Nur auf den ersten Blick verklärt die Fernsehserie »Mad Men« die Vergangenheit. Tatsächlich illustriert sie aber die Unmöglichkeit, im Kapitalismus ein selbstbestimmtes Leben zu führen, meint Helen Scott
Die Fernsehserie »Mad Men« bietet Unterhaltung auf Spielfilmniveau. Mit hohem qualitativem Anspruch und Blick für Details beleuchtet sie die Welt der Werbeindustrie im New York der frühen 1960er Jahre. Der Erfinder von »Mad Men«, Matthew Weiner, war bereits für die preisgekrönte Fernsehserie »Die Sopranos« als Drehbuchautor tätig. Dort ging es um Mafiosi aus New Jersey. Auch bei »Mad Men« lässt Weiner den Zuschauer in den Alltag eines untypischen gesellschaftlichen Milieus eintauchen und gewährt wie nebenbei einen Einblick in tiefer liegende Wahrheiten über die kapitalistische Gesellschaft.
Im Vorspann ist in stilisierter Grafik die schwarze Silhouette eines leitenden Angestellten in seinem Büro zu sehen. Plötzlich löst das Büro sich auf, die Figur fällt in die Tiefe, entlang eines Bürohochhauses, dessen Fassade mit Werbemotiven von sexy Frauen und heilen Kleinfamilien bedeckt ist. Damit wird das zentrale Thema der Serie gesetzt: Alles ist Illusion, niemand ist, was er zu sein scheint, alles Ständische und Stehende verdampft.
Blick in die Vergangenheit
Die Serie beginnt, und von da an ist auch jede weitere Einstellung ein Kunstwerk. Die Macher haben peinlich genau auf jedes Detail geachtet – Mitglieder der Produktionscrew berichteten von ausführlichen Debatten über Aschenbecher und Armbanduhren – und jede Folge nimmt den Zuschauer mit in eine andere Welt.
Schon die Kameraführung vermittelt den Bruch mit der heutigen Zeit. Kameramann Chris Manley war früher Filmvorführer und hatte sich auf alte Klassiker spezialisiert. Deshalb ist er bestens mit altmodischen Kameras, Kamerawagen und Einstellungen vertraut. In »Mad Men« werden fast nur Aufnahmetechniken angewendet, die schon in den 1960er Jahren möglich waren. Im Einklang mit einer insgesamt langsameren Erzählgeschwindigkeit hebt sich »Mad Men« so deutlich von den üblichen, durch schnelle Schnitte und Spezialeffekte geprägten Fernsehproduktionen ab.
Brutale und kalte Welt
Jedoch ist der bleibende Eindruck, den die Serie hinterlässt, alles andere als beruhigend. In den Geschichten herrscht eine bedrückende Atmosphäre unbestimmter, allgegenwärtiger Bedrohung. Einige Rezensenten haben die Sendung nostalgisch genannt, aber tatsächlich sind nur die Kleidung und die Möbel mit viel Liebe fürs Detail nachgearbeitet worden. Die dargestellte Welt selbst ist brutal und kalt.
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Der Großteil der Handlung spielt in den luxuriösen Büros der Werbeagentur Sterling Cooper, im Mittelpunkt steht der Creative Director Don Draper (Jon Hamm). Die Konkurrenz unter den Angestellten ist mörderisch und der Alltag im Büro geprägt von eisernen Hierarchien.
Alle trinken ständig harten Alkohol (im Büro, zum Mittag, nach der Arbeit, zu Hause), rauchen ununterbrochen und üben sich im Umgang miteinander in einer deutlich gezwungenen Ungezwungenheit. Die Doppelmoral hinter der gediegenen Oberfläche ist ständig präsent im allgegenwärtigen Antisemitismus, Rassismus und in den abfälligen Witzen über »Homos« und »Perverse«. Nur scheinheilige Spießer überkommt Nostalgie beim Anblick einer solchen Welt.
Sexismus überall
Sexismus ist allgegenwärtig. Die Frauen – durchgängig als »Mädchen« bezeichnet – arbeiten als Sekretärinnen (es gibt nur eine Ausnahme). Ihre Aufgabe besteht darin, nicht nur die Büroarbeit zu erledigen und dabei makellos auszusehen, sondern allgemein unterwürfig und dienstbeflissen zu sein.
In einer Folge verrät eine verwirrte Sekretärin, dass ihr Chef nicht im Büro war, als er es eigentlich hätte sein sollen. Sie entschuldigt sich bei ihm dafür, dass sie ihn nicht gedeckt hat. Darauf antwortet er, es sei nicht ihre Aufgabe, ihn zu decken, sondern die Erwartungshaltung der Leute zu beeinflussen – und feuert sie prompt.
Nach Feierabend ins Striplokal
In einer anderen Folge versucht die einzige weibliche Werbetexterin, sich in den Kreis ihrer männlichen Kollegen zu integrieren und schließt sich ihnen auf einen Drink nach Feierabend an – um dann festzustellen, dass sich die gesellige Runde in einem Striplokal trifft.
Herablassendes Gaffen, anzügliche Sprüche, entwürdigendes Betatschen und Anmachen gehören zur Routine. Zudem herrscht unter den Frauen eine eigene Hierarchie, an deren Spitze die glamouröse Chefsekretärin Joan Holloway (Christina Hendricks) steht. Anscheinend verdankt sie diese Rolle nicht zuletzt der Tatsache, dass sie ein Verhältnis mit dem Firmeninhaber Roger Sterling (John Slattery) hat, der doppelt so alt wie sie und natürlich verheiratet ist.
Häusliche Enge in der Mittelschicht
Während das Leben der arbeitenden Frauen in der Serie hart ist, ist das der Mittelschichtshausfrauen klaustrophobisch. Die Hauptfigur Don Draper ist mit Betty, einem ehemaligen Fotomodell, verheiratet, deren Traum von der Erfüllung im Eheleben sich Stück für Stück in verblödende häusliche Routine auflöst. Ihr Ja-Wort hat sich für Betty in das Versprechen gewandelt, ihrem Mann den Haushalt zu schmeißen – obwohl es tatsächlich eher die schwarze Haushälterin Carla ist, die das Kochen und Putzen erledigt.
Nachdem die Ärzte festgestellt haben, dass die gelegentliche Taubheit in ihren Händen psychosomatische Ursachen hat, wird Betty zu einem Therapeuten geschickt. Sie sei hysterisch und infantil, schlussfolgert der Therapeut, und übermittelt die Diagnose ohne Bettys Wissen umgehend an ihren Ehemann. Während Betty das Abendessen vorbereitet, die Kinder diszipliniert und sich für ihren Gatten hübsch macht, treibt sich Don mit seinen Bürokollegen in Kneipen herum – oder schläft mit seiner aktuellen Geliebten.
Entfremdete Werbewelt
Dabei ist er jedoch kein Stück zufriedener als seine Frau. Die Welt der Werbeagentur Sterling Cooper ist zutiefst entfremdet. Die Männer verbringen ihr Leben damit, Produkte zu verkaufen, deren Wertlosigkeit oder gar tödliche Wirkung ihnen bekannt ist. Beim Nachdenken über eine Werbekampagne für Lucky Strike sinniert Don: »Alles, was ich anbieten kann, ist eine stabile Verpackung, und vier von fünf Leuten, die heute sterben, haben Ihre Marke geraucht.« Die Werber setzen dabei Bilder und Worte ein, deren Verlogenheit sie kennen. Ihre übertriebene Geselligkeit verdeckt ihre allgegenwärtigen Rivalitäten und nagende Unsicherheit nur unzureichend. Und bald erfahren die Zuschauer, dass Don Draper buchstäblich nicht der ist, für den er sich ausgibt.
Diese Zustände schildert die Serie mit reichlich Sinn für schwarzen Humor. Firmenchef Roger Sterling erleidet eine Herzattacke und bemerkt die Ironie darin, dass er auf Anraten seines Arztes täglich fette Sahne zu sich nimmt, um sein Magengeschwür zu beruhigen. Als Betty ihre kleine Tochter mit einer Plastiktüte über dem Gesicht durchs Haus rennen sieht, droht sie ihr Strafe an – falls das Kleid Schaden nehmen sollte, das in der Tüte gekommen ist.
Bewegungen zeichnen sich ab
Die erste Staffel spielt 1960, die zweite 1962. Anfangs scheint Sterling Cooper gegen die stürmischen Veränderungen im Land immun, aber Schritt für Schritt dringt die Außenwelt ein: Ein Werbetexter hat eine schwarze Freundin, die sich an Aktionen der Bürgerrechtsbewegung beteiligt. Ein freier Mitarbeiter der Agentur sorgt für Aufregung im Büro, als er sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. Dons Frau scheint kurz davor, »Feminine Mystique« der Feministin Betty Friedan zu lesen. Und das Wettrüsten nimmt Fahrt auf.
Keine dieser Fragen bestimmt die Handlung, die Serie verfolgt keinen politischen Anspruch. Die Geschichten drehen sich ausnahmslos um die persönlichen Konflikte, die kleinen Siege, Affären und Frustrationen dieser »Mad Men«. Zudem gibt es eine Menge zynischer Schleichwerbung. Aber durch die überzeugende Darstellung der Schalheit dieses Lebens – Don sagt einmal nach einer durchzechten Pokernacht zu Roger Cooper: »Das hier kann doch nicht alles sein, oder?« – erfasst die Serie doch etwas von der Leere des Konsumkapitalismus und macht diesen historischen Moment am Vorabend tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderung erfahrbar.
68 war dringend nötig
»Mad Men« illustriert drastisch, wie dringend notwendig die sozialen und politischen Bewegungen der sechziger Jahre waren, um die erdrückende gesellschaftliche Ordnung der Nachkriegszeit aufzubrechen. Die Serie positioniert sich eindeutig gegen wieder in Mode kommende reaktionäre Lebensmodelle wie die Erfüllung der Frau in der Rolle als Hausfrau und Mutter.
Gleichzeitig nimmt ihre Darstellung des ausschweifenden Lebens der Superreichen die Exzesse der heutigen wohlhabenden Elite vorweg. Im historischen Rückblick wird zudem wieder einmal die Instabilität des gesellschaftlichen Systems vor Augen geführt. Wie die Welt der »Mad Men« aufgehört hat zu existieren, so wachen auch wir eines Morgens auf um festzustellen, dass das gesamte globale Finanzsystem in einer tiefen Krise steckt.
Die Serie
»Mad Men« wird in den USA seit 2007 ausgestrahlt. Im deutschen Fernsehen ist sie momentan immer mittwochs um 22:30 Uhr bei ZDF.neo zu sehen. Ab 5. Januar wird der Sender die erste Staffel wiederholen.
Zur Person:
Helen Scott lehrt Postcolonial Studies an der Universität von Vermont. Sie schreibt regelmäßig für socialistworker.org, wo dieser Text zuerst erschienen ist.
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