohung allerdings nicht. Zwar haben im Bereich der Telekom Rostock rund 100 Telekom-Monteure gestreikt, darunter auch Bereiche, die an den technischen Vorbereitungen des G8-Gipfels im benachbarten Heiligendamm beteiligt gewesen sind. Aber das war nur ein kleiner Nadelstich, kein Schwerthieb.
Auch hat es keine nennenswerte gewerkschaftliche Mobilisierung zu den Gipfelprotesten gegeben. Im Rahmen der Mobilisierung und der Proteste hätten ver.di und andere Gewerkschaften die Gelegenheit gehabt, Solidarität mit den Telekom-Beschäftigten zu organisieren.
Es hat Ansätze gegeben, bundesweit die Öffentlichkeit über den Streik zu informieren und Solidarität herzustellen, aber eben nur Ansätze. Nötig gewesen wären bundesweite Plakatierungen, Hauswurfsendungen, Flugblätter und Zeitungsanzeigen. Dass ver.di vermutlich die Streikkasse schonen wollte, kann kein Argument dagegen sein. Denn die große Bedeutung der Auseinandersetzung bei der Telekom für alle Arbeitnehmer in Deutschland war allen Gewerkschaften bekannt. Deswegen hätten alle Gewerkschaften ver.di mit allen Kräften, auch finanziell, beim Streik unterstützen müssen. Das ist nicht geschehen. Diese Untätigkeitsteht im krassen Gegensatz zur Entschlossenheit und Kreativität der Telekom-Beschäftigten vor Ort, die den Streik mit aller Kraft geführt haben.
ver.di hätte auch zu einer bundesweiten Großdemonstration nach Berlin aufrufen können, um die Regierung unter Druck zu setzen und praktische Solidarität seitens Kolleginnen und Kollegen anderer Firmen und Branchen sowie seitens der Bevölkerung herzustellen.
In der Bevölkerung gibt es eine weit verbreitete Stimmung gegen neoliberale Politik und die Praktiken der Konzerne, Wettbewerbsfähigkeit auf dem Buckel der Beschäftigten herzustellen. Laut Meinungsumfragen lag die Zustimmung zum Streik in der Bevölkerung bei 77 Prozent. Würde ver.di die Wiederverstaatlichung der Telekom AG, der Deutsche Post AG, der Postbank AG und der Deutsche Bahn AG fordern und darum eine breite, öffentlichkeitswirksame Kampagne organisieren, wäre der Gewerkschaft die Sympathie und auch aktive Teilnahme vieler Menschen sicher. Auch das würde zu einer Solidarisierung und Vernetzung der Belegschaften der unterschiedlichen Unternehmen beitragen und damit das Selbstbewusstsein der Kolleginnen und Kollegen stärken.
Letztlich führt kein Weg daran vorbei, eine breite Bewegung gegen die Politik der großen Koalition aufzubauen. Das ist selbstverständlich nicht nur eine Aufgabe für die Gewerkschaften, sondern auch für DIE LINKE, die globalisierungskritische und die Friedensbewegung, für soziale und andere Initiativen. Aber ohne die Gewerkschaften ist der Aufbau einer solchen Bewegung nicht möglich – sofern diese auch erfolgreich sein soll. Das setzt aber einen Bruch mit der bisherigen Politik der Gewerkschaftsführungen voraus.
Der Streik und DIE LINKE
Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der LINKEN, hat in seiner Rede auf dem Gründungsparteitag der LINKEN einen wichtigen Hinweis zum notwendigen Charakter der Partei gegeben: „Wir müssen uns vor allen Dingen einmischen in aktuelle Auseinandersetzungen in dieser Republik. Und wenn wir wissen, dass 50.000 Leute in der Telekom 40 Prozent weniger verdienen sollen und länger arbeiten sollen, dann müssen wir uns als LINKE einmischen. Wir müssen dabei sein, nicht nur im Parlament die Anträge stellen. Wir müssen vor Ort sein, mit den Kolleginnen und Kollegen reden. Sie dort unterstützen, wo sie die Auseinandersetzungen führen. Das ist der Job der neuen LINKEN!«
Mitglieder der LINKEN haben Solidaritätsunterschriften für die Streikenden bei der Telekom gesammelt und waren auch vor Ort, um Solidarität zu zeigen. Doch insgesamt hat es keine große Aktivität der Mitglieder an solchen Aktionen gegeben, auch keine bundesweit organisierte Kampagne. Das hat sicher auch daran gelegen, dass DIE LINKE zeitgleich zu den Protesten gegen den G8-Gipfel mobilisiert hat und das Kräfte gebunden hat. Aber alleine daran lag es nicht. In der Linkspartei sind nach dem Telekom-Streik mehrere Debatten nötig.
Erstens: Wie schafft es die Partei, die von Klaus Ernst richtig beschriebene Aufgabe der Verankerung bei den Kolleginnen und Kollegen zu erreichen. Damit verbunden ist die Frage, wie DIE LINKE die Aktivität der Mitgliedschaft erhöht und kampagnenfähiger wird.
Zweitens stellt sich die Aufgabe, darüber zu diskutieren, wie DIE LINKE in den Gewerkschaften arbeiten soll und welche Möglichkeiten es gibt, Betriebsgruppen aufzubauen beziehungsweise im Betrieb politisch zu arbeiten. Denn ohne die Hegemonie der SPD-Führung in Gewerkschaften und Betrieben zu brechen, kann auch DIE LINKE nicht erfolgreich sein.
Das heißt auch, darüber zu diskutieren, wie dem entschlossen von oben geführten Klassenkampf ein nicht minder entschlossener Klassenkampf von unten entgegengesetzt werden kann. Eine wichtige Aufgabe der LINKEN ist es, in den Betrieben ein Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen aufzubauen, die politisch unabhängig von der neoliberal gewendeten SPD agieren, im Betrieb wie in ihrer Gewerkschaft für eine klassenkämpferische, antikapitalitische Politik eintreten und die Profitlogik der Neoliberalen und der Unternehmer ablehnen.
Drittens sind weitere Debatten nötig, wie Standort-Argumente effektiv widerlegt werden und die Kolleginnen und Kollegen davon überzeugt werden können. Die oben genannten Argumente sollen dabei helfen. Daran schließt sich die Notwendigkeit an, intensiv über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus zu debattieren und darüber zu reden, wie diese durchgesetzt werden können.
DIE LINKE hat bereits einiges verändert. Sie treibt die SPD-Führung in der Frage des Mindestlohns, sie war beteiligt an den gewerkschaftlichen Protesten gegen die Rente mit 67. Vertreterinnen und Vertreter der Linkspartei sind bei Streiks vor Ort und auch als Rednerinnen und Redner gefragt. Die SPD-Führung kann nicht mehr behaupten, dass sie die einzig wählbare Alternative zur Union wäre. Das ist ein guter Anfang. Sorgen wir dafür, dass er zu einem Happy End wird.